
Über Geld spricht man nicht. Das gilt offenbar vor allem für die Reichen und Superreichen in Deutschland. Die Folge: Es fehlt an Zahlen über die Vermögensverteilung. Warum verlässliche Daten über Reichtum wichtig sind und wie eine Vermögenssteuer von null Prozent helfen könnte.
Was wissen wir über Vermögen in Deutschland - und was nicht?
Privates Vermögen ist in Deutschland äußerst ungleich verteilt. Zwar werden die Deutschen unterm Strich reicher, laut einer Erhebung der Bundesbank in Frankfurt erreichte etwa das Geldvermögen Ende vergangenen Jahres eine Rekordsumme von mehr als neun Billionen Euro. Doch die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen jenen mit viel Vermögen und jenen mit wenig, ist noch immer weit offen.
Mehr als die Hälfte des privaten Vermögens konzentriert sich auf die obersten zehn Prozent der Menschen im Land. Das geht aus einer Studie der Bundesbank mit Zahlen von 2023 hervor. Danach ist der Anteil der vermögensärmeren Hälfte am gesamten Nettovermögen der Haushalte zwar leicht gestiegen. Er liegt allerdings nach wie vor bei lediglich rund zweieinhalb Prozent. Deutschland sei „durch eine im internationalen Vergleich hohe Vermögensungleichheit gekennzeichnet“, schlussfolgert die Bundesbank. Im Euroraum sei die Kluft nur in Österreich größer.
Das US-amerikanische Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) schätzt die Zahl der Superreichen hierzulande in seinem Global Wealth Report 2024 auf rund 3.300. Als solche begreift BCG Deutsche mit einem Vermögen von mindestens 100 Millionen US-Dollar. Ihnen sollen etwa ein Viertel des gesamten Besitzes in Deutschland gehören, so das Unternehmen. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) kommt zu dem Ergebnis, dass das oberste ein Prozent in Deutschland etwa 35 Prozent des gesamten Nettovermögens hält.
Der "blinde Fleck" beim Reichtum
Allerdings: Mit Blick auf die finanzielle Situation der Bevölkerung klafft in Deutschland eine Wissenslücke. Über die Verhältnisse armer Menschen haben Staat und Wissenschaft recht gute Kenntnis. Schließlich müssen alle, die hierzulande Sozialleistungen bekommen wollen, transparent sein. Bei den Reichen und Superreichen sieht das hingegen anders aus. In Deutschland gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, finanzielle Aktivitäten vollständig offenzulegen. Die Folge: ein „blinder Fleck der Vermögensverteilung“, sagt Ökonom Markus Grabka, der sich am DIW mit Vermögens- und Einkommensverteilung beschäftigt.
Zwar veröffentlichen Wirtschaftszeitschriften wie das "Manager Magazin" und "Forbes" regelmäßig Rankings der wohlhabendsten Deutschen. Darunter etwa Lidl-Gründer Dieter Schwarz und Unternehmerin und BMW-Erbin Susanne Klatten. Doch Grabka warnt: Solche Reichen-Listen müsse man „mit sehr großer Vorsicht behandeln“. Denn die Rankings beruhten lediglich auf Schätzungen. Die wiederum seien auch deshalb schwer, weil das Vermögen der Superreichen meist breit verteilt sei.
Neben Betriebsvermögen, einer Villa am Starnberger See und vermieteten Immobilien gehöre womöglich noch eine Urlaubslocation dazu oder ein ganzer Häuserblock in Chicago, führt Grabka beispielhaft aus. Zum Portfolio können auch Autos zählen und wertvolle Kunstsammlungen ebenso wie etwa Bankdepots, Anleihen und Aktien. Weil manche dieser Informationen nicht öffentlich zugänglich sind, kann nach Ansicht des Ökonomen der Schätzwert der Reichen-Listen „sehr ungenau ausfallen“.
Und auch Studien können nur teilweise Licht ins Dunkel bringen. Schließlich greifen sie lediglich auf freiwillige Befragungen zurück. Viele Deutsche am oberen Ende der Verteilungsskala sprechen jedoch nur ungern über ihren Reichtum.
Warum brauchen wir mehr Wissen über Superreiche?
Um bei der hohen Vermögensungleichheit im Land überhaupt gegensteuern zu können, braucht die Politik verlässliche Daten und Prognosen. Debatten über Verteilungsgerechtigkeit in der Gesellschaft benötigen belastbare Zahlen zur finanziellen Situation aller Menschen im Land, auch der Reichen und Superreichen. Dabei ist das Vermögen neben dem Einkommen „mit die wichtigste ökonomische Größe“, sagt Grabka. Er fordert deshalb mehr Transparenz - und sieht die Politik in der Pflicht, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Nur wenn Daten zum Vermögen erhoben würden, könne die Wissenschaft im Vorfeld politischer Entscheidungen kompetent beraten und Einschätzungen liefern.
Dazu kommt: Ein großes Vermögen bedeute Macht und Einfluss, sagt Grabka. Wer zum Beispiel als mittelständischer Unternehmer in einer Gemeinde für viele Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sorge, könne damit rechnen, dass seine Interessen von der dortigen Lokalpolitik besonders berücksichtigt werden. „Und das gibt natürlich am Ende des Tages Macht“, sagt der Ökonom. Wissen über Vermögensverteilung ist somit auch Wissen über Machtgefälle und Machtkonzentration in Deutschland. Es sei wichtig, dass die Wissenschaft zumindest nachvollziehen könne, wo sich letztere befinde.
Wissen kann Mythen entzaubern
Wissen über Reichtum kann helfen, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und Schieflagen zu erkennen. Ein Beispiel: Das Ost-West-Gefälle bei den Superreichen. In der DDR habe es nicht die Möglichkeit gegeben, ein hohes Vermögen aufzubauen, erklärt Andreas Bornefeld. Seit mehr als 35 Jahren sammelt der Politologe und professionelle Rechercheur Daten über die Vermögen superreicher Familien. Bornefeld kennt die Unternehmen, die hinter ihrem Reichtum stehen, weiß, wie viele Schlösser in einem Vermögen stecken und ob das Geld ererbt oder erarbeitet wurde.
Sein Archiv, das sich aus öffentlich zugänglichen Quellen speist, etwa Presseberichten und Registerdaten, ist weltweit einmalig und dient als Grundlage für Reichen-Rankings und Forschungen. Aufgenommen in die Liste werden Familien ab einem Vermögen von etwa 30 bis 40 Millionen Euro. Für Deutschland zählt Bornefeld etwa 8.000 superreiche Familien, darunter etwa 250 bis 300 Milliardärsfamilien.
Umgekehrt kann Wissen über Reichtum auch nützlich sein, um gängige Erzählungen zu entkräften. Etwa jene, „dass alles den Bach runtergeht“, sagt Bornefeld. „Das geben die Zahlen der großen Familienunternehmen überhaupt nicht her.“ Zwar gebe es einige Branchen, vor allem energieintensive wie die Automobil- und die Chemiebranche, die krankten. „Aber dem Rest geht es sehr, sehr gut.“ Die Gewinne der meisten Firmen seien noch immer sehr viel höher als in der Vor-Corona-Zeit.
Auf Basis seiner Daten unterscheidet der Politologe und Rechercheur außerdem zwischen echten Unternehmern, die zum Beispiel durch Arbeitsplätze einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen würden, und Erben. Wer lediglich Anteile an einem Unternehmen hält und zum Beispiel Dividenden bekommt, ohne jedoch operativ tätig zu sein, ist in Bornefelds Augen ein Leistungsnehmer - kein Leistungsträger. „Ich bekomme etwas, ohne etwas zu tun.“ Im Kampf gegen Vermögensungleichheit plädiert er deshalb dafür, vor allem bei ererbtem Vermögen anzusetzen. Er spricht sich dafür aus, Einkommen aus Arbeit und solches aus Vermögen gleich zu besteuern.
Wie könnte eine Vermögenssteuer helfen?
Aus Sicht von DIW-Forscher Markus Grabka ist vollständige Transparenz über die Vermögen in Deutschland nur mithilfe des Staates möglich. Ob die Wissenschaft mehr Daten über die ökonomische Situation der Bevölkerung erhalte, sei vor allen Dingen eine politische Entscheidung, sagt er. Ein möglicher Weg, der von Forschenden diskutiert wird, ist die Forderung nach einer Vermögenssteuer. Denn dann würde der Staat zumindest Daten über Vermögen erheben.
Auch Grabka spricht sich für eine Vermögenssteuer aus, und zwar mit einem Steuersatz von Null. Das Ziel wäre nicht etwa ein höheres Steueraufkommen, erklärt der Ökonom. Sondern der Kampf gegen die Vermögensungleichheit - gestützt auf Wissen. Das war schließlich schon einmal deutlich höher in Deutschland: nämlich bis zur Aussetzung der Vermögenssteuer 1996. Bis dahin hatte es ein sehr genaues Bild davon gegeben, wie reich die Superreichen hierzulande sind und was sie an Vermögenswerten haben. Forschende wie Grabka rechnen damit, dass eine Vermögenssteuer von null Prozent wieder „mehr Licht ins Dunkel“ bringen kann.
irs