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UNO-Resolution zu Chemiewaffen
"Wir brauchen die amerikanisch-russische Zusammenarbeit"

Bei der UNO-Resolution zu syrischen Chemiewaffen haben die USA und Russland an einem Strang gezogen, sagte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im DLF. Diese Zusammenarbeit der beiden Großmächte sei auch weiterhin nötig, denn viele Konflikte in der Welt ließen sich nur gemeinsam lösen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 08.08.2015
    SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich.
    SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich. (dpa/Michael Kappeler)
    Jürgen Zurheide: Die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates lässt aufhorchen: eine Resolution zu syrischen Chemiewaffen, vor allen Dingen einstimmig, wie es denn eben im Sicherheitsrat notwendig ist, und das nach langem Ringen. Dass es dort Einsätze gegeben hat von Chemiewaffen, ist völlig klar, dass dort Untersuchungen stattgefunden haben, ist auch klar. Allerdings: jetzt sucht man auch diejenigen, die möglicherweise dafür verantwortlich sind, und das ist neu. Und der Sicherheitsrat hat lange gebraucht, um solche Entscheidungen zu treffen. Über dieses Thema wollen wir reden mit dem Außenpolitiker der SPD, Rolf Mützenich, den ich zunächst einmal am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Mützenich!
    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Mützenich, was überwiegt heute Morgen bei Ihnen, Erleichterung, dass es endlich zu dieser Entscheidung gekommen ist, oder Ärger darüber, dass es so lange gedauert hat?
    Mützenich: Auf jeden Fall bin ich froh, dass zwei wichtige Länder wie die USA und Russland, die sich ja bisher eher im Wege gestanden haben, wenn es um eine diplomatische Lösung der Syrienkrise gegangen ist, sich verständigt haben. Man darf das alles nicht überbewerten, aber es ist zumindest auch ein Zeichen dafür, dass mehr drin ist, und wir brauchen eine diplomatische Behandlung. Und wenn Russland sich eben auch bereit findet, hier den Sicherheitsrat als Institution zu nutzen, ist das schon ein wichtiger Hinweis.
    Zurheide: Jetzt haben Sie es gerade diplomatisch zurückhaltend ausgedrückt, zwei Länder, die sich im Wege standen, man könnte auch sagen, die den Sicherheitsrat lahmgelegt haben, deshalb will ich zunächst mal bei diesem Teil bleiben, dass die USA und Russland da wieder zusammenarbeiten - ich zögere jetzt, das auszusprechen: Arbeiten sie wieder zusammen?
    Mützenich: Das glaube ich schon. Sie reden miteinander, und dieses Reden zeigt ja offensichtlich auch Ergebnisse, und ich glaube, eines der Motive hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass die Iran-Verhandlungen über lange Jahre gezeigt haben, dass diese Länder beieinander geblieben sind. Die USA und Russland waren die entscheidenden Player bei einer Vereinbarung mit dem Iran letztlich gewesen, und ich glaube, da ist auch Vertrauen gewachsen. Es ging ja nicht nur um die Verhandlungen mit dem Iran selbst, sondern ob die sechs Mitglieder - eben einschließlich Deutschland - und die Sicherheitsratsmitglieder zu einem Ergebnis finden und beieinander bleiben, bei ganz unterschiedlichen Betrachtungen. Und das ist gelungen und das hat, glaube ich, durchaus auch hier in diesem Zusammenhang der Untersuchung von Giftgasangriffen in Syrien geholfen.
    Belastbare Vereinbarungen
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade den Iran schon angesprochen, das war so eine Art Türöffner möglicherweise für weitere Dinge. Ist das noch Hoffnung oder eine begründete Hoffnung?
    Mützenich: Es ist durchaus eine begründete Hoffnung, wenn es eben auch dabei bleibt, dass in den USA - wir sehen ja eine innenpolitische Auseinandersetzung - aber auch im Iran am Ende die Vereinbarung belastbar bleibt. Da kommt viel auf die USA, aber eben auch auf Russland zu. Bestimmte Stoffe müssen ja auch zurückgebracht werden, möglicherweise ist Russland eines dann der Empfängerländer, und hier, glaube ich, geht es letztlich auch darum, dass diese Regierungen eben merken, sie sind aufeinander angewiesen und müssen eben auch in anderen Feldern kooperieren. Das wird wahrscheinlich nicht dazu führen, dass wir eine komplett internationale Entspannung haben, aber dass man sich zumindest Themen aussucht und versucht, sie dann konstruktiv zu behandeln, ist ein wichtiger Schritt. Und wir sollten von Europa, wir sollten vonseiten Deutschlands aus alles tun, damit das auch gelingt.
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade schon die innenpolitische Debatte in den Vereinigten Staaten angesprochen, da muss man nun allerdings mit einiger Sorge hinschauen. US-Präsident Obama hat nicht die Unterstützung der Republikaner, das konnte man nicht erwarten, aber jetzt gehen ihm eigene Leute ja von der Fahne. Mit welchen Sorgen schauen Sie da im Moment hin?
    Mützenich: Große Sorgen, weil wir brauchen die USA, und im Grunde genommen geht es ja nicht nur darum, dass die US-Administration dahintersteht, sondern eben auch Teile der politischen Öffentlichkeit, und da ist es schon wichtig, dass es nicht im allein innenpolitischen Streit betrachtet wird. Wir tun alles dafür, auch Überzeugungsarbeit im Kongress mit zu leisten - das tut die deutsche Botschaft, das tun aber auch andere europäische Botschaften - und ich glaube, es spricht eine Menge an Argumenten dafür, dass wir auch überzeugen wollen. Nur das Problem ist, wir sehen das bei den Diskussionen der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, aber auch der innenpolitischen Diskussion, wenn auf einzelne Abgeordnete Druck ausgeübt wird. Hier geht es um Innenpolitik, und das ist durchaus eine Belastung, aber wir dürfen nicht vergessen, auch im Iran wird es in dem nächsten Jahr eine Parlamentswahl geben, aber hier ist der Entscheidungsprozess in der Tat ein anderer.
    Zurheide: Schauen wir noch mal auf das Verhältnis zwischen den USA und Russland: In dem Fall ist das jetzt so eine Art Normalität, Normalität angesichts von schwierigen Rahmenbedingungen, Stichwort Ukraine, oder wie würden Sie das bezeichnen?
    Mützenich: Es ist zumindest eine Arbeitsbeziehung, Normalität würde ich es einfach noch nicht nennen. Zu Normalität gehört letztlich eben auch Vertrauen mit dazu, und das finden wir nicht, und es kann ganz leicht auch wieder zurückschlagen. Wir sind nicht sicher, ob wir in der Ukrainekrise, in der Situation auch der Verständigung zwischen Russland und den USA - und das spielt ja durchaus eben auch eine große Rolle - zu einer Verständigung kommen können. In der innenpolitischen Debatte in den USA müssen wir erleben, dass die Befürworter von Waffenlieferungen in die Ukraine, aber auch einer ständigen Stationierung in osteuropäischen Ländern zurzeit die Mehrheit haben, da ist Präsident Obama eben einer der wenigen, ich finde besonnenen Stimmen letztlich in diesem Zusammenhang. Ich hoffe, dass diese Vereinbarung, die Russland und die USA gefunden haben über eine Syrienresolution, hier vielleicht auch hilft, in den USA mit zu überzeugen, dass mit Russland auch zusammengearbeitet werden muss. Bei allen Problemen und auch Verletzungen des Völkerrechts.
    Zurheide: Was kann Europa tun, damit es eben nicht zu einer weiteren Stufe der Eskalation kommt, oder müssen wir die Sorge haben, dass manche in Amerika vielleicht auch gerne diese Eskalation hier in Europa sehen?
    Unterstützung der Mitgliedsstaaten
    Mützenich: Wir haben geringen Einfluss, aber den Einfluss, den wir nutzen können in Gesprächen mit Senatoren, mit Mitgliedern des Repräsentantenhauses, mit der gesamten politischen Meinungsbildung in den USA, das spielt schon eine Rolle. Und ich glaube, wir können ja auch unsere Kontakte, die wir in Richtung Russland haben, auch nutzen, zu sagen, das ist genau der richtige Schritt, das brauchen wir, um letztlich eben auch zur Verständigung in anderen Bereichen zu kommen. Wir werden jetzt sehen, wenn diese Resolution dann auch endgültig beschlossen wird, ob der Generalsekretär auch die notwendige Unterstützung von den Mitgliedsstaaten bekommt und ob dann eben auch die Möglichkeit wieder besteht wie damals in Genf, zu einer diplomatischen Lösung in dieser schrecklichen Situation, die die Menschen in Syrien erleiden müssen, endlich wieder zu kommen. Hier sind die Vereinten Nationen gefordert, und das war das Gremium gewesen, was wir nach 1945 als eben auch Konfliktlöser angedacht haben, dafür brauchen wir aber eben auch Russland und die USA.
    Zurheide: Ich hatte gerade gefragt - und da sind Sie jetzt nicht drauf eingegangen - gibt es in den Vereinigten Staaten Kräfte, die durchaus Konflikte, auch militärisch, in Europa anheizen wollen, oder ist das zu zugespitzt gefragt?
    Mützenich: Es gibt diese Kräfte, sie sind nicht bestimmend, aber diese Stimmen spielen in den Medien nach meinem Kenntnisstand auch immer wieder eine Rolle, die relativ leichtfertig über die Frage von Waffenlieferungen eben auch bereit sind und glauben, eine solche Konfrontation sei eingrenzbar. Ich teile das überhaupt nicht, ich empfinde dies als auch letztlich gefährliche Situation, die nach Europa hineingetragen würde. Wir sehen in den Nachrichten des VOX-Senders, aber eben auch konservativen Denkfabriken, dass solche Überlegungen immer wieder gemacht werden, und davor dürfen wir nicht nur warnen, sondern wir müssen auch deutlich widersprechen.
    Zurheide: Schauen wir noch zum Schluss kurz nach Syrien: Was erwarten Sie dort jetzt? Das ist ja ein Signal, dass nicht nur der Fakt untersucht wird, sondern dass auch die Hintermänner, -frauen, weiß ich nicht, möglicherweise dingfest gemacht werden, oder ist die Hoffnung überzogen?
    Mützenich: Ich glaube, das ist ein Schritt letztlich am Ende. Jetzt kommt es darauf an, dass noch mal belastbare Untersuchungen auch durchgeführt werden eben über Chlorgasangriffe, möglicherweise eben auch die damaligen Vorfälle, die noch nicht abschließend auch geklärt worden sind. Vielleicht haben wir auch die Möglichkeit, weil es ja immer noch Hinweise darauf gibt, dass noch Giftgasbestände in Syrien sind, sie auch rauszubringen. Da hat Deutschland eine große Rolle gespielt. Der Bundestag hat damals gegen die Mehrheit auch der Linkspartei beschlossen, diese Chemiewaffen, die Restsubstanzen in Deutschland zu vernichten. Das war ein wichtiger Schritt für eine Lösung auch in dieser begrenzten Frage in Syrien. Jetzt geht es aber eben auch darum, aus dieser Situation, aus diesem Momentum heraus neue Diplomatie zu schaffen, auch Lösungen letztlich für Syrien und natürlich auch die Verantwortlichen zu benennen. Auf der anderen Seite könnte es auch sein, dass hinter den Kulissen über die Frage nachgedacht wird, wie lange ist die Übergangszeit von Präsident Assad und was kann daraufhin folgen. Diese Lösungen brauchen wir, und ich glaube schon, dass darüber nachgedacht wird.
    Zurheide: Wer kann diese Lösung herbeiführen? Das kann ja wohl nur gelingen, wenn die Russen und die Amerikaner zusammenarbeiten. Ist das denkbar, wünschbar auf jeden Fall?
    Mützenich: Wünschbar auf jeden Fall, denkbar, dafür fehlen mir auch alle notwendigen Informationen, aber zumindest der Hinweis, dass der Sicherheitsrat wieder als Gremium genutzt wird, wo am Ende dann auch Russland und die USA gemeinsam die Hand heben, das ist schon ein wichtiger Hinweis. Wir brauchen diese Kooperation. Wie gesagt, ich will das nicht überbewerten, aber es ist zumindest ein wichtiger Schritt, der vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wäre.
    Zurheide: Es gibt leichte Hoffnungszeichen beim Konflikt in Syrien, auch weil Amerikaner und Russen zusammenarbeiten. Das war ein Gespräch mit Rolf Mützenich von der SPD. Herr Mützenich, ich bedanke mich heute Morgen im Deutschlandfunk, danke schön!
    Mützenich: Vielen Dank, Herr Zurheide, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.