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UN-Nachhaltigkeitsziele
Umweltforscher: Fortschritte weltweit "ungleichmäßig verteilt"

Mit Blick auf die UN-Nachhaltigkeitsziele sieht Umweltforscher Ortwin Renn vor allem bei Armutsbekämpfung und Trinkwasserqualität Fortschritte - jedoch nicht überall in gleichem Maße. Durch Krisen, autoritäre Regime und falsche Anreizsysteme gebe es Rückschläge, sagte Renn im Dlf.

Ortwin Renn im Gespräch mit Britta Fecke | 08.03.2019
Eine pakistanische Frau füllt Gefäße mit Trinkwasser an einem Brunnen.
Beim Thema Trinkwasserbelastung gibt es laut Nachhaltigkeitswissenschaftler Ortwin Renn insgesamt Fortschritte - in Krisenregionen habe sich die Belastung allerdings erhöht (AFP/Arif Ali)
Britta Fecke: Dass unsere Lebensweise, der schnelle Konsum von immer neuer Kleidung, die nicht mal eine Saison hält, der Kauf immer leistungsstärkerer und abgasintensiverer Autos und so weiter, dass unsere Lebensweise nicht ressourcenschonend ist, wissen wir schon. Doch die Erkenntnis zwingt kaum jemand zum Handeln. Auch deshalb wäre eine politische Steuerung wünschenswert.
Eine Woche lang haben sich 15 Wissenschaftler mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit in Potsdam getroffen, um über die internationalen Fortschritte und den Handlungsbedarf bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele zu sprechen. Heute werden sie ihre politische Empfehlung formulieren. Bei den Nachhaltigkeitszielen geht es unter anderem um Armutsbekämpfung, Gleichstellung der Geschlechter, nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen oder auch den Schutz der Ozeane.
Ich wollte von Professor Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam wissen, wo er schon erkennbare Fortschritte ausmacht.
Ortwin Renn: Es gibt bei einigen Punkten tatsächlich Fortschritte, etwa in der Armutsbekämpfung. Das ist absolut tatsächlich sehr viel besser geworden und auch relativ. Das heißt, weniger Menschen leben in absoluter Armut. Gleichzeitig ist das natürlich auch ein Element, bei dem wir noch viel tun müssen, weil die relativen Abstände zwischen Arm und Reich ansteigen. Aber die absolute Armut geht tatsächlich, teilweise auch dramatisch zurück. Von daher haben wir da ein positives Signal.
Das gilt auch für manche Umweltbelastungen, wo es tatsächlich besser geworden ist, im Bereich vor allem der Trinkwasserbelastung, die früher sehr viele Todesfälle verursacht hat und die jetzt inzwischen besser geworden ist.
Ortwin Renn
Nachhaltigkeitswissenschaftler Ortwin Renn ist wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam (dpa / picture alliance / Marc Müller)
Fecke: Aber wenn ich zum Beispiel an den Jemen denke, wo das Wasser so verunreinigt ist, dass die Cholera da wieder ausgebrochen ist, dann scheint mir das gar nicht so, als wären die hygienischen Bedingungen im Bereich Wasser besser geworden.
Renn: Ja. Es gibt immer Hotspots, bei denen es ganz viel schlechter geworden ist. Das liegt vor allem daran, wenn es dort Krisen gegeben hat oder diese dort auftreten. Aber insgesamt gesehen, wenn wir uns die gesamte Bevölkerung ansehen, hat tatsächlich die Wasserqualität sich erheblich verbessert, vor allem in Indien, China. Aber auch in vielen Ländern Afrikas hat es sich tatsächlich gebessert.
Das heißt aber nicht, dass es sich überall im gleichen Maße gebessert hat, und das ist auch eines der Probleme, mit denen wir uns jetzt beschäftigen, nämlich dass es ungleichmäßig verteilt ist auf der Welt.
Drei große Umweltprobleme für die Ozeane
Fecke: Lassen Sie uns einmal Punkt 14 herausgreifen; dann bleiben wir beim Wasser. Punkt 14 der internationalen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen widmet sich der Bewahrung und der nachhaltigen Nutzung der Ozeane, Meere und der Meeres-Ressourcen. Es wird ja zumindest auf EU-Ebene versucht, einiges gegen die Plastikvermüllung der Meere zu unternehmen. Gibt es noch andere Probleme, Übersäuerung, Überhitzung, mit denen die Ozeane zu kämpfen haben?
Renn: Es gibt eine Reihe von Problemen. Das eine ist natürlich ganz klar, dass wir durch den sehr hohen Ausstoß von Kohlenstoffen, vor allem Kohlendioxid, auch zur Versauerung der Meere beitragen. Das hat dann bei den Korallenriffen die entsprechenden Folgen – eine Übersäuerung, die sich natürlich auf das gesamte Ökosystem negativ auswirkt, vor allem, wenn es relativ schnell passiert. Das ist ein großes Problem.
Das zweite Problem ist natürlich Überfischung. Viele Fischbestände sind gefährdet, weil sie überfischt werden und weil es ganz schwierig ist, alle Nationen hier zu einer einheitlichen Politik zu bringen.
Das dritte, das hatten Sie auch schon erwähnt, das sind all die Emissionen, die ins Meer gehen. Das ist nicht nur Plastik, vor allem auch Öl, Altöl und andere Schadstoffe, die sich zwar im Meer ganz gut verteilen, aber inzwischen doch ein Ausmaß erreicht haben, dass es tatsächlich zu einer Bedrohung verschiedener Ökosysteme im Meer gekommen ist.
"Nachholbedarf" beim Umsetzen der Klimaziele
Fecke: Vom Wasser in die Luft. Das Klima spielt auch eine große Rolle bei den Nachhaltigkeitszielen. Können Sie da parallel zu den Verhandlungen auf der UN-Ebene, zum Klimavertrag von Paris, erkennbare Fortschritte sehen?
Renn: Vieles sind ja noch Versprechungen. Beim Pariser Abkommen ist ja erst ganz wenige Zeit vergangen. Von daher müssen wir natürlich sehen, ob das Ganze dann auch entsprechend umgesetzt wird. Zum Teil gibt es vielversprechende Bewegungen in vielen Ländern. In Deutschland wissen wir auch, 2020 werden wir die Ziele verfehlen. Von daher ist da Nachholbedarf.
Aber was gut ist, ist, dass sich die Nationen darauf verständigt haben. Was problematisch ist, dass das natürlich zunächst einmal nur Orientierungen sind. Sie haben sich zwar selbst verpflichtet, aber die Selbstverpflichtung ist jetzt nicht so viel wert, dass sie juristisch eingeklagt werden könnte. Von daher müssen wir sehen, wie ernsthaft die wirklich die Klimapolitik betreiben.
"Autoritative Regime haben Umweltfragen eher zurückgestellt"
Fecke: Wenn man jetzt auf die Großgemengelage blickt, hat man das Gefühl, dass seit einigen Jahren die altbekannte Weltordnung aus den Fugen geraten ist, auch mit dem amerikanischen Präsidenten, der vieles in Frage stellt. Die Probleme, die vorher im Fokus gewesen sind, ökologisch und sozial ein bisschen ins Hintertreffen geraten. Ist das nur mein Eindruck und wird hinter den Kulissen einfach weitergearbeitet, oder hat man im Moment wirklich andere Probleme?
Renn: Beides ist der Fall. Ich glaube, auf der Ebene der großen Politik haben wir in vielen Dingen tatsächlich auch einen Rückschlag. Das sind die USA, das ist Brasilien, das sind viele andere, vor allem autoritative Regime, die die Umweltfragen eher zurückgestellt haben, auch unter dem Aspekt, wie kann ich meine Macht weiter sichern und wie kann ich den Menschen, die für mich einstehen, noch mehr Privilegien zuordnen. Das führt natürlich häufig dazu, dass Dinge wie Umwelt, von denen ja alle gleichermaßen profitieren, nicht mehr die entsprechende Berücksichtigung finden.
Wir sehen aber gerade in den USA, dass auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten, zum Teil auch auf der kommunalen Ebene noch sehr viel passiert. Es ist nicht so, als ob da alles im Stillstand wäre. Das ist das Gute an föderativen Systemen oder Systemen, wo diese Checks and Balances herrschen. Da kann sich auch Washington nicht immer durchsetzen. Nichts desto trotz ist es klar, die USA ist nicht mehr der Vorreiter der Umweltbewegung, sondern eher jemand, der auf der Bremse sitzt. Aber unterhalb der Ebene der Bundesregierung sehe ich sowohl in den Ländern, in den einzelnen Bundesstaaten, als auch in den Gemeinden durchaus Initiativen, die in die richtige Richtung gehen.
"Anreizsysteme, die nachhaltigem Verhalten entgegenstehen"
Fecke: Sie haben sich ja akademisch schon intensiv mit dem Paradoxon zwischen Erkenntnis und Handeln beschäftigt. Wo sehen Sie denn eine besonders große Kluft?
Renn: Es gibt zwei große Kluften, die ich sehe. Das eine ist tatsächlich beim individuellen Handeln, und da würde ich mich auch nicht ausschließen, dass ich hier so richtig oder fast richtig weiß, was eigentlich zu tun wäre. Aber der Geist ist willig, das Fleisch ist schwächer, so dass von daher natürlich dann doch immer sehr viele Praktiken auch weiterhin bestehen, die wenig nachhaltig sind: sehr viel Fleisch essen, sehr viel mit dem Auto fahren, viel konsumieren, viel Abfall erzeugen. All das sind Dinge, die auf der individuellen Ebene passieren, die natürlich in einer nachhaltigen Wirtschaft möglichst vermieden werden sollten.
Dann haben wir natürlich jetzt auf der kollektiven Ebene, dass wir immer noch sehr viele Anreizsysteme haben, auch Regulationen, die eigentlich einem nachhaltigen Verhalten entgegenstehen. Das fängt da an, dass wir jetzt beispielsweise Diesel subventionieren oder weniger Steuern einnehmen als für andere Kraftstoffe, und hört da auf, wo wir Praktiken in der Landwirtschaft stark stützen, die mit Sicherheit auf Dauer nicht nachhaltig sind.
Fecke: Massentierhaltung und die großen Höfe statt die kleinen ökologischen, die auch die Landschaft mehr im Fokus haben als nur den puren Gewinn.
Renn: Genau. Wenn wir nur alles auf Effizienz trimmen, dann kommt es dazu, dass viele andere wichtige Ziele wie das Tierwohl, aber auch der Landschaftsschutz und die Artenvielfalt darunter leiden.
Rolle der Wissenschaft
Fecke: Die Tagung, an der Sie teilnehmen, gipfelt ja in einer politischen Handlungsempfehlung. Was wird als große Überschrift darüber stehen?
Renn: Es sind eigentlich zwei Dinge, die hier in besonderem Maße im Vordergrund stehen. Das eine ist, dass es ganz wichtig ist, dass wir diese Schritte von der Erkenntnis bis zum Handeln sehr viel stärker noch aufschlüsseln wollen, wie kommen wir wirklich zu sinnvollen Urteilen, wie kommen wir zu guten Entscheidungen und wie kommen wir auch zu sinnvollem und nachhaltigem kollektivem Handeln.
Das steht hier ganz im Vordergrund und da ist es notwendig, dass die Wissenschaft nicht nur abstraktes Wissen erzeugt, sondern auch Prozesse und Verfahren vorschlägt, wie man von einer guten Erkenntnis zu gutem Handeln kommen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.