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Unruhe bei den Grünen
Boris Palmer unter Druck

Wegen seiner Positionen war der Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer schon lange für einige seiner Parteifreunde bei den Grünen nicht mehr tragbar. Aber nach jüngsten Aussagen distanzieren sich auch enge Weggefährten. Nun droht Palmer ein Parteiausschlussverfahren.

Von Uschi Götz | 05.05.2020
Dem Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) droht ein Parteiausschlussverfahren
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen). (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
Es blute ihm das Herz, sagt Christoph Joachim, Co- Vorsitzender der Tübinger Gemeinderatsfraktion AL/Grüne, "dass ich mich dazu getrieben fühlte, diese Aussage zu machen."
Der Gemeinderat gilt als enger Freund des Tübinger Oberbürgermeisters. Jetzt hat er seiner Fraktion vorgeschlagen, Palmer nicht mehr für die Oberbürgermeister Wahl 2022 zu nominieren. Das Fass sei voll, betont er und erinnert an verschiedene Bemerkungen Palmers etwa zur Bahnwerbung, auch an Aussagen zu Flüchtlingen.
Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen (Bündnis 90/Die Grünen), kommt mit einem grünen Helm auf dem Kopf  mit dem Fahrrad zu einer Demonstration vor der Landesversorgungsanstalt der Ärzte.
Palmer: "Ich versuche, die Tür zum Rassismus zuzumachen"
Der Grünen-Politiker Boris Palmer hat seine Kritik an einer Werbekampagne der Bahn bekräftigt. Die Bahn nehme damit eine Spaltung der Gesellschaft in Gruppen vor. Davor könne er nur warnen, sagte er im Dlf.
"Und jedes Mal stehen wir als Fraktion zwischen allen Stühlen und müssen uns erklären, warum wir Boris Palmer noch unterstützen."
Die Loyalität endet nun. Wenn man Menschen gerade in Corona-Zeiten zusammenhalten wolle, könne man nicht mit spaltenden Aussagen a la Palmer Politik machen:"Das fing an mit dem Verteilen von Gesichtsmasken an über 65-Jährige, damit diese vor den anderen geschützt werden. Und gipfelte jetzt in der Aussage, die er im Sat-1-Fernsehen getätigt hat."
Gefragt wie er den Satz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble deute, wonach nicht alles dem Schutz von Leben unterzuordnen sei, sagte Palmer jüngst im Fernsehsender Sat-1:
"Ich glaube, dass es ihm darum geht, dass wir tatsächlich alle irgendwann sterben und auch das Grundgesetz das nicht verhindern kann. Und wenn Sie die Todeszahlen anschauen, durch Corona, ist es bei vielen so, dass eben Menschen über 80 insbesondere sterben und wir wissen, über 80 sterben die meisten irgendwann. Also ist Corona jetzt nicht wie Ebola eine Krankheit, die 20-Jährige mitten aus dem Leben reißt, sondern tödlich ist sie für hochaltrige Menschen, fast ausschließlich. Und insoweit müssen wir abwägen, ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen."
Der letzte Satz sei isoliert, seziert und mit schlimmen Assoziationen weiterverbreitet worden, erklärt Boris Palmer. Er habe die Worte gesagt, aber erkennbar etwas anders gemeint:
"Die Inhalte sind faktisch richtig, ich habe empirisch überprüfbare Aussagen gemacht. Wofür ich mich entschuldigt habe, ist die Wirkung, die aber durch ein komplett sinnverkehrtes Verständnis entstanden ist."
Verwünschungen und Morddrohungen bekäme er aktuell. Und doch:
"Wenn man sich in der Politik kein dickes Fell zulegt, geht man unter."
Auch Berlin geht auf Distanz
Das gilt wohl auch für Parteifreundinnen und Freunde, die nun die Freundschaft kündigen. Grüne aus Berlin fordern den Tübinger Kreisvorstand und den baden-württembergischen Landesvorstand in einem offenen Brief dazu auf, ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer in die Wege zu leiten. Palmer sieht der Diskussion gelassen entgegen, das Verhalten seiner Partei enttäusche ihn, sagt er. Er habe doch grüne Grundwerte wie etwa die Debattenkultur hochgehalten:
"Wir sind als Grüne dafür gegründet worden, dass wieder gestritten werden kann, dass die abweichende Meinung wieder gehört werden kann. Das werde ich auch weiter machen, ich sehe mich da als Verteidiger grüner Position."
Das sehen mittlerweile viele bei den Grünen anders. Die Frage, ob Palmer unter diesen Umständen noch als Oberbürgermeister tragbar ist, möchte Chris Kühn, Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Tübingen, jedoch nicht beantworten:
"In der Frage dessen, wie man mit dieser Situation umgeht, finde ich, wird er seiner Aufgabe nicht gerecht. Die Aufgabe jetzt, heute, ist es doch in einer Zeit, in der wir so viel Unsicherheit haben, so viele Menschen existentiell bedroht sind, dass man dort die Menschen sensibel zusammenführt und gemeinsam einen Weg aufzeigt. Und ich finde, das ist ihm in den letzten Wochen nicht gelungen.
Man werde Palmer bei einer erneuten Kandidatur in Tübingen und bei weiteren politischen Tätigkeiten nicht mehr unterstützen. Das kündigte auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock gestern nach einer Videokonferenz des Parteivorstands an. Der baden-württembergische Landesverband schloss sich der Linie aus Berlin an und will in einer regulären Sitzung am Freitag über ein mögliches Parteiausschlussverfahren Palmers beraten. Allerdings könnte Palmer 2022 auch ohne Parteibuch für eine dritte Amtszeit kandidieren oder die Partei wechseln. Denkbar sei es, dass er wieder kandiere, er aber sich aber noch nicht festgelegt. "Ich mache das von anderen Erwägungen abhängig als der aktuellen Diskussion."