Freitag, 29. März 2024

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Umweltministerin Schulze
"Wieder energiepolitisches Vorzeigeland werden"

Als einen sehr guten Kompromiss auch für den Klimaschutz hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Vorschläge der Kohlekommission bezeichnet. Sie zeigten einen Weg auf, aus der Kohle auszusteigen, sagte Schulze im Dlf. Die Umsetzung werde kein Spaziergang, nicht zu handeln wäre aber teurer.

Svenja Schulze im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.01.2019
    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hält eine Rede im Bundestag
    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert die Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission (picture alliance/dpa/Carsten Koall)
    Als Industrieland müsse Deutschland zeigen, wie es möglich ist, etwas gegen den Klimawandel zu tun, so Schulze. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass die Umsetzung der Kommissions-Empfehlungen gelingen werde. Deutschland habe die Ingenieure und das nötige Know-how dafür. "Wenn wir das schaffen, können wir auch wieder energiepolitisches Vorzeigeland werden, wie wir es früher einmal waren", so die Ministerin.
    Der Ausstieg aus der Kohle sei allerdings nur ein Teil dessen, was insgesamt in Sachen Klimaschutz passieren müsse. Weitere Bausteine sollten folgen, etwa im Bereich Verkehr und Gebäude. "Das werden wir dieses Jahr mit dem Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen."

    Das Gespräch in voller Länge:
    Jörg Münchenberg: Lange haben sie gerungen, nun liegt er vor, der Kompromiss der Regierungskommission Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung über einen beschleunigten Kohleausstieg. Es ist eine Empfehlung an die Bundesregierung, die das nun umsetzen soll und muss.
    Münchenberg: Am Telefon ist jetzt Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD. Frau Schulze, einen schönen guten Morgen!
    Svenja Schulze: Guten Morgen!
    Münchenberg: Frau Schulze, aus Ihrer Perspektive: Ist das gleich ein historischer Kraftakt, so wie den Kompromiss jetzt der Vorsitzende der Kommission, Ronald Pofalla, bezeichnet hat?
    Schulze: Ja, das ist auch für den Klimaschutz ein sehr guter Kompromiss, weil wir jetzt einen Weg, einen Pfad haben, wie wir aus der Kohle so aussteigen können, dass wir gleichzeitig eine Perspektive aufzeigen für die Regionen, für die Beschäftigten, für die Familien - und eben auch sagen, wie die Stromversorgung sicher bleibt. Und das ist ja nicht ganz einfach, wenn man gleichzeitig aus Atomkraft aussteigt. Und deswegen hat die Kommission da wirklich ganz, ganz gute Arbeit geleistet.
    "Jetzt müssen wir das auch umsetzen"
    Münchenberg: Nun sind da Umweltschützer ein bisschen verhaltener, bei Greenpeace heißt es etwa, 2038 erst aus der Kohle auszusteigen, das sei eigentlich nicht akzeptabel. Also ist das doch ein fauler Kompromiss?
    Schulze: Nein, das ist ein guter Kompromiss, weil wir mit allen gesellschaftlichen Gruppen, also mit den Gewerkschaften, mit Arbeitgebern, mit Umweltverbänden einen Konsens erzielt haben. Und ja, den einen geht es zu schnell, den anderen zu langsam, aber das ist das Wesen eines Kompromisses, dass man sich irgendwo trifft und dass man eben beschreibt, wie wir jetzt aus Kohle aussteigen können. Und es gibt kein anderes Land auf der Welt, das das so hinbekommt wie wir – und jetzt müssen wir das auch umsetzen, was die Kommission uns empfohlen hat.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, selbst der renommierte Klimaforscher Joachim Schellnhuber, Frau Schulze, ebenfalls Mitglied dieser Kohlekommission, meinte anschließend, der Umwelteffekt der Vorschläge sei letztlich nicht ausreichend.
    Schulze: Das sehe ich anders. Wir beschreiben jetzt hier einen Weg, wie wir aus Kohle aussteigen. Und das ist aber nur ein Teil dessen, was natürlich insgesamt passieren muss. Wir müssen auch im Verkehrsbereich beschreiben, wie wir denn die Verkehrswende hinbekommen, wie wir Mobilität anders organisieren.
    Wir werden im Gebäudebereich Maßnahmen brauchen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das ist ein Baustein, es sollen weitere folgen, und das werden wir dieses Jahr mit dem Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen.
    Mit Raureif und Eis überzogen sind die Braunkohleflöze im Braunkohletagebau Welzow-Süd.
    Der Braunkohletagebau Welzow-Süd in Brandenburg. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    "Die Alternative wäre: nicht handeln"
    Münchenberg: Wird denn Deutschland jetzt mit diesen Beschlüssen, sofern sie denn tatsächlich auch umgesetzt werden, so wie die Kommission das jetzt empfohlen hat, wieder Vorreiter beim Klimaschutz? Weil zu Beispiel 2020 wird Deutschland ja die selbst gesteckten Ziele erst einmal verfehlen.
    Schulze: Die Umsetzung dieser ganzen Maßnahmen, das wird sicherlich kein Spaziergang werden. Aber wenn wir das schaffen, dann können wir auch wieder energiepolitisches Vorzeigeland werden, so wie wir das früher schon einmal waren.
    Münchenberg: Frau Schulze, reden wir über die Kosten. 40 Milliarden Strukturhilfen für die betroffenen Bundesländer, Milliarden dafür, dass der Strompreis nicht weiter steigt, Milliarden auch an Entschädigungen für die Energiekonzerne, die ja für die Stilllegung entschädigt werden müssen. Wird der Kompromiss nicht viel zu teuer erkauft?
    Schulze: Na ja, die Frage ist ja, was ist die Alternative. Die Alternative wäre nicht handeln, und das würde viel, viel teurer werden. Sie haben ja in diesem Sommer schon gesehen, was alles passiert, wenn die Flüsse nicht schiffbar sind, wenn wir keine Waren über die großen Flüsse transportieren können, wenn wir so eine Dürre erleben, wie wir sie jetzt hatten, ist das für die Landwirtschaft ein großes Problem. Also nicht handeln wird deutlich teurer und deswegen müssen wir uns da jetzt auf den Weg machen.
    Münchenberg: Aber kann man nicht letztlich auch sagen, Geld spielt dann am Ende keine Rolle, damit wir eben diesen Kompromiss auch erreichen können.
    Schulze: Es geht darum, dass wir etwas tun gegen den Klimawandel. Wir müssen zeigen, gerade als Industrieland, wie das möglich ist. Und wir sind doch diejenigen, die das notwendige Know-how haben, die Ingenieurskapazitäten, die Hochschulen haben, die was entwickeln können. Und ich bin fest davon überzeugt, dass uns das auch gelingen wird. Ja, das kostet Geld, aber das ist gut investiertes Geld, weil nicht handeln wäre deutlich teurer.
    Ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau in der Lausitz
    Ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau in der Lausitz (Patrick Pleul / ZB / Picture Alliance)
    "Perspektiven für die Regionen aufzeien"
    Münchenberg: Aber wenn man zum Beispiel mal sich die Summen anschaut, von denen da die Rede ist. Es wird ja so sein, dass die Bundesländer 40 Milliarden bekommen, 14 Milliarden aber zur eigenen Verfügung, das heißt nicht zweckgebunden. Nun zeigt ja gerade das Beispiel Nordrhein-Westfalen, da gab es ja auch sehr viel Geld für den Ausstieg aus der Steinkohle, dass da viel auch fehlinvestiert worden ist. Also ist das Risiko nicht doch sehr groß, dass da viele Mittel in sinnlose Prestigeobjekte dann am Ende fließen?
    Schulze: Das ist etwas, das wir uns jetzt genau ansehen müssen, wo die Bundesregierung einen Plan machen muss, wie wir die Vorschläge umsetzen. Und das muss man natürlich so tun, dass das sinnvoll für die Regionen ist, dass dabei wirklich etwas rauskommt und dass CO2 vermieden wird. Beide Aufgaben haben wir jetzt, und das, was die Kommission uns vorgelegt hat, ist jedenfalls ein sehr, sehr guter Vorschlag.
    Münchenberg: Würden Sie denn dafür plädieren, dass man eigentlich alle Mittel an die Bundesländer jetzt, die da betroffen sind von dem Ausstieg aus der Kohle, dass man die zweckbindet?
    Schulze: Ich glaube, es wäre sinnvoll, genau zu gucken, für welche Projekte gibt es denn die Mittel. Das ist ja auch das, was wir als Bundesregierung angekündigt haben, dass wir ein Maßnahmengesetz machen wollen, also festschreiben wollen, welche Maßnahmen für den Strukturwandel in den Regionen ergriffen werden - und die dann finanzieren.
    Wichtig ist mir, dass wir es schaffen, weniger CO2 zu emittieren und gleichzeitig eine Perspektive für die Regionen aufzuzeigen. Und da ist es nicht mit einer Maßnahme getan, da werden wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf den Weg bringen müssen.
    Münchenberg: Frau Schulze, steckt hinter dem vielen Geld nicht auch letztlich der Versuch, sich die AfD vom Leib zu halten, gerade in Ostdeutschland?
    Schulze: Nein, es geht darum, eine Perspektive für die Regionen aufzuzeigen, das ist die Verantwortung von Politik.
    "Diese Grenzwerte gelten jetzt erst einmal"
    Münchenberg: Aber die AfD spielt ja auch eine Rolle, weil die AfD da ja auch sehr viel Zustimmung erfährt, indem sie diesen Ausstieg ablehnt.
    Schulze: Es geht hier um den Klimawandel, es geht darum, dass wir ein politisches Handlungsfeld haben, wir müssen etwas gegen diese Veränderungen tun und wir müssen als Industrienation unseren Beitrag leisten.
    Wir müssen das aber so tun, dass wir eine sichere Stromversorgung haben und dass wir eine Perspektive für die Regionen aufzeigen, für neue Arbeitsplätze, dass wir aufzeigen, wie das über die nächsten 20 Jahre geht. Nichts zu tun, das wäre gefährlich, jetzt aber etwas zu zeigen, das ist genau der richtige Weg.
    Münchenberg: Macht es da Sinn, Frau Schulze, dass noch ein neues Kohlekraftwerk gebaut wird, wir reden wir hier von Datteln 4 in Nordrhein-Westfalen, das soll erst 2020 fertig sein. Also eigentlich macht doch so ein Kraftwerk keinen Sinn mehr.
    Schulze: Die Kommission hat uns jetzt ja einen Pfad vorgeschlagen, wie wir aus der Kohleverstromung aussteigen werden, und diesen Pfad wird sich Herr Altmaier jetzt ganz genau ansehen und wird es ja in ein Gesetz übersetzen müssen. Wir müssen ja dann im Deutschen Bundestag entscheiden, wie wir die einzelnen Schritte jetzt genau gehen; und das werden wir einfach in jedem einzelnen Detail jetzt noch mal prüfen müssen.
    Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass wir das hinbekommen, dass wir diesen Ausstieg aus der Kohle jetzt schaffen mit dem, was die Kommission uns vorgelegt hat, und das ist ganz wichtig.
    Münchenberg: Frau Schulze, lassen Sie uns noch kurz auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, der Streit um die Grenzwerte bei Stickoxiden und Feinstaub in Sachen Diesel. Einhundert Lungenärzte haben ja diese Grenzwerte infrage gestellt, und der Verkehrsminister hat jetzt gesagt, man müsse diese Grenzwerte auch auf europäischer Ebene hinterfragen. Hat er da nicht recht, denn diese Grenzwerte kommen ja aus Brüssel?
    Schulze: Die Grenzwerte sind ja entwickelt worden und sie so entwickelt worden, dass alle Menschen, egal ob sie nun jünger oder älter sind, die Luft problemlos einatmen können - und das über da ganze Jahr. Und da haben nicht hundert, sondern da haben ganz viele, tausende Medizinerinnen und Mediziner aus der Forschung mitarbeitet, um diese Grenzwerte zu entwickeln. Und ja, es gibt eine Diskussion über die Grenzwerte, das hat auch die Deutsche Gesellschaft der Lungenärzte jetzt noch mal im letzten Jahr eingefordert, dass wir sie diskutieren.
    Aber in eine ganz andere Richtung, nämlich, dass wir schärfere Grenzwerte machen, weil in der Forschung vollkommen klar ist, dass wir bei Feinstaub, dass wir bei NOx aufpassen müssen, dass das für die Menschen belastend ist. Und deswegen, die Wissenschaft kann gerne darüber diskutieren, aber diese Grenzwerte gelten jetzt erst einmal und die müssen wir erreichen.
    21.02.2018, Rheinland-Pfalz, Mainz: Fußgänger überquert die Theodor-Heuss-Brücke in der Domstadt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird am 22.02.18 darüber entscheiden, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Innenstädten rechtmäßig sind. Seit vielen Jahren werden in deutschen Großstädten die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide überschritten. 
    Seit vielen Jahren werden in deutschen Großstädten die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide überschritten. (dpa / picture alliance / Andreas Arnold)
    "Die Luft in den Städten sauber bekommen"
    Münchenberg: Aber müssen nicht auch die Messstellen überprüft werden, denn da gibt es ja ganz unterschiedliche Stellungen, die einen messen direkt an der Straße, das sind vor allen Dingen die Deutschen, die anderen sind dafür großzügig in Europa.
    Schulze: Die Messstellen werden europaweit gleich aufgestellt. Und es gibt in Deutschland noch ältere Messstellen, die wir über viele Jahre weiter fortschreiben, aber das, was für die europäischen Grenzwerte wichtig ist, ist europaweit einheitlich. Es geht nicht um Messstellen, es geht auch nicht um Grenzwerte, es geht darum, dass wir die Luft in den Städten so sauber bekommen, dass jeder auf der Straße einfach die Luft einatmen kann.
    Und da sind wir in den letzten Jahren deutlich weitergekommen, aber es gibt immer noch ein paar Städte, die die Grenzwerte überschreiten. Und das, was da am besten hilft, ist, die Autos sauberer zu machen, weil die sind das Problem.
    Münchenberg: Frau Schulze, Sie lehnen eine Überprüfung der Grenzwerte strikt ab, Scheuer will da noch mal ran - das heißt letztlich, unter dem Strich, die beiden zentralen Ministerien blockieren sich gegenseitig und der Autofahrer ist am Ende der Dumme, weil die Politik sich streitet.
    Schulze: Nein, ich lehne eine Überprüfung der Grenzwerte nicht ab, die werden regelmäßig überprüft, das ist bei der EU so vorgesehen, dass es regelmäßig Überprüfungen gibt. Aber wir haben jetzt gültige Grenzwerte und wir haben in ein paar Städten noch ein Problem. Und das müssen wir lösen, deswegen habe ich mich so für Hardware-Nachrüstungen eingesetzt, weil …
    Münchenberg: Wo ja auch noch nichts passiert ist.
    Schulze: Doch, die Regeln sind jetzt da, man kann diese Nachrüstungssysteme jetzt sozusagen registrieren lassen und damit eben auch dafür sorgen, dass sie in die Fahrzeuge eingebaut werden können. Die ersten Automobilhersteller haben gesagt, dass sie das finanzieren, und ich kann den anderen nur empfehlen, diesen Weg mitzugehen. Das ist das, wie wir die Luft am schnellsten sauber bekommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.