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Umweltaktivistin Luisa Neubauer
"Der Kohleausstieg bis 2030 muss jetzt eingeleitet werden"

Die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer fordert Kohlekraftwerks-Abschaltungen noch in diesem Jahr und einen kompletten Kohleausstieg bis 2030. Die Idee einer CO2-Bepreisung begrüße sie, sagte die Geografie-Studentin im Dlf. Eine solche Besteuerung funktioniere beispielsweise in Schweden gut.

Luisa Neubauer im Gespräch mit Georg Ehring |
Klimaaktivistin Luisa Neubauer beim Evangelischen Kirchentag in Dortmund am 20.6.2019
Klimaaktivistin Neubauer meint, es sei an der Zeit, "einen reellen Preis zu zahlen für die Klimazerstörung, die wir gerade praktisch jeden Tag voranbringen" (imago / epd / Thomas Lohnes)
Georg Ehring: Luisa Neubauer, seit einem halben Jahr streiken jetzt die Schülerinnen und Schüler freitags für den Klimaschutz. Jetzt geht das Schuljahr zu Ende, hier in Berlin sind ja schon Ferien. Fridays for Future hat große Aufmerksamkeit bekommen und zumindest in Deutschland ist der Klimaschutz zum Topthema geworden. Welche Note bekommt denn das Halbjahr aus Ihrer Sicht? Was hat es gebracht?
Luisa Neubauer: Welche Note bekommt wer, ist die Frage. Viele junge Menschen, die ununterbrochen mit großem persönlichem Einsatz mobilisiert haben, sollten die besten Noten bekommen, wenn man das so framen möchte, die Regierung hingegen stark versetzungsgefährdet, würde ich denken.
Ehring: Sie werden ja von der Politik gelobt, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Sie schon gelobt und viele Politiker versprechen, dem Klima mehr Beachtung zu schenken, das tun sie auch, aber die Klimapolitik des vergangenen Halbjahrs benoten Sie trotzdem schlecht.
Neubauer: Ja, klar, weil was wir erlebt haben, sind vor allem ganz, ganz viele leere Worte und Ankündigungen ohne Folgen und das ist nicht, was reicht. Das ist nicht, was diese Klimakrise von uns verlangt.
Ehring: Was verlangt die Klimakrise von uns? Was muss passieren und wie schnell muss das passieren?
Neubauer: Wir brauchen eine drastische Emissionsreduktion, und zwar ab sofort und dann so konsequent und effizient und effektiv wie möglich.
Ehring: Politik und Industrie sagen immer, so etwas braucht Vorlauf. Warum sind Sie so ungeduldig?
Neubauer: Wir sind nicht ungeduldig, wir gucken uns an, was die Wissenschaft sagt, und die setzt uns ganz klare Limits und setzt uns zeitliche Grenzen, und daran orientieren wir uns. Und wenn andere vielleicht von Ungeduld sprechen, sprechen wir von Realismus und von einer Situation, die noch niemals krasser war in der Menschheitsgeschichte.
"Gerechter, nachhaltiger, aber vor allem schneller Kohleausstieg"
Ehring: Politik bringt ja selten schnelle Ergebnisse, und über den Klimaschutz wird seit langen Jahren debattiert. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte zum Beispiel: "Das ist ein Marathon, kein Sprint", sprich: Schnelle Ergebnisse gibt es nicht. Was sollte denn jetzt aus Ihrer Sicht ganz schnell passieren? Was sind Schritte, die man ganz schnell umsetzen könnte?
Neubauer: In Deutschland wäre das ein gerechter, nachhaltiger, aber vor allem schneller Kohleausstieg. Das ist, was jetzt schnell gemacht werden kann, ohne große Kosten und mit großartigen Wirkungen.
Ich kenne das Zitat von Ban Ki-moon zu Marathon und Sprint. Ich glaube, die Assoziation dazu im Kopf ist halt schnell trügerisch. Es impliziert irgendwie, wir müssen uns jetzt gemächlich auf den Weg machen mit langem Atem und unsere Energie da gut einteilen. Das entspricht aber nicht der Klimakrise, wie wir sie gerade erleben, denn die erfordert, dass wir jetzt richtig loslegen und im Zweifel sehr lange sprinten.
Vielleicht müssen wir uns auch in der Marathon-Debatte oder in der Marathon-Metapher bewusst werden, dass, wenn die Klimakrise oder der Kampf gegen Klimazerstörung ein Marathon ist, dann haben wir gerade einen halben Meter zurückgelegt.
"Kohleausstieg bis 2030"
Ehring: Kohleausstieg steht ja im Zentrum Ihrer Forderungen. Wie soll das laufen und bis wann muss der abgeschlossen sein aus Ihrer Sicht?
Neubauer: Wir fordern basierend darauf, was uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als machbar, finanzierbar und realisierbar erklärt haben, einen Kohleausstieg bis 2030, der vor allem so schnell wie möglich in den ersten Schritten eingeleitet werden muss. Da reicht es nicht zu sagen, 2028 kümmern wir uns darum, sondern es müssen jetzt, dieses Jahr noch die ersten Meiler vom Netz gehen.
Das geht auch energiewirtschaftlich und das ist ein wahnsinnig herausfordernder Prozess. Den hätte man vor 20 Jahren einleiten müssen, dann wäre es deutlich einfacher gewesen und nicht so disruptiv, wie das jetzt sein wird, aber es ist unverzichtbar.
Ehring: Was kommt dazu? Die Kohle ist ja vielleicht ein Drittel der CO2-Emission.
Neubauer: Genau, das reicht natürlich nicht. Neben der Energiewende brauchen wir Mobilitäts- und Agrarwenden, die daran anschließen, die in der Umsetzung noch einmal komplexer sind, aber im Zweifel vielleicht mehr Gestaltungsspielraum lassen. Da braucht es jetzt kluge Konzepte, wie wir in der Landwirtschaft und im Verkehr massivst Emissionen reduzieren können.
Ehring: Haben Sie denn solche Konzepte zum Beispiel für den Verkehr?
Neubauer: Nein, aber das ist auch, glaube ich, gar nicht unser Job. Wir führen ja da verschiedene Debatten. Das eine ist eine technische Debatte, dazu wie zum Beispiel Energiewende technisch gelingen kann. Dann gibt es die Policy-Debatte. Das sind sozusagen die Policy-Maker, die da gefragt sind, die Policy-Expertinnen und -Experten, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit überhaupt unsere technologischen, unsere Innovationsantworten greifen können, und dann gibt es eine Debatte auf der politischen Ebene und da geht es um politischen Willen. Und das ist da, wo Fridays for Future aktiv ist. Das ist da, wo wir etwas anstoßen wollen und müssen.
"Zero Carbon erfordert Veränderung in jedem Lebensbereich"
Ehring: Das heißt, wenn es um die Umsetzung geht, dann müssen dann doch die Profis ran, wie Christian Lindner so sagte?
Neubauer: Da sollen auf jeden Fall die Profis ran, das ist doch, worum es geht. Es wäre absurd zu erwarten, dass junge Menschen wie ich, die Anfang 20 sind, die Konzepte vorlegen müssten, wie man eine gesamte landwirtschaftliche Branche praktisch revolutioniert. Das würde ich mir überhaupt nicht anmaßen wollen und es wäre auch überhaupt nicht hilfreich in dieser Situation.
Das heißt aber viel mehr, dass jetzt noch andere gefragt sind, sich einzubringen. Es reicht halt nicht zu sagen, oh ja, die jungen Menschen kümmern sich um die Klimakrise, prima. Nein, im Gegenteil, da sind alle gefragt mit Kreativität und mit Input und mit ganz, ganz viel Ambitionen, sich jetzt einzubringen und Antworten zu liefern, wo wir sie brauchen.
Ehring: Die Radikalität, mit der Sie die Klimawende fordern, weckt ja auch Ängste. Wenn man von Ernährungswende redet, die Menschen bangen darum, dann kein Fleisch mehr essen zu sollen, wenn man um Mobilitätswende redet, nicht mehr in den Urlaub fliegen zu wollen. Was sagen Sie dazu? Muss das wirklich sein, muss man auf Wohlstand verzichten?
Neubauer: Ich glaube, dafür müsste man einmal definieren, was denn eigentlich Wohlstand ist. Wenn Wohlstand bedeutet, endlos konsumieren zu können und dabei unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören, finde ich das eine tragische Definition. Wir führen ja in meinen Augen eine Debatte, die sich weit weg von dem bewegt, was gerade im Wesenskern passieren müsste.
Eine Transformation der Gesellschaft im 21. Jahrhundert hin zu einer Zero-Carbon-Gesellschaft erfordert Veränderung in jedem Lebensbereich. Das bedeutet auch, dass wir hinterfragen, was Wohlstand, was Wachstum, was ein gutes Leben für uns bedeutet. Dass wir uns jetzt an Fragen aufhängen wie, wie oft dürfen wir fliegen, ist verfehlt, was gerade passiert, nämlich dass wir praktisch alles verändern, jeden Lebensbereich, jeden Wirtschaftsbereich, emissionsfrei gestalten müssen.
Bahnnetz so ausbauen, dass Fliegen unnötig wird
Ehring: Aber wenn wir zum Beispiel den Lebensbereich Reisen verändern, dann verändern wir doch auch die Häufigkeit, mit der wir fliegen können, oder nicht?
Neubauer: Das ist natürlich eine privilegierte Debatte. Ich meine, wie viele Menschen können sich es leisten zu fliegen? In Deutschland zu viele. Wenn wir ernsthaft über Fliegen sprechen wollen, dann müssten wir überlegen, was zum Beispiel im deutschen Inland geflogen wird, das sind, glaube ich, 80 Prozent Businessflüge. Natürlich stellt sich da die Frage, ist das notwendig, aber das hat nichts mehr mit Reisen zu tun, sondern die Frage, wie wir Mobilität gestalten und wie selbstverständlich es ist, dass man von Konferenz A zu Konferenz B fliegt innerhalb eines Landes, wo der Zugverkehr vergleichsweise gut ausgebaut ist. Also die ersten Fragen, die da gestellt werden müssten, sind eigentlich solche.
Dass man das politisch für sich nutzt, emotionalisiert und den Menschen erklärt, sie können nicht mehr nach Mallorca fliegen, ist im Zweifel nicht mehr als Kalkül.
Ehring: Wie soll das denn dann laufen? Sind Sie dafür, dass Inlandsflüge verboten werden oder gestoppt werden?
Neubauer: Wenn man ein Bahnnetz so ausbauen und aufbereiten würde, dass es verlässlich die Kapazitäten auffangen könnte und Fliegen praktisch unnötig wird, gleichzeitig Fliegen entsprechend bepreist wird, dass die Kosten gedeckt werden können, glaube ich, stellt sich die Frage nicht mehr so richtig, weil dann stellen wir fest, dass Fliegen im Vergleich wahnsinnig teuer wäre und die Bahnreise entsprechend komfortabel und günstig.
"Der Elefant im Raum ist die Infrastruktur, die CO2 verballert"
Ehring: Aber das heißt auch, wenn schnelle Lösungen gefragt werden, schnelle Umstellung des Verbrauchers ist dann doch nicht so dringend, dass der Verbraucher persönlich Konsequenzen daraus zieht, ich sehe jetzt ein, das Klima ist ein ganz drängendes Problem, ich stelle mein eigenes persönliches Leben deshalb um und erzeuge möglichst wenig CO2, zum Beispiel indem ich nicht mehr fliege?
Neubauer: Das ist immer gut, keine Frage, aber das kann ja nicht die Antwort sein auf die Herausforderung, die im Raum steht. Der Elefant im Raum ist die Infrastruktur um uns herum, die CO2 verballert, als gäbe es kein Morgen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das fängt mit der Energiewirtschaft an und mit unseren Verkehrs- und Landwirtschaftssystemen.
Dass dann einzelne Menschen sagen, ich fange schon einmal an, ich gehe praktisch in Vorleistung und ich verändere etwas, ist nett, aber wie gesagt, das kann nur ein Teil von etwas ganz Großem sein, was sich am politischen Willen und entsprechenden Policies aufhängt.
Ehring: Wie halten Sie es denn da in der Hinsicht persönlich? Verändern Sie etwas an Ihrem Verhalten oder haben Sie etwas verändert?
Neubauer: Ja, ich bin seit fast zehn Jahren, glaube ich, Vegetarierin und mittlerweile ernähre ich mich zum Großteil vegan. Ich fliege superselten, habe kein Auto und lebe ein Leben, was ich jetzt aber nicht irgendwie als verzichtsgeleitet empfinde, sondern was ich als lebenswert im Zweifel empfinde. Es ist großartig, Fahrrad fahren zu können und nicht im Stau stecken zu müssen. Es ist schön, Bahn zu fahren. Ich finde es wesentlich komfortabler als jede Fliegerei. Ich glaube, auch da müssten wir uns noch einmal ein bisschen tiefer fragen, was wir denn eigentlich für eine ökologische Zukunft wünschen.
Emissionen zu bepreisen "kann extrem wirksam sein"
Ehring: Was für eine ökologische Zukunft wünschen Sie sich? Können Sie das ein bisschen mit Inhalt füllen?
Neubauer: Ich glaube, eine gute ökologische Zukunft wäre zum Beispiel eine, in der das Klima zu schützen kein Privileg mehr ist, in der es nicht teurer ist, regionale und faire Produkte zu kaufen, in der der Alltag nicht gefüllt ist von Verschwendung und dem Akt des Wegwerfens, sondern des Wiederbenutzens, der geschlossenen Kreisläufe, der Wertschätzung gegenüber Naturräumen, die von uns geschützt werden, weil wir davon abhängen.
Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche mit Luisa Neubauer, Klima-Aktivistin bei Fridays for Future, und ich möchte jetzt noch einmal auf die Realpolitik zu sprechen kommen. Es gibt den Vorschlag der CO2-Steuer bzw. Ausweitung des Emissionshandels, die die Emissionen von CO2 deutlich verteuern würden und die Verbraucher, die Investoren können dann selber entscheiden, wo sie die Emissionen einsparen. Ist das der Königsweg? Viele Wissenschaftler fordern das ja, und auch Politiker.
Neubauer: Genau, und weil das viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern, also eine überwältigende Mehrheit, mit denen wir gesprochen haben, empfiehlt das, deswegen fordert es auch Fridays for Future, und zwar die Einführung eines Emissionsbepreisungskonzeptes, ob das jetzt eine Besteuerung ist oder ein Zertifikathandel, sei noch einmal dahingestellt, und zwar noch dieses Jahr.
Das ist nicht die Antwort auf die Klimakrise, aber eine schnelle Maßnahme, die viele als vielversprechend erklären, und wir sehen zum Beispiel an Ländern wie Schweden oder der Schweiz, dass es funktionieren kann. Auch England hat das, also unfassbar viele europäische Länder zum Beispiel bedienen sich dieser Instrumente und stellen fest, dass das extrem wirksam sein kann, wenn es gut durchgeführt wird und eingesetzt wird.
Was nicht hilft, ist jetzt in den Raum zu stellen: Leute, für jede, weiß ich nicht, weitere Scheibe Käse, die ihr dann konsumieren werdet, werdet ihr jetzt so und so viel Euro mehr bezahlen. Das ist Panikmache und entspricht nicht den Möglichkeiten dieses Mechanismus.
"In Schweden hat eine CO2-Besteuerung gut funktioniert"
Ehring: Aber teurer wird es dann für die Verbraucher ja schon, zumindest manches. Muss man ihnen das nicht auch sagen?
Neubauer: Wir müssten anfangen einen reellen Preis für die Klimazerstörung zu zahlen, die wir gerade praktisch jeden Tag voranbringen. Ob das der Verbraucher oder die Verbraucherin am Ende zahlt, ob das der Staat tut oder die Steuerzahlerin oder der Steuerzahler, ist eine Gestaltungsfrage. In Schweden zum Beispiel hat eine CO2-Besteuerung gut funktioniert, weil gleichzeitig unbeliebte Steuern abgeschafft wurden und eine grundsätzliche Veränderung der Besteuerung im ganzen Land das praktisch mit aufgenommen hat, sodass am Ende nicht die Gefahr im Raum stand, Leute gehen jetzt auf die Straße für einen CO2-Preis, den sie als ungerecht empfinden, sondern Menschen waren zufrieden mit einer Verbesserung der gesamten Besteuerung im Land.
Ehring: In der Politik muss das Thema Klima mit anderen Themen konkurrieren. Sie setzen ausschließlich auf das Thema Klimaschutz. Inwieweit sind Sie kompromissbereit, wenn es zum Beispiel um Arbeitsplätze geht, in der Kohlewirtschaft zum Beispiel oder auch in der Autoindustrie?
Neubauer: Wenn Sie damit implizieren wollen, dass man jetzt anfangen müsste, mit den geophysikalischen Umständen zu verhandeln, dann muss ich Sie enttäuschen, das geht einfach nicht. Ich finde es erschreckend, wie sehr die Politik ihre eigene Gestaltungsmacht infrage stellt. Natürlich ist es wahnsinnig herausfordernd und keine Frage, vor allem belastend für Menschen, die gerade zum Beispiel in der Kohlebranche beschäftigt sind, was jetzt an Veränderung ansteht, aber es wäre doch fatal von der Politik, zu behaupten, dass das jetzt nicht machbar sei oder dass wir jetzt als Gesellschaft diese Veränderungen nicht angehen können, weil sie zu wenig Kreativität und Einfallsreichtum haben, sich diesen Herausforderungen auch im Arbeitsbereich zum Beispiel zu stellen. Das ist doch die Frage von politischem Wille an der Stelle.
"Wir stellen hier viel infrage"
Ehring: Sie selbst sind Studentin der Geografie. Wie sind Sie zu Fridays for Future gekommen?
Neubauer: Ich habe Greta in Polen kennengelernt bei der Klimakonferenz und fand das Streikkonzept sehr einnehmend und bin nach Berlin gefahren und dachte, vielleicht müssten wir hier streiken. Glücklicherweise war ich nicht alleine, sondern auch andere Menschen im ganzen Land hatten ähnliche Ideen zur gleichen Zeit, und wir haben uns zusammengeschlossen. Ich glaube, entscheidend ist schon, dass da jemand war, der das Format Klimastreik so in den Raum gesetzt hat und entsprechend vorlebt, who knows. Ich glaube, an der Stelle können wir nur dankbar sein, dass sich das so entwickelt hat.
Ehring: In der Bewegung Fridays for Future, das ist ja vor allem eine Schülerbewegung, eine Bewegung jüngerer Leute vor allem. Ältere sind unterrepräsentiert und von Manchen schlägt Ihnen blanker Hass entgegen. Wie gehen Sie damit um?
Neubauer: Hass ist da und gerade in der heutigen Zeit, wo wir so viel digital unterwegs sind, sehr präsent im Zweifel. Ich habe das große Privileg, dass ich ganz viel Unterstützung erfahre, was zum Beispiel die juristische Begleitung davon betrifft. Ich mache mir große Sorgen um Menschen, die weniger Unterstützung erfahren, gerade Frauen, die überproportional betroffen sind von Hass im Netz, und wünsche mir, dass wir da noch stärker digitale Räume mit Zuversicht und Sympathie und Toleranz und Friedfertigkeit verteidigen.
Ehring: Haben Sie eine Erklärung für den Hass?
Neubauer: Was uns als Bewegung oder mich persönlich betrifft, stellen wir hier viel infrage, auch vor allem den Status quo, und das zu sagen macht Menschen angst, weil dadurch ein Kontrollverlust befürchtet wird, und in manchen Fällen schlägt das dann um in so einer Art Abwehr durch Hass.
Aufruf zum Generalstreik am 20. September
Ehring: Wie wollen Sie denn die Älteren gewinnen? Die Klimaschützer sind jetzt eine Jugendbewegung, es gibt dann die Scientists for Future, es gibt die Parents for Future, aber das sind doch noch relativ wenige. Wie wollen Sie das ändern?
Neubauer: Zum Einen sehen wir natürlich, dass es immer mehr werden, Sports for Future, Artists for Future, Creators for Future, Companies for Future auch, also auch die Wirtschaft, die sich da mittlerweile noch viel deutlicher auf unsere Seite stellt. Entscheidend ist, dass sich viele Menschen, die, glaube ich, gerade ein ganz gutes Gefühl haben von, ja, die jungen Menschen kümmern sich ja, dass genau diese Menschen begreifen, dass das hier kein Generationenjob ist.
Es ist nicht der Job einer Generation, sondern einer gesamten Gesellschaft, und da sind alle gefragt. Wie ich eingangs erklärt habe, zum Beispiel Menschen, die Policy-Antworten liefern können, die Konzepte liefern können, Menschen, die wirtschaftliche Antworten bieten, die in allen Teilbereichen, die betroffen sind von dieser großartigen Transformation, mitmischen und sich einbringen, und genau die laden wir ein, am 20. September mit uns zu streiken und darüber hinaus aber auch sich einzubringen, wenn es darum geht, Antworten zu finden auf die großen Fragen unserer Zeit.
Ehring: Was planen Sie für den 20. September genau?
Neubauer: Am 20. September ist der nächste große internationale Streik, und wir rufen ganz explizit wirklich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf, mit uns zu streiken, und zwar sich an dem Tag dann im Zweifel freizunehmen, sich freistellen zu lassen, einen Betriebsausflug zu planen, wie auch immer das geht, eine verlängerte Mittagspause oder was auch immer gerade machbar ist, zu tun, um auf den Straßen eine großartige Präsenz zu zeigen und auch zu demonstrieren, wie unfassbar groß der Druck auf die Regierung ist mittlerweile, die seit über sechs Monaten verspricht, sie würde handeln und ein Land hinhält, eine Gesellschaft, die längst bereit ist für Veränderung, für eine klimafreundliche Zukunft, nicht in dem Sinne an die Wand fahren zu lassen.
Der Druck auf die Regierung ist mittlerweile enorm, und das sehen wir überall und das werden wir am 20. September auch ganz deutlich zeigen.
"Die große Handlungsverweigerung seitens der Regierung"
Ehring: Sie selbst sind Mitglied der Grünen und Ihre Forderungen werden am ehesten noch von den Grünen geteilt, teilweise auch von den Linken. Wie parteinah ist Fridays for Future?
Neubauer: Fridays for Future ist überparteilich. Was wir sehen, ist, dass einige Parteien unsere Ideen und Vorschläge bereitwilliger aufgreifen als andere, und tragischerweise sind die großen Verweigerer gerade in der Regierung und das ist offensichtlich. Fridays for Future ordnet sich jetzt aber keiner bestimmten Partei zu.
Ehring: Wie ist Ihr Verhältnis zu anderen Parteien, gerade zu den Regierungsparteien und auch zu den anderen Oppositionsparteien?
Neubauer: Wir sprechen mit allen demokratischen Parteien. Wir sind mit allen demokratischen Parteien, die das 1,5-Grad-Ziel akzeptieren, im Gespräch und appellieren an alle gleichermaßen, erleben aber die große Handlungsverweigerung seitens der Regierung, nicht allen Mitgliedern der Regierung, klar. Da gibt es viele, die große Lust haben, mal zu liefern, aber an den entscheidenden Schaltstellen, da wo die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sitzen, erleben wir etwas, was an Klimaignoranz grenzt, und scheinheilige Antworten, Ausreden und ein fast populistisches Verhalten gegenüber Klimaschutz.
Ehring: Wenn Sie sagen, mit allen demokratischen Parteien, dann meinen Sie alle Parteien im Bundestag außer der AfD?
Neubauer: Genau.
Ehring: Und mit denen reden Sie gar nicht, weil sie nichts mit dem Klimaschutz zu tun haben wollen oder wie ist das Verhältnis da?
Neubauer: Ich habe noch nicht mit der AfD gesprochen, ich weiß aber andere von Fridays for Future schon. Wir hatten zum Beispiel vor einigen Wochen in Berlin einen Runden Tisch organisiert mit Mitgliedern aus allen Fraktionen, und da hatte die AfD nach einer ersten Absage dann kurzfristig doch entschieden, vorbeizukommen.
Ich habe vor langer Zeit aufgehört mit Klimaleugnerinnen und Klimaleugnern zu sprechen. Das ist in meinen Augen niemandes Zeit wert, und entsprechend disqualifiziert das viele AfD-Mitglieder für diese Debatte.
"Soweit wir das sehen, wird es weiterhin Streiks geben"
Ehring: Wenn man jeden Freitag streikt, schafft das anfangs Aufmerksamkeit, auch durch den Regelbruch. Es gab ja die Debatte über die Schulpflicht auch, aber irgendwann geht es auf die Noten. Wie soll es im nächsten Halbjahr weitergehen, im nächsten Schuljahr? Bleibt es bei Freitagsstreiks während der Schulzeit oder überlegen Sie auch andere Aktionsformen?
Neubauer: Soweit wir das jetzt sehen, wird es auf jeden Fall weiterhin Streiks geben. Die jungen Menschen sind unfassbar motiviert. Man muss sich das vorstellen, dass viele von uns gerade über sich selbst hinauswachsen und Dinge vollbringen, die von vielen für unmöglich gehalten wurden. Was wir im Kern ja wirklich nur machen, ist die Regierung aufzufordern, ihre eigenen Ziele einzuhalten, das ist so banal. Es ist so erschreckend, dass wir immer noch auf der Straße stehen müssen und an den gleichen Hürden stehen und die Türen immer noch geschlossen sind.
Das Einzige, was sich verändert hat, ist, dass mittlerweile immer mehr Leute sagen, dass sie Klimaschutz wichtig finden, aber nicht entsprechend handeln. Das heißt, das macht natürlich ganz viele junge Menschen auch extrem unzufrieden und lässt sie infrage stellen, was sich die Regierung gerade herausnimmt, mit vollem Bewusstsein, so dermaßen unsere Zukunft zu terrorisieren.
Ehring: Fridays for Future ist eine Einpunktbewegung. Es gibt aber außer dem Klima noch viele andere Probleme in der Umwelt, das Artensterben, Plastikmüll, es gibt Ungleichheit bei uns, Ausbeutung von Entwicklungsländern, Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Bleiben Sie beim Klima als dem einzigen Thema Ihrer Bewegung oder gibt es Tendenzen in Richtung einer thematischen Ausweitung?
Neubauer: Die Klimakrise ist der Kern der großen Herausforderungen unserer Zeit und in ihren Facetten unendlich. Wenn wir zum Beispiel von Geflüchteten auf dem Mittelmeer sprechen, dann stellen wir fest, dass viele auch flüchten, weil sie gerade ihre Lebensgrundlage verlieren, getrieben von zum Beispiel einer Klimakrise. Wir erleben, dass wirtschaftliche Ungleichheit zunehmen wird, weil einige Gebiete in Europa und weltweit überproportional beeinträchtigt sind von der Klimakrise. Wenn wir es nicht schaffen, die Klimakrise in den Griff zu bekommen und wirklich Antworten zu liefern, wirklich dieser enormen menschheitsgefährdenden Bedrohung etwas entgegenzustellen, dann werden wir keine andere Herausforderung nachhaltig meistern können.
Das heißt, ja, natürlich, wir brauchen Menschen, die sich auf die Klimakrise fokussieren, die dort immer und immer wieder Fragen stellen und immer wieder Handlungen fordern, wenn wir an irgendeiner anderen Stelle gewinnen wollen.
"Eine Regierung, die nicht gerade Erwartungen weckt"
Ehring: Der Weltklimarat IPCC hat in seinem Sonderbericht zu 1,5 Grad Erderwärmung das Resümee gezogen, technisch sei das noch machbar. Ist es auch politisch noch machbar?
Neubauer: Diese Frage stellen Sie doch gerne einmal an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Wir erleben gerade eine Regierung, die nicht gerade Erwartungen weckt, aber die Ansprüche bleiben da.
Ehring: Die Bundesregierung will bis zum Jahresende ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht und verabschiedet haben. Glauben Sie, dass das gelingt und dass da das drin steht, was erforderlich ist?
Neubauer: Ich glaube schon, dass die Regierung mehr und mehr bemerkt, wie stark die Forderungen sind, nicht nur seitens der jungen Menschen, die vielleicht freitags auf den Straßen zu sehen sind, sondern seitens einer Gesellschaft, die viel weiter ist politisch im Mindset, als die Regierung das ist. Ich hoffe, die Regierung wird diesen Ansprüchen gerecht.
Ehring: Wenn wir jetzt einmal zehn Jahre in die Zukunft schauen, was wird sich verändert haben, wie optimistisch sind Sie, dass sich da wirklich etwas verändert?
Neubauer: Ich denke schon, dass sich etwas bewegt gerade und dass wir eine Art von Zeitenwende vielleicht erleben und ganz, ganz langsam einen Paradigmenwechsel anstoßen, was die Art und Weise betrifft, wie wir Klimapolitik denken. Die Frage ist schon, ob wir das schnell genug und effektiv genug gerade hinkriegen, aber noch sehe ich zumindest seitens vielen Akteuren aus der Gesellschaft, aus der Wirtschaft, dass da Bereitschaft im Raum steht.
Im besten Falle werden die nächsten zehn Jahre unfassbar herausfordernd und anstrengend, aber auch sehr belohnend und wir werden in zehn Jahren zurückblicken können und feststellen, dass wir, als wir noch gerade Zeit hatten, in genau diesen Jahren 2019/2020 die Chance ergriffen haben. Im schlimmsten Fall stehen wir auf einem Planeten, der schlimmer als je zuvor infrage stellt, ob er langfristig Menschen beherbergen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.