Erbschaftssteuer
So kann Erben gerechter werden

Knapp die Hälfte der Vermögen in Deutschland wird nicht erarbeitet, sondern vererbt – und kaum besteuert. Das Erbschaftssteuerrecht widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, urteilte bereits das Bundesverfassungsgericht. Wie lässt es sich gerechter machen?

    Hand hebt eine Servierglocke und enthüllt Geldhaufen für erfreute Geschäftsleute
    Wer hat, dem wird gegeben: In Deutschland haben Erben allen Grund zur Freude, denn sie werden nur sehr moderat besteuert. (imago / Ikon Images / Mark Airs)
    Wer Erfolg hat in unserer Gesellschaft, der hat viel geleistet – so die gängige Erzählung. Doch in den Zahlen spiegelt sich das kaum wider. Berechnungen des französischen Ökonomen Thomas Piketty zeigen: Knapp die Hälfte der Vermögen in Deutschland wird nicht erarbeitet, sondern vererbt.
    Erbschaften und Schenkungen fördern demnach Ungleichheit. Woran liegt das? Und wie könnte man das ändern?

    Inhalt

    Wie viel erben Menschen in Deutschland?

    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2021 Zahlen zu Erbschaften und Schenkungen in Deutschland veröffentlicht. Das Ergebnis: Die meisten Deutschen erben entweder gar nichts oder sogar Schulden. Nur zehn Prozent der Befragten sagten, dass sie in den letzten 15 Jahren eine Erbschaft oder Schenkung erhalten haben. Es sind also wenige, die von Erbschaften oder Schenkungen profitieren.
    Meistens werden Geld, Immobilien, Unternehmen oder Wertgegenstände vererbt oder verschenkt. Der durchschnittliche Betrag, den man in Deutschland erbt, liegt bei 32.000 Euro.
    Laut dem DIW bekommen vor allem die Menschen große Erbschaften und Schenkungen, die schon vorher viel Geld oder Besitz hatten. Dadurch sammelt sich das Vermögen bei wenigen Menschen an. Im Vergleich dazu erben Menschen mit wenig Geld auch nur wenig, was den Unterschied zwischen Arm und Reich noch größer macht.
    Menschen im Osten besitzen und vererben außerdem weniger als Menschen im Westen. Das liegt daran, dass in der DDR Privateigentum nur in kleinem Maße geduldet wurde. Vermögen aufzubauen, war nur schwer möglich. Nach der Wende wurden staatliche Unternehmen privatisiert. Davon profitierten vor allem Menschen aus dem Westen.

    Wie werden Erbschaften in Deutschland besteuert?

    Der deutsche Staat nahm im Jahr 2022 rund 895 Milliarden Euro Steuern ein. Davon kamen nur etwa neun Milliarden aus der Erbschaftssteuer. Das ist bemerkenswert, weil in Deutschland Schätzungen zufolge jährlich etwa 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt werden.
    Auch weil es hohe Freibeträge gibt, wurden laut Statistischem Bundesamt 2022 aber nur etwa 60 Milliarden Euro an Erbschaften und Vermächtnissen steuerlich veranlagt. So muss zum Beispiel die Ehefrau eines Verstorbenen auf die ersten 500.000 Euro Erbe überhaupt keine Steuer zahlen. Erst auf die nächsten 75.000 Euro Erbwert zahlt sie sieben Prozent. Die Steuerlast wird dann in Schritten sukzessive erhöht, je mehr sie erbt - bis bei mehr als 26 Millionen Euro schließlich der Spitzensteuersatz von 30 Prozent erreicht ist.

    Unterschiedlich hohe Freibeträge

    Wer weniger nah oder gar nicht mit dem Verstobenen verwandt ist, für den gelten im Erbfall niedrigere Freibeträge und höhere Steuersätze: Ein Schwiegersohn beispielsweise profitiert nur von 20.000 Euro Freibetrag. Alles darüber hinaus muss er versteuern.
    Obwohl die Steuersätze also mit der Höhe des Erbes steigen, zahlen oft jene, die am meisten erben, im Verhältnis am wenigsten Steuern. Das liegt daran, dass es beim Vererben von Untenehmensanteilen umfangreiche Ausnahmen gibt - anders als für Omas Sparkonto.*
    "In Deutschland werden Erbschaften effektiv mit drei Prozent besteuert, Arbeit mit 30 Prozent", sagt Miriam Rehm, Professorin für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. "Wir stützen damit die Reichsten."

    Wie ist das Erben in anderen Ländern geregelt?

    Einer Studie der OECD von 2021 zufolge gibt es große Unterschiede im Erbschafstrecht zwischen den Ländern. Während in Deutschland der Anteil der steuerpflichtigen Nachlässe bei 10,1 Prozent lag, lag er in den USA bei 0,2 Prozent und im Vereinigten Königreich bei 3,9 Prozent. Am höchsten war der Anteil in Belgien (48 Prozent) und in der Schweiz (12,7 Prozent). Österreich hat die Erbschaft- und Schenkungssteuer im Jahr 2008 abgeschafft.
    In Belgien konnten Eltern an ihre Kinder 17.000 US-Dollar steuerfrei vererben, in den USA bis zu über 11 Millionen US-Dollar. In Deutschland liegt der Freibetrag bei 400.000 Euro, zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern beträgt er 500.000 Euro.

    Welche Kritik gibt es am deutschen Erbschaftsteuerrecht?

    Das Bundesverfassungsgericht hat das Erbschaftsteuerrecht bereits zweimal für verfassungswidrig erklärt. 2006 zum ersten Mal, weil es den "Anforderungen des Gleichheitssatzes nicht genügt". Gemeint waren die Steuerbefreiungen beim Vererben von Betrieben.
    2008 kam es zur Reform, doch sechs Jahre später entschieden die Richter in Karlsruhe, dass das nicht genügte. Ausnahmen von der Steuer für das Verschenken oder Vererben von Betrieben sind zwar grundsätzlich möglich, hieß es. Unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig ist allerdings, dass Erben von Großbetrieben verschont werden, ohne dass überhaupt geprüft wird, ob das wirtschaftlich notwendig ist.

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    Erneut musste der Bundestag das Erbschaftssteuergesetz reformieren. Er tat dies Ende 2016. Nun wird dieses Gesetz erneut vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Ein Mann aus Bayern klagt dagegen, dass sein Erbe von 67.000 Euro höher versteuert wird als Firmenerbschaften in Millionenwert.
    Auch der Verein Finanzwende kritisiert das Missverhältnis: Seit 2009 sei über 77 Milliarden Euro Erbschaftssteuer nicht gezahlt worden, sagt Gerhard Schick vom Vereinsvorstand. „Das heißt: Es ist den Milliardären gelungen, sich Privilegien zu erstreiten, die es laut unserer Verfassung nicht geben dürfte. Und das ist empörend.“

    Kritik von der OECD

    Die Zahl basiert auf dem Subventionsbericht der Bundesregierung. Allein in den vergangenen vier Jahren wurden laut den aktuellen Berichten durch die Verschonungsregelungen rund 21 Milliarden Euro an möglichen Steuern nicht eingenommen. Zusätzlich wird seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben.
    Auch die OECD kritisiert die deutsche Steuerpolitik: Erbschaftsteuern könnten ein wichtiges Instrument sein, um der Ungleichheit entgegenzuwirken, heißt es, doch beim Erzielen von Einnahmen und dem Abbau von Ungleichheit blieben sie unter ihrem Potenzial.
    Innovative leistungsfähige Nicht-Erben sind auch nach Einschätzung der OECD wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt als Unternehmenserben, die keine Leistung erbracht haben.

    Welche Rechtfertigung gibt es für die Erlasse der Erbschaftsteuer?

    Das beliebteste Argument für die Steuer-Erlasse ist die Sicherung von Arbeitsplätzen. Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des arbeitgebernahen ifo-Instituts, sieht darin aber keine Gefahr: „Ich denke, dass eine moderate Erbschaftssteuer schon Teil eines insgesamt optimalen Steuersystems sein kann. Das heißt: Wenn man moderat auch Betriebsvermögen besteuert, dann wird das keine dramatischen Folgen für Arbeitsplätze haben.“
    Roland Franke von der Lobbyorganisation "Stiftung Familienunternehmen" führt ein zweites Argument an: Ohne Ausnahmeregelungen hätten Erben oft nicht das Geld, um Erbschaftsteuern zu bezahlen, im schlimmsten Fall müssten Unternehmen verkauft werden.
    Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit erwidert: Die Steuern könnten auch über einen langen Zeitraum in Raten abbezahlt werden, wie etwa bei einem Kredit, den ein Nicht-Erbe aufnimmt, um ein Unternehmen zu gründen.

    Wie könnte Erbschaft gerechter geregelt sein?

    Das Netzwerk Steuergerechtigkeit ist gegen die Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftsteuer und für eine progressive Besteuerung.
    Clemens Fuest vom ifo-Institut macht einen anderen Vorschlag: "Eine faire Erbschaftssteuer kann nur eine Steuer mit niedrigem Steuersatz sein, ich sag mal zehn Prozent als Beispiel, aber dann wirklich auf alles, auch auf Betriebsvermögen, keinerlei Sonderbehandlung von Betriebsvermögen. Jeder, der erbt, wird gleich behandelt."

    Ein Grunderbe für jeden

    Der Volkswirt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt vor, dass jeder junge Erwachsene ein Grunderbe vom Staat bekommen soll, nämlich 20.000 Euro. Das wäre durch höhere Erbschaftssteuern für Superreiche finanzierbar.
    Die Jusos fordern ein noch höheres Grunderbe. Alle 18-Jährigen mit Hauptwohnsitz in Deutschland sollen vom Staat 60.000 Euro bekommen. Für einen entsprechenden Antrag hat die Jugendorganisation der SPD auf ihrem Bundeskongress im November gestimmt. Nach Berechnung der Jusos würde dies rund 45 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Finanziert werden soll das durch eine Reform der Erbschaftsteuer.
    Nach einem Freibetrag von knapp einer Million Euro fordern die Jusos eine Steuer von zehn Prozent. Der Steuersatz solle dann stufenweise steigen: Die zweite Million solle mit 20 Prozent besteuert werden, ab der neunten Million würde ein Spitzensteuersatz von 90 Prozent greifen.

    Welche politischen Bestrebungen gibt es für eine Reform?

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Freibeträge um 25 Prozent anheben, die Union sogar um zwei Drittel. 2023 beriet der Bundestag über zwei Anträge zum Erbschaftsrecht: Die Linke wollte die Vergünstigungen für große Unternehmenserbschaften streichen, die AfD wollte die Erbschaftsteuer ganz abschaffen.
    Für beide Anträge fand sich keine Mehrheit. Wie die Bundesregierung das Erbschaftsrecht reformieren wird, entscheidet sich wohl erst nach dem nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

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     * In der ursprünglichen Fassung stand an dieser Stelle eine falsche Aussage über die Erbschaftssteuer. Wir haben sie korrigiert.