Sonntag, 28. April 2024

Erbschaftsteuer
Wie kann Erben gerechter werden?

In Deutschland werden jährlich 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Doch die Staatseinnahmen aus Erbschaftsteuern sind gering. Wie könnte es gerechter sein? Auch das Bundesverfassungsgericht befasst sich wieder mit der Frage.

22.12.2023
    Hand hebt eine Servierglocke und enthüllt Geldhaufen für erfreute Geschäftsleute
    Wer hat, dem wird gegeben: In Deutschland haben Erben allen Grund zur Freude - vor allem je größer das Erbe ist. (imago / Ikon Images / Mark Airs)
    Wer Erfolg hat in unserer Gesellschaft, der hat viel geleistet – so die gängige Erzählung. Doch in den Zahlen spiegelt sich das kaum wider. Berechnungen des französischen Ökonomen Thomas Piketty zeigen: Knapp die Hälfte der Vermögen in Deutschland wird nicht erarbeitet, sondern vererbt.
    Erbschaften und Schenkungen fördern demnach Ungleichheit. Woran liegt das? Und wie könnte man das ändern?

    Inhalt

    Wie werden Erbschaften in Deutschland besteuert?

    Der deutsche Staat nahm im Jahr 2022 rund 895 Milliarden Euro Steuern ein. Davon kamen nur etwa 9 Milliarden aus der Erbschaftssteuer. Das ist bemerkenswert, weil in Deutschland Schätzungen zufolge jährlich etwa 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt werden. Weil es hohe Freibeträge gibt, wurden laut Statistischem Bundesamt 2022 nur etwa 60 Milliarden Euro an Erbschaften und Vermächtnissen steuerlich veranlagt. Außerdem ist die Besteuerung regressiv, das heißt: Je mehr man erbt, desto weniger Steuern zahlt man.
    "In Deutschland werden Erbschaften effektiv mit drei Prozent besteuert, Arbeit mit 30 Prozent", sagt Miriam Rehm, Professorin für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. "Wir stützen damit die Reichsten."

    Wie ist das Erben in anderen Ländern geregelt?

    Einer Studie der OECD von 2021 zufolge gibt es große Unterschiede im Erbschafstrecht zwischen den Ländern. Während in Deutschland der Anteil der steuerpflichtigen Nachlässe bei 10,1 Prozent lag, lag er in den USA bei 0,2 Prozent und im Vereinigten Königreich bei 3,9 Prozent. Am höchsten war der Anteil in Belgien (48 Prozent) und in der Schweiz (12,7 Prozent). Österreich hat die Erbschaft- und Schenkungssteuer im Jahr 2008 abgeschafft.
    In Belgien konnten Eltern an ihre Kinder 17.000 US-Dollar steuerfrei vererben, in den USA bis zu über 11 Millionen US-Dollar. In Deutschland liegt der Freibetrag bei 400.000 Euro, zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern beträgt er 500.000 Euro.

    Welche Kritik gibt es am deutschen Erbschaftsteuerrecht?

    Das Bundesverfassungsgericht hat das Erbschaftsteuerrecht bereits zweimal für verfassungswidrig erklärt. 2006 zum ersten Mal, weil es den "Anforderungen des Gleichheitssatzes nicht genügt". Gemeint waren die Steuerbefreiungen beim Vererben von Betrieben.
    2008 kam es zur Reform, doch sechs Jahre später entschieden die Richter in Karlsruhe, dass das nicht genügte. Ausnahmen von der Steuer für das Verschenken oder Vererben von Betrieben sind zwar grundsätzlich möglich, hieß es. Unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig ist allerdings, dass Erben von Großbetrieben verschont werden, ohne dass überhaupt geprüft wird, ob das wirtschaftlich notwendig ist.

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    Erneut musste der Bundestag das Erbschaftssteuergesetz reformieren. Er tat dies Ende 2016. Nun wird dieses Gesetz erneut vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Ein Mann aus Bayern klagt dagegen, dass sein Erbe von 67.000 Euro höher versteuert wird als Firmenerbschaften in Millionenwert.
    Auch der Verein Finanzwende kritisiert das Missverhältnis: Seit 2009 sei über 77 Milliarden Euro Erbschaftssteuer nicht gezahlt worden, sagt Gerhard Schick vom Vereinsvorstand. „Das heißt: Es ist den Milliardären gelungen, sich Privilegien zu erstreiten, die es laut unserer Verfassung nicht geben dürfte. Und das ist empörend.“
    Die Zahl basiert auf dem Subventionsbericht der Bundesregierung. Allein in den vergangenen vier Jahren wurden laut den aktuellen Berichten durch die Verschonungsregelungen rund 21 Milliarden Euro an möglichen Steuern nicht eingenommen. Zusätzlich wird seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben.
    Auch die OECD kritisiert die deutsche Steuerpolitik: Erbschaftsteuern könnten ein wichtiges Instrument sein, um der Ungleichheit entgegenzuwirken, heißt es, doch beim Erzielen von Einnahmen und dem Abbau von Ungleichheit blieben sie unter ihrem Potenzial.
    Innovative leistungsfähige Nicht-Erben sind auch nach Einschätzung der OECD wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt als Unternehmenserben, die keine Leistung erbracht haben.

    Welche Rechtfertigung gibt es für die Erlasse der Erbschaftsteuer?

    Das beliebteste Argument für die Steuer-Erlasse ist die Sicherung von Arbeitsplätzen. Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des arbeitgebernahen ifo-Instituts, sieht darin aber keine Gefahr: „Ich denke, dass eine moderate Erbschaftssteuer schon Teil eines insgesamt optimalen Steuersystems sein kann. Das heißt: Wenn man moderat auch Betriebsvermögen besteuert, dann wird das keine dramatischen Folgen für Arbeitsplätze haben.“
    Roland Franke von der Lobbyorganisation "Stiftung Familienunternehmen" führt ein zweites Argument an: Ohne Ausnahmeregelungen hätten Erben oft nicht das Geld, um Erbschaftsteuern zu bezahlen, im schlimmsten Fall müssten Unternehmen verkauft werden.
    Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit erwidert: Die Steuern könnten auch über einen langen Zeitraum in Raten abbezahlt werden, wie etwa bei einem Kredit, den ein Nicht-Erbe aufnimmt, um ein Unternehmen zu gründen.

    Wie könnte Erbschaft gerechter geregelt sein?

    Das Netzwerk Steuergerechtigkeit ist gegen die Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftsteuer und für eine progressive Besteuerung.
    Clemens Fuest vom ifo-Institut macht einen anderen Vorschlag: "Eine faire Erbschaftssteuer kann nur eine Steuer mit niedrigem Steuersatz sein, ich sag mal zehn Prozent als Beispiel, aber dann wirklich auf alles, auch auf Betriebsvermögen, keinerlei Sonderbehandlung von Betriebsvermögen. Jeder, der erbt, wird gleich behandelt."
    Der Volkswirt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt vor, dass jeder junge Erwachsene ein Grunderbe vom Staat bekommen soll, nämlich 20.000 Euro. Das wäre durch höhere Erbschaftssteuern für Superreiche finanzierbar.
    Die Jusos fordern ein noch höheres Grunderbe. Alle 18-Jährigen mit Hauptwohnsitz in Deutschland sollen vom Staat 60.000 Euro bekommen. Für einen entsprechenden Antrag hat die Jugendorganisation der SPD auf ihrem Bundeskongress im November gestimmt. Nach Berechnung der Jusos würde dies rund 45 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Finanziert werden soll das durch eine Reform der Erbschaftsteuer.
    Nach einem Freibetrag von knapp einer Million Euro fordern die Jusos eine Steuer von zehn Prozent. Der Steuersatz solle dann stufenweise steigen: Die zweite Million solle mit 20 Prozent besteuert werden, ab der neunten Million würde ein Spitzensteuersatz von 90 Prozent greifen.

    Welche politischen Bestrebungen gibt es für eine Reform?

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Freibeträge um 25 Prozent anheben, die Union sogar um zwei Drittel. Im diesem Jahr beriet der Bundestag über zwei Anträge zum Erbschaftsrecht: Die Linke wollte die Vergünstigungen für große Unternehmenserbschaften streichen, die AfD wollte die Erbschaftsteuer ganz abschaffen. Für beide Anträge fand sich Ende November keine Mehrheit.
    Wie die Bundesregierung das Erbschaftsrecht reformieren wird, entscheidet sich wohl erst nach dem nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts.