Agata Bielecka ist froh über die Unterbrechung. Seit Tagen lernt sie bis in die Nacht für ihre Prüfungen. Rafal, ein Freund, ist vorbeigekommen, um sich ihre Unterlagen auszuleihen. Er will im Abendstudium sein Englisch verbessern.
" - "Willst du das zusätzlich, neben deiner Arbeit machen?"
- "Ja, es gibt da einige Möglichkeiten. Ich überlege, ob ich mich nicht in Wirtschaftsenglisch spezialisieren soll." "
Seit zwei Jahren wohnt und studiert Agata in Warschau. Bis dahin lebte sie in Slubice, einer Kleinstadt an der deutsch-polnischen Grenze. Ihre Eltern haben eine Eigentumswohnung für sie gekauft - das sei auf lange Sicht billiger, als eine Wohnung zu mieten, sagt sie. Zwei Zimmer, Küche, Bad und Flur. Tisch, Bett, Regal - spartanisch, aber immerhin alles neu von Ikea. Ihr ganzer Stolz ist die Einbauküche, vor allem der zwei Meter hohe Kühlschrank, anthrazitfarben und energiesparend. Einen Raum hat sie an eine Freundin untervermietet, die wie Agata "Fachübersetzung für Englisch, Deutsch und Italienisch" studiert. Rafal ist 27, hat Informatik studiert und arbeitet seit einem Monat in einer polnischen Bank. Davor war er in einem Softwareunternehmen angestellt. Aber schon jetzt denkt er daran, sich nach neuen Angeboten umzusehen - nicht weil ihn die Arbeit langweilt, sondern weil ihn andere Aufgaben auch reizen:
"Ich hoffe sehr, dass alles so weitergeht - ich will mich weiter entwickeln, denke daran, ein zweites Studium anzufangen, will mein Wissen erweitern. Da denke ich so an Management und Finanzwesen. Das ist wichtig, wenn ich zum Beispiel mein eigenes Unternehmen gründen möchte. Dieses Streben nach vorn habe ich von meinen Eltern. Ihnen war meine Bildung immer sehr wichtig, und sie haben alles drangesetzt, mir jede Chance zu ermöglichen. Das hat mich motiviert, etwas Wertvolles anzustreben."
Agata und Rafal sind typisch für diese erste Generation, die im nachkommunistischen, freien Polen groß geworden ist. Sie fühlen sich ein bisschen wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Geschichten von früher, die ihre Eltern erzählen, verstärken das Gefühl noch.
"Ob es sich verändert hat? Klar! Die Weltanschauung ist ganz anders als früher. Ich habe viele ausländische Freunde noch von der Hochschule. Dadurch habe ich Englisch gelernt - weil sie nicht gut polnisch sprachen. So etwas hatten meine Eltern damals nicht."
"Ich denke, dass es für uns viel leichter ist als für unsere Eltern. Die Schulen bieten Austauschprogramme an, man kann ein Stipendium bekommen. Und wir können arbeiten, wo wir wollen. Unsere Eltern konnten von so was nicht einmal träumen."
"Wir haben auch einen Heißhunger auf andere Kulturen, wollen das absolut Fremde kennenlernen - die Welt ist viel, viel größer als Polen."
"Ich finde sogar, wir wollen so sein wie die Amerikaner, uns genauso anziehen, ähnliche Musik hören wie sie und dieselbe Meinung haben."
Monika Brodka, das polnische Popidol, gehört zu Agatas Lieblingssängerinnen. Auf ihrer dritten CD singt sie nur auf Englisch - selbst das Lied "Varsovie", eine Liebeserklärung an die polnische Hauptstadt. Für diejenigen, die um die politische Wende 1989 geboren wurden, hat sich die Welt radikal verändert. Das wirkt sich aus - auf ihre Weltanschauung und ihren Alltag. Sie mailen sich mit Jugendlichen aus anderen Ländern, bloggen im Netz, tauschen sich aus und unterscheiden sich allein dadurch von den älteren Generationen Polens. Immer mehr junge Polen studieren, absolvieren ein Jahr im Ausland und entwickeln Pläne für das Leben nach der Ausbildung, die weder geografisch oder inhaltlich begrenzt sind. Sie fühlen sich im Westen Europas zu Hause und schauen selbstbewusst in die Welt. Kasia Bociaga, Mitbewohnerin, ist 20 Jahre alt. Es ist Samstagabend. Sie will sich mit ihren Freundinnen treffen, um die guten Prüfungsergebnisse zu feiern. Am nächsten Tag wird sie nach Wales fliegen und dort drei Monate lang als Kellnerin jobben. Danach fünf Monate in Süddeutschland studieren, finanziert vom Hochschulförderprogramm der Europäischen Union:
"Acht Monate fort von Polen, das ist schon hart. So lang war ich noch nie weg. Deshalb habe ich etwas Angst davor. Aber ich werde schon klarkommen! Ich will ja in meinem Leben viel reisen, da sind meine Eltern Vorbild für mich. Mein Vater war Höhlenforscher und hat schon alle Kontinente bereist. Auch meine Mutter war viel unterwegs, in Indien oder in Bangladesch. Also irgendwie ist es in uns drin, deshalb möchte ich auch durch die Welt reisen."
Kasia kommt aus Tschenstochau, dem bekannten Wallfahrtsort in Polen. Ihre Mutter ist Zahnärztin, ihr Vater hat die Arbeit als Höhlenforscher aufgegeben und führt ein Gestüt mit angeschlossenem Restaurant und Hotel. Kasia wusste schon früh, dass sie nicht in Tschenstochau bleibt - die wenigen Hochschulen in der Stadt haben:
"Ich möchte später als Dolmetscherin arbeiten. Bisher hatte ich damit im Studium noch nicht viel zu tun. Denn nach zwei Jahren Spracherwerb geht es erst im dritten Jahr an konkrete Übersetzungen. Wenn ich in drei Monaten nach Deutschland komme, werde ich sehen, wie das klappt. Ich würde das schon gern machen. Schon jetzt gebe ich Nachhilfe. Das kann ich gut. Deshalb würde ich gern anderen helfen, Fremdsprachen zu lernen. Am schönsten wäre es, wenn sich das verbinden ließe: Reisen, Fremdsprachen und das Land, in dem ich lebe."
Auch wenn die wirtschaftliche Situation in Polen für die 20- bis 30-Jährigen derzeit nicht gerade rosig ist - ihr Glaube an sich und eine erfolgreiche Zukunft scheint unerschütterlich. Trotz 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, einer steigenden Zahl von befristeten Arbeitsverträgen und einem niedrigen Anfangsgehalt, das über Jahre nicht erhöht wird. Der American Dream ist für sie ein Leitmotiv, verbunden mit der spezifisch polnischen Variante, sich stets etwas einfallen zu lassen - dafür gibt es sogar einen eigenen Ausdruck in Polen: "kombinowac". Alles ist darauf ausgerichtet, die beruflichen Chancen zu verbessern: der Aushilfsjob bei Starbucks, die Urlaubsreise nach Italien und das ehrenamtliche Engagement in Vereinen oder sozialen Netzwerken. Wichtig sei, so eine oft zitierte Redensart, einen Weg zu finden und keine Ausrede. Auf der Terrasse einer amerikanischen Kaffeehauskette im Zentrum von Warschau, einem beliebten Treffpunkt von Studenten. Im Blickfeld die moderne Skyline von Warschau: schicke Hochhaus-Neubauten, H&M- und Zara-Boutiquen, die Metrostation ein paar Schritte weiter. Agata und Rafal haben sich mit Freunden verabredet. Die 25-jährige Magda Bebenek ist gerade von einer vierwöchigen Reise zurückgekommen: Frankreich, Spanien, Island, London.
"Ich habe weder reiche Eltern noch Verwandte in Amerika oder etwas geerbt. Ich habe viele Jahre gearbeitet, Geld zurückgelegt. Nachdem ich vor drei Jahren mein Studium beendet hatte, fing ich an, durch die Welt zu reisen. So ist es bis heute geblieben."
Magda hat einen Verlag gefunden, der ihre Reiseerfahrungen veröffentlichen will. Das Interesse der jungen Polen an solchen Büchern ist groß. Rafal, Agata, Aleksandra und Andrzej hören gebannt zu. Es ist nicht nur die Lust am Abenteuer, die Magda antreibt. Sie baut auch darauf, dass sich ihre Erfahrungen und Erlebnisse auszahlen:
"Es gibt Arbeitslosigkeit, ja, aber das können wir nicht ändern. Wir können uns nur darum bemühen, nicht von Arbeitslosigkeit getroffen zu werden. Also: eine gute Ausbildung, gute Noten, Fremdsprachen. Sogar dieses Reisen kann uns dazu verhelfen, eine Arbeit zu finden. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich erreiche, was ich will, wenn ich mich nur fest genug anstrenge.
Ich schaue auch positiv in die Zukunft, obwohl sie uns im Studium Angst machen - sie sagen, dass in spätestens 30 Jahren alles von Computern übersetzt wird. Aber ich glaube nicht daran, dass eine Maschine je den Menschen ersetzen wird. "
Agatas und Magdas Überzeugungen Ansichten führen zu einer lebhaften Diskussion darüber, worin sich ihre Einstellung von der ihrer Eltern unterscheidet. Und wie weit das auch mit der polnischen Geschichte zu tun hat.
"Unsere Generation scheint mir mutiger als die davor. Wir sind selbstsicherer - auch diese Komplexe, was unsere Herkunft angeht, sind bei uns weniger ausgebildet. Obwohl sie noch da sind. Ich weiß noch, dass ich mich unterlegen gefühlt habe, weil ich aus Polen bin - obwohl ich immer das gemacht habe, was ich wollte."
"Das kommt aus unserer Geschichte - Besatzung, Krieg, Kommunismus. Wir hatten lange das Gefühl, nicht selbst über uns entscheiden zu können. Immer war ein großer Bruder da, der uns sagte, was wir machen sollen. Und die älteren Generationen - auch meine Eltern - haben das in sich drin: die Angst, etwas Neues auszuprobieren und selbst für sich zu entscheiden."
"Wir Jungen orientieren uns heute Richtung Westen, denn das verbinden wir mit Entwicklung. Den Osten haben wir immer als rückständig betrachtet. Damit wollten wir nichts zu tun haben, mit Leuten, die nicht wissen, was ein Computer ist. Als ich vor sechs Jahren in Mexiko zum Schüleraustausch war, fragten sie mich, ob wir in Polen überhaupt Autos haben, oder Computer. Ich dachte, die machen Witze!"
"Es ist aber nicht für uns peinlich, dass man im Ausland oft nicht weiß, wo Polen liegt und wie es dort aussieht, sondern für die anderen. Es ist richtig, vieles fehlt bei uns noch, aber wir sind erst seit 22 Jahren ein freies Land - dafür haben wir ganz schön viel erreicht und das verdient Anerkennung."
Agata und Andrzej lernen in der Bibliothek der Warschauer Universität für die letzte Englisch-Prüfung in diesem Semester. Ein lichtdurchfluteter großer Raum, überall kleine Tische mit Laptops, Regale mit Büchern und Zeitschriften, Sitzgruppen zum Entspannen. Seit die Bibliothek Ende '99 eröffnet wurde, stieg sie zum beliebten Lernort der Warschauer Studenten auf, die sonst zu Hause lernen, mithilfe von E-Books und virtuellen Clouds. Fachübersetzung in Englisch und Deutsch ist das zweite Studium von Andrzej, vorher hat er "European Studies" studiert. Aber das war ihm nicht konkret genug, deshalb entschied er sich, weiter an der Uni zu bleiben. Damit ist er der Älteste in Agatas Studienjahr:
"Ich bin jetzt 25 Jahre alt und habe noch keine Ahnung, was ich im Leben wirklich machen will. Aber ich weiß, dass man einen Studienabschluss braucht. Wenn ich den bekomme, kann ich in Polen oder anderswo in Europa unterrichten. Fremdsprachen sind jetzt so wichtig, dass es bestimmt immer Leute geben wird, die sie lernen wollen. Und ich würde gern als Dolmetscher arbeiten."
Auch Agata hat eine klare Vorstellung davon, was sie später machen will. Die Idee, eine Sprachschule zu eröffnen, hat sie aufgegeben - die Konkurrenz ist mittlerweile, besonders in Warschau, zu groß:
"Ich werde ganz sicher versuchen, in der Simultanübersetzung zu arbeiten. Dabei will ich mich nicht nur auf Warschau konzentrieren. Vielleicht Brüssel?! Dieses Studium bietet viele Möglichkeiten. Eine Fremdsprache ist nichts Besonderes, zwei - findet man auch. Aber drei, vier, fünf - das ist schon ungewöhnlich. Darauf konzentriere ich mich. Damit ich heraussteche aus der Masse und mehr bieten kann als andere."
Die selbstbewusste Haltung gegenüber der eigenen Zukunft prägt auch ihre Sicht auf Partnerschaft und Gleichberechtigung. Besonders bei Andrzej. Seit acht Jahren lebt er mit seiner Freundin zusammen - er ist Student, sie erfolgreiche Finanzberaterin. Und: Sie verdient mehr als er.
"Das ist im Grunde ja auch nicht schlecht. Nur habe ich manchmal so ein seltsames Gefühl. Denn hier in Polen ist die Ansicht sehr verbreitet, dass der Mann mehr verdienen sollte als die Frau. Anfangs war es für mich komisch, dass ich weniger verdient habe, denn ich dachte: Was bist du für ein Mann? Bei meinen Großeltern und Eltern war der Hauptverdiener immer der Mann. Deshalb bin ich mit mir noch nicht so ganz im Reinen, aber es wird immer besser."
Agata hört aufmerksam zu. Sie ist seit eineinhalb Jahren in einer Beziehung und sehr glücklich. Aber die Frage nach der finanziellen Abhängigkeit beschäftigt sie trotzdem:
"Ich wäre gern in Zukunft finanziell unabhängig. Denn oft hört man, dass Frauen sich nicht scheiden lassen, aus Angst, dann in Armut zu leben. Deshalb ist diese Selbstständigkeit so wichtig - was auch immer geschieht, ich entscheide selbst, ob und mit wem ich zusammen sein will!"
Ein Grillabend in Frankfurt/Oder an der deutsch-polnischen Grenze. Die Stimmung ist gelöst, das Essen bunt: Wurst und Kotelett, natürlich, aber auch leichte Sommersalate, und statt Bier und Wodka Alcopops - auch da sind die jungen Polen westlich orientiert. Agata ist aus Warschau angereist, um ihren Freund Artur zu besuchen. Der 26-jährige Informatiker hat sich in diesem Frühjahr bei einer deutschen Computerfirma mit Hauptsitz in Potsdam beworben und ist angenommen worden:
"In einem ausländischen Unternehmen verdiene ich immer mehr als in einem polnischen. Das ist ein starkes Motiv für mich. Um ehrlich zu sein, in meiner Branche gibt es auch keine so hohe Arbeitslosigkeit wie sonst in Polen. Wenn jemand als IT-Fachmann gut ausgebildet ist und weiterhin auch Neues dazu lernen will, dann findet er einen Job. Ich habe vorher nur programmiert - jetzt kommt Management dazu, also das Wissen darum, wie man andere führt und leitet. Das muss man lernen, um später mal an die Spitze eines Unternehmens zu kommen.
Es gibt konkrete Pläne der Firma, entweder in Poznan oder Warschau eine Filiale zu eröffnen - wir schauen mal, was daraus wird. Ich unterstütze ihn, sich weiterzuentwickeln. Gerade heute haben wir darüber gesprochen, auch über andere Länder nachzudenken. Viele Freunde ziehen ins Ausland, nicht nur, weil sie dort mehr verdienen, sondern auch, um andere Kulturen kennenzulernen. Und da dachten wir heute: vielleicht Norwegen?! Ich finde, wir müssen die Möglichkeiten, die wir haben, nutzen!"
Auf die Frage jedoch, ob sie sich vorstellen können, nicht mehr nach Polen zurückzukommen, antworten beide spontan: nein. Ihr Zuhause wird Polen bleiben.
" - "Willst du das zusätzlich, neben deiner Arbeit machen?"
- "Ja, es gibt da einige Möglichkeiten. Ich überlege, ob ich mich nicht in Wirtschaftsenglisch spezialisieren soll." "
Seit zwei Jahren wohnt und studiert Agata in Warschau. Bis dahin lebte sie in Slubice, einer Kleinstadt an der deutsch-polnischen Grenze. Ihre Eltern haben eine Eigentumswohnung für sie gekauft - das sei auf lange Sicht billiger, als eine Wohnung zu mieten, sagt sie. Zwei Zimmer, Küche, Bad und Flur. Tisch, Bett, Regal - spartanisch, aber immerhin alles neu von Ikea. Ihr ganzer Stolz ist die Einbauküche, vor allem der zwei Meter hohe Kühlschrank, anthrazitfarben und energiesparend. Einen Raum hat sie an eine Freundin untervermietet, die wie Agata "Fachübersetzung für Englisch, Deutsch und Italienisch" studiert. Rafal ist 27, hat Informatik studiert und arbeitet seit einem Monat in einer polnischen Bank. Davor war er in einem Softwareunternehmen angestellt. Aber schon jetzt denkt er daran, sich nach neuen Angeboten umzusehen - nicht weil ihn die Arbeit langweilt, sondern weil ihn andere Aufgaben auch reizen:
"Ich hoffe sehr, dass alles so weitergeht - ich will mich weiter entwickeln, denke daran, ein zweites Studium anzufangen, will mein Wissen erweitern. Da denke ich so an Management und Finanzwesen. Das ist wichtig, wenn ich zum Beispiel mein eigenes Unternehmen gründen möchte. Dieses Streben nach vorn habe ich von meinen Eltern. Ihnen war meine Bildung immer sehr wichtig, und sie haben alles drangesetzt, mir jede Chance zu ermöglichen. Das hat mich motiviert, etwas Wertvolles anzustreben."
Agata und Rafal sind typisch für diese erste Generation, die im nachkommunistischen, freien Polen groß geworden ist. Sie fühlen sich ein bisschen wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Geschichten von früher, die ihre Eltern erzählen, verstärken das Gefühl noch.
"Ob es sich verändert hat? Klar! Die Weltanschauung ist ganz anders als früher. Ich habe viele ausländische Freunde noch von der Hochschule. Dadurch habe ich Englisch gelernt - weil sie nicht gut polnisch sprachen. So etwas hatten meine Eltern damals nicht."
"Ich denke, dass es für uns viel leichter ist als für unsere Eltern. Die Schulen bieten Austauschprogramme an, man kann ein Stipendium bekommen. Und wir können arbeiten, wo wir wollen. Unsere Eltern konnten von so was nicht einmal träumen."
"Wir haben auch einen Heißhunger auf andere Kulturen, wollen das absolut Fremde kennenlernen - die Welt ist viel, viel größer als Polen."
"Ich finde sogar, wir wollen so sein wie die Amerikaner, uns genauso anziehen, ähnliche Musik hören wie sie und dieselbe Meinung haben."
Monika Brodka, das polnische Popidol, gehört zu Agatas Lieblingssängerinnen. Auf ihrer dritten CD singt sie nur auf Englisch - selbst das Lied "Varsovie", eine Liebeserklärung an die polnische Hauptstadt. Für diejenigen, die um die politische Wende 1989 geboren wurden, hat sich die Welt radikal verändert. Das wirkt sich aus - auf ihre Weltanschauung und ihren Alltag. Sie mailen sich mit Jugendlichen aus anderen Ländern, bloggen im Netz, tauschen sich aus und unterscheiden sich allein dadurch von den älteren Generationen Polens. Immer mehr junge Polen studieren, absolvieren ein Jahr im Ausland und entwickeln Pläne für das Leben nach der Ausbildung, die weder geografisch oder inhaltlich begrenzt sind. Sie fühlen sich im Westen Europas zu Hause und schauen selbstbewusst in die Welt. Kasia Bociaga, Mitbewohnerin, ist 20 Jahre alt. Es ist Samstagabend. Sie will sich mit ihren Freundinnen treffen, um die guten Prüfungsergebnisse zu feiern. Am nächsten Tag wird sie nach Wales fliegen und dort drei Monate lang als Kellnerin jobben. Danach fünf Monate in Süddeutschland studieren, finanziert vom Hochschulförderprogramm der Europäischen Union:
"Acht Monate fort von Polen, das ist schon hart. So lang war ich noch nie weg. Deshalb habe ich etwas Angst davor. Aber ich werde schon klarkommen! Ich will ja in meinem Leben viel reisen, da sind meine Eltern Vorbild für mich. Mein Vater war Höhlenforscher und hat schon alle Kontinente bereist. Auch meine Mutter war viel unterwegs, in Indien oder in Bangladesch. Also irgendwie ist es in uns drin, deshalb möchte ich auch durch die Welt reisen."
Kasia kommt aus Tschenstochau, dem bekannten Wallfahrtsort in Polen. Ihre Mutter ist Zahnärztin, ihr Vater hat die Arbeit als Höhlenforscher aufgegeben und führt ein Gestüt mit angeschlossenem Restaurant und Hotel. Kasia wusste schon früh, dass sie nicht in Tschenstochau bleibt - die wenigen Hochschulen in der Stadt haben:
"Ich möchte später als Dolmetscherin arbeiten. Bisher hatte ich damit im Studium noch nicht viel zu tun. Denn nach zwei Jahren Spracherwerb geht es erst im dritten Jahr an konkrete Übersetzungen. Wenn ich in drei Monaten nach Deutschland komme, werde ich sehen, wie das klappt. Ich würde das schon gern machen. Schon jetzt gebe ich Nachhilfe. Das kann ich gut. Deshalb würde ich gern anderen helfen, Fremdsprachen zu lernen. Am schönsten wäre es, wenn sich das verbinden ließe: Reisen, Fremdsprachen und das Land, in dem ich lebe."
Auch wenn die wirtschaftliche Situation in Polen für die 20- bis 30-Jährigen derzeit nicht gerade rosig ist - ihr Glaube an sich und eine erfolgreiche Zukunft scheint unerschütterlich. Trotz 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, einer steigenden Zahl von befristeten Arbeitsverträgen und einem niedrigen Anfangsgehalt, das über Jahre nicht erhöht wird. Der American Dream ist für sie ein Leitmotiv, verbunden mit der spezifisch polnischen Variante, sich stets etwas einfallen zu lassen - dafür gibt es sogar einen eigenen Ausdruck in Polen: "kombinowac". Alles ist darauf ausgerichtet, die beruflichen Chancen zu verbessern: der Aushilfsjob bei Starbucks, die Urlaubsreise nach Italien und das ehrenamtliche Engagement in Vereinen oder sozialen Netzwerken. Wichtig sei, so eine oft zitierte Redensart, einen Weg zu finden und keine Ausrede. Auf der Terrasse einer amerikanischen Kaffeehauskette im Zentrum von Warschau, einem beliebten Treffpunkt von Studenten. Im Blickfeld die moderne Skyline von Warschau: schicke Hochhaus-Neubauten, H&M- und Zara-Boutiquen, die Metrostation ein paar Schritte weiter. Agata und Rafal haben sich mit Freunden verabredet. Die 25-jährige Magda Bebenek ist gerade von einer vierwöchigen Reise zurückgekommen: Frankreich, Spanien, Island, London.
"Ich habe weder reiche Eltern noch Verwandte in Amerika oder etwas geerbt. Ich habe viele Jahre gearbeitet, Geld zurückgelegt. Nachdem ich vor drei Jahren mein Studium beendet hatte, fing ich an, durch die Welt zu reisen. So ist es bis heute geblieben."
Magda hat einen Verlag gefunden, der ihre Reiseerfahrungen veröffentlichen will. Das Interesse der jungen Polen an solchen Büchern ist groß. Rafal, Agata, Aleksandra und Andrzej hören gebannt zu. Es ist nicht nur die Lust am Abenteuer, die Magda antreibt. Sie baut auch darauf, dass sich ihre Erfahrungen und Erlebnisse auszahlen:
"Es gibt Arbeitslosigkeit, ja, aber das können wir nicht ändern. Wir können uns nur darum bemühen, nicht von Arbeitslosigkeit getroffen zu werden. Also: eine gute Ausbildung, gute Noten, Fremdsprachen. Sogar dieses Reisen kann uns dazu verhelfen, eine Arbeit zu finden. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich erreiche, was ich will, wenn ich mich nur fest genug anstrenge.
Ich schaue auch positiv in die Zukunft, obwohl sie uns im Studium Angst machen - sie sagen, dass in spätestens 30 Jahren alles von Computern übersetzt wird. Aber ich glaube nicht daran, dass eine Maschine je den Menschen ersetzen wird. "
Agatas und Magdas Überzeugungen Ansichten führen zu einer lebhaften Diskussion darüber, worin sich ihre Einstellung von der ihrer Eltern unterscheidet. Und wie weit das auch mit der polnischen Geschichte zu tun hat.
"Unsere Generation scheint mir mutiger als die davor. Wir sind selbstsicherer - auch diese Komplexe, was unsere Herkunft angeht, sind bei uns weniger ausgebildet. Obwohl sie noch da sind. Ich weiß noch, dass ich mich unterlegen gefühlt habe, weil ich aus Polen bin - obwohl ich immer das gemacht habe, was ich wollte."
"Das kommt aus unserer Geschichte - Besatzung, Krieg, Kommunismus. Wir hatten lange das Gefühl, nicht selbst über uns entscheiden zu können. Immer war ein großer Bruder da, der uns sagte, was wir machen sollen. Und die älteren Generationen - auch meine Eltern - haben das in sich drin: die Angst, etwas Neues auszuprobieren und selbst für sich zu entscheiden."
"Wir Jungen orientieren uns heute Richtung Westen, denn das verbinden wir mit Entwicklung. Den Osten haben wir immer als rückständig betrachtet. Damit wollten wir nichts zu tun haben, mit Leuten, die nicht wissen, was ein Computer ist. Als ich vor sechs Jahren in Mexiko zum Schüleraustausch war, fragten sie mich, ob wir in Polen überhaupt Autos haben, oder Computer. Ich dachte, die machen Witze!"
"Es ist aber nicht für uns peinlich, dass man im Ausland oft nicht weiß, wo Polen liegt und wie es dort aussieht, sondern für die anderen. Es ist richtig, vieles fehlt bei uns noch, aber wir sind erst seit 22 Jahren ein freies Land - dafür haben wir ganz schön viel erreicht und das verdient Anerkennung."
Agata und Andrzej lernen in der Bibliothek der Warschauer Universität für die letzte Englisch-Prüfung in diesem Semester. Ein lichtdurchfluteter großer Raum, überall kleine Tische mit Laptops, Regale mit Büchern und Zeitschriften, Sitzgruppen zum Entspannen. Seit die Bibliothek Ende '99 eröffnet wurde, stieg sie zum beliebten Lernort der Warschauer Studenten auf, die sonst zu Hause lernen, mithilfe von E-Books und virtuellen Clouds. Fachübersetzung in Englisch und Deutsch ist das zweite Studium von Andrzej, vorher hat er "European Studies" studiert. Aber das war ihm nicht konkret genug, deshalb entschied er sich, weiter an der Uni zu bleiben. Damit ist er der Älteste in Agatas Studienjahr:
"Ich bin jetzt 25 Jahre alt und habe noch keine Ahnung, was ich im Leben wirklich machen will. Aber ich weiß, dass man einen Studienabschluss braucht. Wenn ich den bekomme, kann ich in Polen oder anderswo in Europa unterrichten. Fremdsprachen sind jetzt so wichtig, dass es bestimmt immer Leute geben wird, die sie lernen wollen. Und ich würde gern als Dolmetscher arbeiten."
Auch Agata hat eine klare Vorstellung davon, was sie später machen will. Die Idee, eine Sprachschule zu eröffnen, hat sie aufgegeben - die Konkurrenz ist mittlerweile, besonders in Warschau, zu groß:
"Ich werde ganz sicher versuchen, in der Simultanübersetzung zu arbeiten. Dabei will ich mich nicht nur auf Warschau konzentrieren. Vielleicht Brüssel?! Dieses Studium bietet viele Möglichkeiten. Eine Fremdsprache ist nichts Besonderes, zwei - findet man auch. Aber drei, vier, fünf - das ist schon ungewöhnlich. Darauf konzentriere ich mich. Damit ich heraussteche aus der Masse und mehr bieten kann als andere."
Die selbstbewusste Haltung gegenüber der eigenen Zukunft prägt auch ihre Sicht auf Partnerschaft und Gleichberechtigung. Besonders bei Andrzej. Seit acht Jahren lebt er mit seiner Freundin zusammen - er ist Student, sie erfolgreiche Finanzberaterin. Und: Sie verdient mehr als er.
"Das ist im Grunde ja auch nicht schlecht. Nur habe ich manchmal so ein seltsames Gefühl. Denn hier in Polen ist die Ansicht sehr verbreitet, dass der Mann mehr verdienen sollte als die Frau. Anfangs war es für mich komisch, dass ich weniger verdient habe, denn ich dachte: Was bist du für ein Mann? Bei meinen Großeltern und Eltern war der Hauptverdiener immer der Mann. Deshalb bin ich mit mir noch nicht so ganz im Reinen, aber es wird immer besser."
Agata hört aufmerksam zu. Sie ist seit eineinhalb Jahren in einer Beziehung und sehr glücklich. Aber die Frage nach der finanziellen Abhängigkeit beschäftigt sie trotzdem:
"Ich wäre gern in Zukunft finanziell unabhängig. Denn oft hört man, dass Frauen sich nicht scheiden lassen, aus Angst, dann in Armut zu leben. Deshalb ist diese Selbstständigkeit so wichtig - was auch immer geschieht, ich entscheide selbst, ob und mit wem ich zusammen sein will!"
Ein Grillabend in Frankfurt/Oder an der deutsch-polnischen Grenze. Die Stimmung ist gelöst, das Essen bunt: Wurst und Kotelett, natürlich, aber auch leichte Sommersalate, und statt Bier und Wodka Alcopops - auch da sind die jungen Polen westlich orientiert. Agata ist aus Warschau angereist, um ihren Freund Artur zu besuchen. Der 26-jährige Informatiker hat sich in diesem Frühjahr bei einer deutschen Computerfirma mit Hauptsitz in Potsdam beworben und ist angenommen worden:
"In einem ausländischen Unternehmen verdiene ich immer mehr als in einem polnischen. Das ist ein starkes Motiv für mich. Um ehrlich zu sein, in meiner Branche gibt es auch keine so hohe Arbeitslosigkeit wie sonst in Polen. Wenn jemand als IT-Fachmann gut ausgebildet ist und weiterhin auch Neues dazu lernen will, dann findet er einen Job. Ich habe vorher nur programmiert - jetzt kommt Management dazu, also das Wissen darum, wie man andere führt und leitet. Das muss man lernen, um später mal an die Spitze eines Unternehmens zu kommen.
Es gibt konkrete Pläne der Firma, entweder in Poznan oder Warschau eine Filiale zu eröffnen - wir schauen mal, was daraus wird. Ich unterstütze ihn, sich weiterzuentwickeln. Gerade heute haben wir darüber gesprochen, auch über andere Länder nachzudenken. Viele Freunde ziehen ins Ausland, nicht nur, weil sie dort mehr verdienen, sondern auch, um andere Kulturen kennenzulernen. Und da dachten wir heute: vielleicht Norwegen?! Ich finde, wir müssen die Möglichkeiten, die wir haben, nutzen!"
Auf die Frage jedoch, ob sie sich vorstellen können, nicht mehr nach Polen zurückzukommen, antworten beide spontan: nein. Ihr Zuhause wird Polen bleiben.

