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Unruhen in Marokko
Kein neuer arabischer Frühling

Nach dem gewaltsamen Tod eines Fischers protestieren in Marokko Tausende gegen Behördenwillkür und Polizeigewalt. Die Demonstrationen hätten Assoziationen zu den Ereignissen in Tunesien vor sechs Jahren geweckt, sagte der Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat, Helmut Reifeld, im DLF. Vom Beginn eines neuen Arabischen Frühlings könne aber nicht die Rede sein.

Helmut Reifeld im Gespräch mit Christine Heuer |
    In Marokkos Hauptstadt Rabat demonstrieren zwei junge Frauen und ein junger Mann mit Schirmmütze gegen den gewaltsamen Tod eines Fischers.
    Nach dem gewaltsamen Tod eines Fischers haben in Marokko Tausende gegen Behördenwillkür und Polizeigewalt protestiert. Der König habe darauf jedoch sehr schnell reagiert, betonte Helmut Reifeld, Leiter des Marokko-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. (picture alliance / dpa / Abdelhak Senna)
    Direkt zu Beginn habe es in allen großen Städten viele Proteste gegeben, sagte Reifeld im Deutschlandfunk. Diese seien in den vergangenen zwei Tagen aber bereits abgeklungen. Der König habe sehr schnell reagiert und das umgesetzt, was in sozialen Medien gefordert werde: eine Untersuchung des Falles. "Man will - und das sagen eigentlich alle - keine Eskalation."
    Reifeld sagte, König Mohammed wolle aus Marokko einen Rechtsstaat machen: "Er ist ein kluger König und ich bin sicher, er möchte langfristig eine Transformation des Landes Richtung Demokratie." Es gebe auch in Marokko Personen, die in ihrer freien Entfaltung behindert würden. Als Beispiel nannte Reifeld Homosexuelle und Islamisten. "Aber die Tendenz für die Mehrheit geht eindeutig in die Richtung von Rechtsstaatlichkeit, da bin ich ganz sicher."

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: 31 Jahre alt war der Fischer Mohsin Fikri aus einer Stadt im Norden Marokkos. Vergangenen Freitag starb er einen grausamen Tod. Er wurde von der Presse eines Müllwagens zerquetscht. Da hatte die Polizei gerade von ihm gefangenen Fisch konfisziert und zur Vernichtung in diesen Müllwagen werfen lassen. Fikri sprang seiner Ware hinterher, kurz darauf startete die tödliche Maschine, und Gerüchte waren schnell im Umlauf: Die Polizei habe Schutzgeld von dem Fischer verlangt ja und vielleicht sogar die Anordnung gegeben, die Müllpresse zu starten.
    Tausende Marokkaner sind seitdem auf die Straße gegangen, sie protestieren in verschiedenen Städten des Landes gegen Behördenwillkür und Polizeigewalt. - Am Telefon ist Helmut Reifeld, Leiter des Marokko-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat. Guten Morgen, Herr Reifeld.
    Helmut Reifeld: Ja, schönen guten Morgen.
    "Der König hat sehr schnell reagiert"
    Heuer: Das sind ja die größten Unruhen in Marokko seit Jahren. Wie erleben Sie diese Situation?
    Reifeld: Ich meine, die meisten Leute hier haben natürlich sofort die Assoziation gehabt zu den Ereignissen in Tunis vor sechs Jahren. Man hat sofort davon gesprochen, das könnte jetzt ein neuer Beginn eines Arabischen Frühlings sein und mit all den Konsequenzen, die wir ja kennen. Aber dem ist überhaupt nicht so.
    Natürlich: Es hat sehr viele Proteste direkt am Anfang gegeben, auch hier in Rabat, eigentlich in allen großen Städten. Die sind aber eigentlich schon in den letzten zwei Tagen abgeklungen. Der König hat sehr schnell reagiert. Er ist im Moment nicht im Land, er war auf Dienstreise gewesen zum Staatsbesuch in Ruanda und Tansania.
    Heuer: Herr Reifeld, aber die Proteste, die das alles ausgelöst hat, die sind ja sehr ungewöhnlich für ein Land wie Marokko. Was genau erzürnt die Demonstranten so am Fall dieses Fischhändlers oder dieses Fischers?
    Reifeld: Ja das Verhalten der Polizei. Es wird nicht dagegen demonstriert, dass der Mann jetzt diesen Fisch hatte, sondern die Tradition ist, dass man die Polizei für korrupt und für ungerecht hält. Aber das ist nicht richtig so. Es hat zum Beispiel vor einem Jahr schon eine große Aktion gegeben auch von oben zur inneren Kontrolle der Polizei, vor allen Dingen bei Verkehrskontrollen und so weiter, die traditionell sich alle schmieren lassen. Da sind in großem Umfang Kontrollen durchgeführt wurden. Alle Kontrollen wurden wiederum kontrolliert. Die Polizei wurde verpflichtet, nur live mit Mikro Leuten Strafzettel auszustellen etc. Das heißt, es wird von oben darauf gedrängt, die Legalität zu garantieren.
    "Seit einigen Jahren wird massiv versucht, Behördenwillkür abzubauen"
    Heuer: Sagen Sie damit, es gibt so etwas wie Behördenwillkür gar nicht in Marokko?
    Reifeld: Die hat es immer gegeben. Die hat es immer gegeben und die gibt es auch noch. Aber was ich sagen will ist, dass seit einigen Jahren wirklich massiv versucht wird, diese einzuschränken und abzubauen.
    Heuer: Und trotzdem haben ja offenbar Tausende Marokkaner in verschiedenen Gegenden des Landes nicht das Gefühl, dass das schon erreicht wäre.
    Reifeld: Das ist richtig, weil das Image ist noch sehr stark und sobald ein armer Mann durch anscheinende Polizeiwillkür zu Tode kommt, kommt das wieder hoch und man findet sehr schnell Sympathien. Aber ich meine, dem entgegenhalten kann man zum Beispiel aktuell, wenn Sie sich die gesamten Facebook, Twitter, was gibt es da noch, WhatsApp angucken, die zurzeit auch hier in Marokko natürlich en vogue sind, da gibt es eine ganz deutliche Tendenz. Die Tendenz heißt, man will, dass es kontrolliert wird, dass eine klare Untersuchung stattfindet, sehr schnell, aber man will - und das sagen eigentlich alle - keine Eskalation.
    "Der König möchte Rechtssicherheit in Marokko"
    Heuer: Der König, Herr Reifeld, den haben Sie ja schon erwähnt und haben gesagt, der hat blitzschnell reagiert. Das stimmt: Er hat der Familie des Fischers sein Beileid ausrichten lassen, und zwar tatsächlich durch den Innenminister Marokkos. Und er hat auch eine genaue Untersuchung des Falls angekündigt. Ist das nicht aber auch ein Zeichen dafür, dass König Mohammed schon ziemlich beunruhigt sein muss über diese vielen Proteste?
    Reifeld: Nicht über die Proteste, sondern darüber, dass die Entwicklungen außer Kontrolle geraten. Ich will jetzt nicht nur den König in Schutz nehmen, aber der König möchte Rechtssicherheit in Marokko und wenn die nicht von der Polizei garantiert wird, dann geht er gegen die Polizei vor. Es sind in dieser Sache inzwischen schon elf Leute verhaftet worden. Es sind die Verantwortlichen aus dem Hafen verantwortet worden. Es ist der oberste Direktor der Fischereigenehmigung verhaftet worden.
    Das war ein großer Schwertfisch, der ist sehr selten und sehr teuer. Es gibt zurzeit ein Fangverbot für Schwertfische. Das ist der entscheidende Punkt. Der hätte gar nicht gefangen werden dürfen. Es ist dem sofort rigoros nachgekommen worden und der König hat getan, was jetzt die Mehrheit der Bevölkerung fordert, nämlich eine schnelle Untersuchung.
    "Ich habe einen vergleichbaren Fall in den fünf Jahren nicht erlebt"
    Heuer: Das heißt, dieser Fall dieses Fischers, wenn ich Sie recht verstehe, ist dann ein Einzelfall aus Ihrer Sicht der Dinge, ein Einzelfall, der für viel Empörung sorgt und wo der König und die Regierung dann sagen, okay, dann handeln wir auch sofort, damit die Menschen sehen, dass es doch fair zugeht in Marokko?
    Reifeld: Ja. Ich meine, ich bin jetzt seit fünf Jahren hier. Ich habe einen vergleichbaren Fall in den fünf Jahren nicht erlebt. Als ich hier herkam vor fünf Jahren, gab es noch viele Demonstrationen, aber das ist dann auch seit 2012 sehr viel weniger geworden und ganz zurückgegangen. Die maßgeblichen Organe, damals die Bewegung des 20. Februar, die hat sich so gut wie aufgelöst. Dann war es die islamistische Bewegung Al-Adl, die auch sehr viel demonstriert hat. Auch die hat sich weitgehend zurückgezogen und tritt nicht mehr durch öffentliche Proteste in Erscheinung.
    Heuer: Mohammed regiert ein Land, in dem es vergleichsweise ruhig ist, das bemerkenswert friedlich und stabil ist und in dem es auch so etwas wie einen Wirtschaftsaufschwung gibt. Ist er einfach ein richtig guter König?
    Reifeld: Er ist ein kluger König und ich bin sicher, er möchte langfristig eine Transformation des Landes.
    Heuer: Wohin, in die Demokratie?
    Reifeld: Ja, Richtung Demokratie. Sie müssen sich daran erinnern, dass sein Vater noch ein berüchtigter Diktator war. Der Begriff der bleiernen Jahre kommt aus Marokko. Das waren die Jahre Mitte der 70er- bis Ende der 80er-Jahre. Das war die Zeit Hassan II, die als die bleiernen Jahre in die Zeitgeschichte eingegangen sind.
    Vergangene Wahlen: "Ein Fortschritt in der Tendenz zur Demokratisierung"
    Heuer: Das ist nicht nur ein Trick, diese Modernität ist nicht nur ein Trick, eine Methode des Königs, sondern Sie glauben, er ist davon tatsächlich überzeugt?
    Reifeld: Er will die, er betreibt die, und das kann man an allen historischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre erkennen. Das ist ein Schritt nach dem anderen, dieser Prozess der Rechtsstaatlichkeit. Der König will eindeutig einen Rechtsstaat, daran gibt es keinen Zweifel.
    Das können Sie auch bei den Wahlen sehen. Wir hatten gerade vor einer Woche die Wahlen. Natürlich gibt es vieles daran zu kritisieren, aber es ist auch, wenn Sie das mit den Wahlen von 2011 noch vergleichen, ein Fortschritt in der Tendenz zur Demokratisierung.
    Heuer: Jetzt erleben wir diese Unruhen in Marokko, und zwar just ungefähr eine Woche bevor die wichtige Weltklimakonferenz in Marrakesch losgeht. Welche Rolle spielt das denn jetzt für die Demonstranten, aber auch für den Umgang der Behörden mit ihnen?
    Reifeld: Gar keine. Auch da ist wiederum der König die treibende Kraft. Der König möchte mit dieser Cop 22 die Rolle Marokkos weltweit deutlich machen, und zwar positiv in Erscheinung treten. Die Vorbereitungen sind systematisch geplant worden seit einem Jahr schon und aktuell kommt jetzt eine Beschwerde nach der anderen vonseiten des Königs an seine Organe, dass es nicht gut genug vorbereitet ist. Das heißt, es wird täglich berichtet in den Zeitungen, dass der König sich schon wieder beschwert hatte, was noch nicht funktioniert zur Vorbereitung der Cop 22.
    "Es wird von keiner Seite mehr angezweifelt, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat"
    Heuer: Aber diese Klimakonferenz, die wird ja sehr viel internationale Aufmerksamkeit generieren, und die Demonstranten nutzen das ja aus. Ich habe gehört, die haben auf ihren Plakaten stehen: "Seht her, wie das bei uns ist in Marokko. Da werden die Leute nämlich zu Tode gequetscht." Das ist ja schon nicht schön für die Regierung und den König, dass gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt diese Unruhen stattfinden.
    Reifeld: Ein solches Plakat habe ich noch nicht gesehen. Da hatten wir noch nicht drüber gesprochen. Das war kein krimineller Akt. Es wird von keiner Seite mehr angezweifelt, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Diese Maschine war sogar ausgeschaltet und es ist ein Versehen gewesen und es war sogar einer der Sympathisanten wahrscheinlich des Opfers, der aus Versehen den Knopf ausgelöst haben soll. Das habe ich heute gehört.
    Heuer: Das ist sicher?
    Reifeld: Ich habe es in der Zeitung gelesen.
    Reifeld: Marokko als sicherer Drittstaat
    Heuer: Herr Reifeld, der Zufall will es, dass ausgerechnet heute in Deutschland CDU und CSU einmal wieder über die Flüchtlingspolitik beraten, und dabei wird es den Schwerpunkt geben sichere Drittstaaten. Ich höre aus unserem ganzen Gespräch heraus, dass Sie den König, die Regierung in Marokko eigentlich ziemlich gut finden. Ist Marokko ein sicherer Drittstaat? Darf man dahin Flüchtlinge oder Menschen, die zu uns gekommen sind, wieder abschieben?
    Reifeld: Es gibt auch in Marokko Personen, Menschen, die Nachteile in Kauf nehmen müssen, die auch in ihrer freien Entfaltung behindert werden. Natürlich haben Homosexuelle, haben Islamisten, haben andere Randgruppen Probleme. Das ist richtig. Aber die Tendenz für die Mehrheit geht eindeutig in die Richtung von Rechtsstaatlichkeit, da bin ich ganz sicher.
    Heuer: Also ein sicherer Drittstaat?
    Reifeld: Ich würde es so bezeichnen, ja.
    Heuer: Helmut Reifeld, der Leiter des Konrad-Adenauer-Stiftungsbüros in Marokko. Wir haben ihn in Rabat erreicht. Herr Reifeld, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Reifeld: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.