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Unliebsame Berichterstatter

Das Gebäude des griechischen Senders ERT wurde nach seiner Schließung im Sommer nun geräumt. Angeblich sei die ERT hoch defizitär, so die konservative Führung des Landes. Kritiker sehen die Gründe für die Schließung woanders. Die linksradikale Opposition hat deswegen ein Misstrauensvotum gegen die Regierung beantragt.

Von Alkyone Karamanolis | 09.11.2013
    Die Räumung des Athener Funkhauses lag seit Wochen in der Luft. Deshalb hatten die Besetzer den Spot schon fertig, der gleich nach der Räumung in Endlosschleife über ihren Live-Stream verbreitet wurde. Zur Stunde, so hießt es da, sei die Staatsanwaltschaft vor Ort. Dies sei ein kritischer Augenblick im Kampf für die Demokratie, und: Jeder solle zum Funkhaus kommen. Bürger aller Altersgruppen folgten dem Aufruf spontan:

    "Ich bin hier, um meinen Beistand zu bekunden. Ich habe das Programm mitverfolgt. Es war wesentlich besser als früher, denn es war frei von politischer Gängelung. So wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk eben sein soll."

    "Was hier passiert, wird auf das übrige Europa übergreifen. Ziel ist nicht Griechenland oder der griechische Rundfunk. Sie werden sehen, dass zum Beispiel aufgrund wirtschaftlicher Krisen in anderen Ländern nach und nach dasselbe passieren wird."

    Dabei hatte die Regierung in Athen so handliche Argumente präsentiert, als sie im Sommer das Signal ihres eigenen Staatsrundfunks kappte. Ein Sündenpfuhl sei die ERT gewesen und ein Hort der Günstlingswirtschaft. Dabei unterschlug sie, dass sie kein Jahr zuvor selbst gut zwei Dutzend Parteifreunde mit Posten versorgt hatte. Das andere Argument lautete auf Verschwendung. Auch dieses Argument wurde bald entkräftet. Auch Giorgos Pleios, Leiter des Instituts für Medienwissenschaft an der Universität Athen, widerspricht dezidiert:

    "Die ERT war auf gar keinen Fall defizitär, das muss betont werden. Sie hat allein im ersten Halbjahr 2013 55 Millionen Euro Gewinn gemacht. Die Privatsender sind die großen Schuldner. Sie haben seit ihrer Gründung vor bald 25 Jahren niemals korrekt für ihre Sendelizenzen gezahlt. Wie viel dem Staat bisher dadurch entgangen ist, kann nur gemutmaßt werden, Schätzungen sprechen aber von einer Summe zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden Euro."

    Hinzu kommt, dass seit dem Sommer in Griechenland keine Rundfunkgebühr mehr erhoben wird. Die Kosten für den Interimssender, der seit August ausstrahlt, werden aus dem mageren griechischen Staatshaushalt bestritten. Wenn die Schließung der ERT dem griechischen Staat finanziell also geschadet hat, dann müssen die Gründe woanders liegen. Die griechische Regierung habe die ERT geschlossen, weil sie nicht mehr die absolute Kontrolle über die Journalisten hatte, sagt etwa der Medienwissenschaftler Pleios. Ein weiterer Grund könnte mit der Ausschreibung der digitalen Sendefrequenzen zu tun haben. Die ERT wurde ausgerechnet kurz vor Beginn der Verhandlungen über die Konditionen der Ausschreibung geschlossen. Damit war der Ring frei für die Privaten. Mächtigster Bieter ist nämlich ein Konsortium, das sich aus den großen griechischen Privatsendern zusammensetzt. Ausländische Bieter hingegen wurden durch Klauseln, die Teilnahme für sie unattraktiv bis unmöglich machen, ausgeschlossen, so der Vorwurf von Nikos Mihalitsis, ehemals technischer Direktor der ERT. Mihalitsis spricht von einem unlauteren Wettbewerb und von einem weiteren Gefallen der Regierung an die Privaten.

    "Die Eigentümer der Privatsender sind nicht irgendwer. Sie sind große Bauunternehmer, Reeder und so fort, und sie kontrollieren auch die meisten Zeitungen. Sie stellen also unkritische Berichterstattung sicher, und die Regierung honoriert sie zum Beispiel mit Aufträgen. In Griechenland haben wir dafür ein eigenes Wort erfunden. "Diaploki", das heißt: "Verflechtung von Interessen"."

    Bis 2030 werden die Frequenzen vergeben. Die Gebote starten bei 18,5 Millionen Euro. Sollte sich nur ein Bieter finden, würde der griechische Staat also ein weiteres Minusgeschäft machen, beklagt Mihalitsis und vermutet den wahren Mehrwert des Deals woanders, nämlich bei der Kontrolle der öffentlichen Meinung. Mit dieser Ansicht ist der ERT-Mann nicht allein. Die Probleme der griechischen Medienlandschaft spiegeln sich auch im Index der Pressefreiheit wider. Dort ist Griechenland inzwischen auf Platz 84 hinabgerutscht. Dazu passt auch das Bild der Abendnachrichten der ERT. Die werden inzwischen vom Bürgersteig vor dem Funkhaus aus gesendet. Moderatorin Aglaia Kyritsi sitzt in Anorak und Schal an einem provisorisch aufgebauten Tisch, umringt von Polizisten in schwerer Montur.