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Unicef-Bericht
Flüchtlingsunterbringung nicht kindgerecht

Laut einer Untersuchung von Unicef werden die Bedürfnisse von Kindern in deutschen Flüchtlingsunterkünften nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem seien die Kinder viel zu lange in den Einrichtungen - das gefährde die Integration, heißt es in dem Bericht.

Von Susanne Arlt | 21.03.2017
    Farbfoto von zwei Personen, die in einem Hausflur stehen und in die Kamera lächeln. Es sind ein kleines ca. siebenjähriges Mädchen und ihr erwachsener Bruder, Flüchtlinge aus Syrien.
    Kinder sind zu lange in Flüchtlingsunterkünften, kritisiert die Unicef. ((c) dpa/Michael Kappeler)
    350.000 Kinder sind in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Eltern nach Deutschland geflüchtet. Ihre erste Bleibe finden sie in den so genannten Notunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen. Dort ist ihnen ein Schlafplatz sicher, sie werden mit Essen versorgt, sie sind in Sicherheit. Dass all diese Kinder sofort ein Obdach erhalten hätten, sei eine enorme Leistung aller Beteiligten, lobt UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider den Bund, die Länder, die Kommunen und die vielen freiwilligen Helfer. Trotzdem würden ihre besonderen Bedürfnisse und ihre Rechte als Kinder dabei viel zu oft übersehen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die die Kinderschutzorganisation gemeinsam mit dem Bundesfachverband unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge durchgeführt hat. Die Umfrage unter knapp 450 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern von Flüchtlingsunterkünften und 18 geflüchteten Familien sei zwar nicht repräsentativ, betont Schneider. Aber sie zeige vor allem eins: die Umstände in den Einrichtungen seien oft alles andere als kindgerecht.
    "Das fängt damit an, dass in sehr vielen Unterkünften die Familien und damit auch die Kinder in nicht separaten, nicht abschließbaren Wohneinheiten sind. Das geht dann weiter, indem sich diese Familien oft mit vielen Familien die sanitären Anlagen teilen müssen. Das mündet dann in Klagen über die hygienischen Zustände. Etwa ein Viertel der Mitarbeiter hat angegeben, dass sie die Zustände für bedenklich halten. Aus Sicht von Unicef ist vielleicht noch wichtiger, dass wir erfahren haben, dass 39 Prozent der Mitarbeiter angeben, dass die Toiletten oder Duschen nicht abschließbar sind. Was wiederum eine Quelle für Gefahr für die Kinder ist und sicherlich nicht im Sinne des Kinderschutzes."
    Konzept von Bundesfamilienministerium und Unicef
    Ob es aufgrund dieser Umstände in den vergangenen zwei Jahren zu mehr Gewaltübergriffen auf Kinder gekommen sei, darüber gebe es leider keine Studien, sagte Schneider. Ihm ist es darum wichtig, auf diese Gefahrenquellen hinzuweisen. Der UNICEF-Geschäftsführer kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte. In vielen der befragten Einrichtungen gebe es noch immer kein umfassendes Schutzkonzept.
    "Es gibt Vorlagen dafür. Unicef hat gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium ein sehr umfassendes Gewaltschutzkonzept mit Mindeststandards entwickelt. Das hebt zum Beispiel darauf ab, dass man die sanitären Anlagen, die Unterbringung der Familien verbessert, dass es geschultes Sicherheitspersonal, auch weibliches Sicherheitspersonal in den Einrichtungen gibt. Dass sind umfassende Schritte, um eben in diesem kritischen Zeitraum die Situation der Kinder und Jugendlichen deutlich zu verbessern."
    Ein weiterer Knackpunkt: Das Asylrecht wurde in den vergangenen zwei Jahren mehrfach verändert. Leider nicht zum Wohle der Kinder, sagt Schneider. So sie die maximale Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monate verdoppelt worden. Ein Drittel der Befragten hätte angegeben, dass ihr Leben in diesen Unterkünften deutlich über diesem Zeitraum liege. In manchen Fällen sogar bis zu einem Jahr.
    "Das ist definitiv eine zu lange Zeit, um über Integration und eine normale Kindheit sprechen zu können."
    Mehrere Schuljahre verpasst
    Jede Flucht sei für ein Kind ein traumatisches Ereignis, sagt Schneider. Viele der 350.000 Kinder stammten aus Herkunftsländern, in denen sie mehrere Jahre lang Krieg oder Vertreibung ausgesetzt waren. Für die Rückkehr in ein normales Kinderleben sei die Schulbildung einer der wichtigsten Schlüssel.
    "Und das ist gerade in den Erstaufnahmeeinrichtungen bisher ausgeschlossen. In vielen Bundesländern dürfen die Kinder erst nach der Zuweisung in eine Kommune die Schule besuchen. Und das ist viel zu spät, wenn man bedenkt, dass viele der Kinder, die ich auch persönlich getroffen habe, ein, zwei oder drei Schuljahre schon verpasst haben."
    Hinzu kommt, dass durch das föderale Bildungssystem die Situation von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ist. In Flächenstaaten wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt beginnt die Schulpflicht erst nach sechs Monaten. In Stadtstaaten wie Berlin, Bremen oder Hamburg dagegen unmittelbar nach der Ankunft der Flüchtlingskinder.
    "Das macht es natürlich schwierig, weil für die Kinder im Grunde ein wenig vom Zufall abhängt, wo sie aufgenommen werden und ob sie in die Schule gehen können und das macht für jedes Kind, das hier ankommt, gleich aus welchem Herkunftsland einen Riesenunterschied."
    Und so kommt die Studie zu dem Schluss: Das Leben der Kinder in den Unterkünften auf maximal drei Monate zu begrenzen und ihnen von Anfang an einen Schulplatz zu garantieren.