Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Uns sind nicht alle Kinder gleich viel wert"

Die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrags komme letzten Endes nur einigen Kindern zugute und nicht den Kindern aus Hartz-IV-Familien, beklagt Andreas Kalbitz vom Kinderschutzbund. Diese Ungleichbehandlung je nach familiärem Kontext müsse beseitigt werden.

Andreas Kalbitz im Gespräch mit Gerd Breker | 07.01.2010
    Gerd Breker: Die Unterhaltszahlungen für Millionen Scheidungs- und Trennungskinder steigen in diesem Jahr so stark wie noch nie. Die Unterhaltssätze liegen um durchschnittlich 13 Prozent höher als im Vorjahr. Grund für den kräftigen Zuschlag sind die im Wachstumsbeschleunigungsgesetz festgelegten Erhöhungen der steuerlichen Kinderfreibeträge und auch des Kindergeldes. – Am Telefon bin ich nun verbunden mit Andreas Kalbitz vom Kinderschutzbund. Guten Tag, Herr Kalbitz.

    Andreas Kalbitz: Guten Tag.

    Breker: Von der Erhöhung der Kinderfreibeträge und auch von der Erhöhung des Kindergeldes haben die Kinder von Hartz-IV-Empfängern gar nichts.

    Kalbitz: Das ist durchaus korrekt, absolut richtig. Da sind wir genau beim Thema: Was sind uns unsere Kinder wert? Da bleibt dann für uns nur das Fazit festzustellen, dass uns doch die Kinder ganz unterschiedlich viel wert sind, was die Erhöhung der Kindergelder, des Kinderfreibetrages jetzt wieder gezeigt haben, die letzten Endes nur einigen Kindern zugutekommen und nicht den Kindern aus Hartz-IV-Familien.

    Breker: Wenn der Staat also für den Unterhalt der Kinder aufkommen muss, dann gelten andere Kriterien und die sind wesentlich niedriger?

    Kalbitz: Das ist genau richtig. Da wird nämlich das Kindergeld vollends auf den Unterhalt angerechnet, sodass die Beträge durchaus niedriger sind als das der Fall wäre, wenn dann das Elternteil, was unterhaltspflichtig ist, den Unterhalt übernehmen würde. Da ist eine Diskrepanz um die Höhe des Kindergeldes zu erwarten, das heißt - um für das Erstkindergeld jetzt gerechnet - 184 Euro.

    Breker: Kann das so sein?

    Kalbitz: Unserer Meinung nach kann das natürlich nicht so sein. Das zeigt wiederum eine Ungleichbehandlung von Kindern, je nachdem welche familiären Kontexte wir dort vorfinden, und ist unserer Meinung nach auch eine Ungerechtigkeit, die dem zu Grunde liegt, genauso wie, was ich ja schon erwähnt habe, diese Ungleichbehandlung hinsichtlich des Kindergeldes, der Kinderfreibeträge.

    Breker: Woraus eindeutig folgt: Die Kinder sind uns eben halt nicht alle gleich viel wert, und zwar der Staat schreitet da sogar voran?

    Kalbitz: Das ist genau richtig. Man sagt das immer so schön: Dieses Bild der Schere wird geöffnet, auch durch staatliche Maßnahmen jetzt zum 1. Januar 2010 – Sie haben es ja angesprochen -, das Kindergeld wurde um 20 Euro erhöht. Eine Familie, die normalen, mittleren Verdienst hat, bekommt jetzt für ihr Kind 20 Euro mehr. Die Kinderfreibeträge, die man geltend machen kann bei einem sehr hohen Einkommen, sind maximal sogar um die 60 Euro gestiegen, 60 Euro mehr im Monat also, wenn man einen sehr, sehr hohen Verdienst hat, mehr Entlastung. Und die Kinder aus Hartz-IV-Familien beziehungsweise deren Eltern erhalten null Euro mehr durch dieses Beschleunigungsgesetz. Insofern absolut richtig, auch ein Kritikpunkt des deutschen Kinderschutzbundes: Uns sind nicht alle Kinder gleich viel wert.

    Breker: Herr Kalbitz, noch im ersten Quartal dieses Jahres wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum erwartet. Was erhoffen Sie sich von diesem Urteil aus Karlsruhe?

    Kalbitz: Es geht ja um die Berechnung der Regelsätze für Kinder, der Hartz-IV-Regelsätze, und auch da zeigen Expertisen und Studien, dass diese Regelsätze den Bedarf von Kindern nicht hinreichend decken, nicht berücksichtigen. Das liegt vor allem am Berechnungsverfahren, denn die Regelsätze für Kinder werden einfach hergeleitet vom Regelsatz für Erwachsene. Zwischen 60 und 80 Prozent des Regelsatzes für Erwachsene, je nach Alter, bekommt ein Kind gegönnt und hierbei bleiben kindspezifische Bedarfe, höhere Ausgaben beispielsweise für Bildung, für kulturelle Veranstaltungen oder auch für Nahrung, für Kleidung, weil sich die Kinder im Wachstumsprozess befinden, unberücksichtigt. Darüber urteilt das Bundesverfassungsgericht und wir erhoffen uns, dass es ein neues Berechnungsverfahren gibt, nicht diese Herleitung, pauschal vom Erwachsenenregelsatz, sondern stattdessen eine Berechnung, die wirklich Kinder und deren Ausgaben für Kinder untersucht und dann bei der Regelsatzbemessung berücksichtigt.

    Breker: Sie haben das sicherlich schon mal durchgerechnet. Auf welche Summe kommen denn Sie?

    Kalbitz: Das ist richtig. Da gibt es eine Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandesund demzufolge müssten die Regelsätze deutlich steigen. Ich habe die Zahlen jetzt hier vorliegen. Wir haben momentan einen Regelsatz für Kinder unter sechs Jahren von 215 Euro; der müsste auf 276 Euro steigen. Kinder zwischen sechs und 13 Jahren bekommen gerade 251 Euro; dort wären 332 Euro bedarfsgerecht. Und Kinder ab dem 14. Lebensjahr erhalten 287 Euro; hier wären sogar 358 Euro nötig. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, das ist eine Expertise, die wirklich geguckt hat, was sind kindspezifische Ausgaben in Familien, was ist nötig, um den Bedarf, die Grundverpflegung, Versorgung, aber auch die soziale und kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen.

    Breker: Bis dass Karlsruhe entschieden hat, wartet die Politik ab. Lernen wir daraus, dass wir nur dann kinderfreundlich sind, wenn wir eine Sonntagsrede zu halten haben?

    Kalbitz: Zumindest braucht man ab und an noch mal den guten Hinweis und in diesem Falle auch den juristischen Hinweis, was notwendig ist und was nicht. Da sprechen Sie durchaus einen wichtigen Sachverhalt an, absolut korrekt, gibt es doch dieses Wissen, dass Kinderarmut sehr hoch ist in unserem Land, dass die Regelsätze nicht bedarfsdeckend sind und so weiter, schon seit Langem. Verbände wie der deutsche Kinderschutzbund weisen auch immer darauf hin. Und dennoch ist da die politische Handlung und Aktivität oftmals nicht hinreichend. Man tut was, Kindergelderhöhung, Kinderfreibeträge angehoben, also es gibt ein Bewusstsein für Kinder und Familien, aber es geht oftmals nicht in die richtige Richtung und dort erhoffen wir uns natürlich auch Unterstützung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

    Breker: Andreas Kalbitz vom Kinderschutzbundwar das im Deutschlandfunk. Herr Kalbitz, danke für dieses Gespräch.

    Kalbitz: Herzlichen Dank auch.