Freitag, 29. März 2024

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Unternehmen in der Coronakrise
Menschenrechtler: Verhalten der Textilkonzerne ist skandalös

Armin Paasch vom Hilfswerk Misereor hat Textilunternehmen wie C&A und Primark für ihren Umgang mit Beschäftigten in Ländern wie Bangladesch während der Coronakrise scharf kritisiert. Die Konzerne hätten Zahlungen für Textilien verweigert, die bereits produziert waren, sagte Paasch im Dlf.

Armin Paasch im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.04.2020
Näherin einer Textilfabrik in Bangladesh
Armin Paasch (Misereor): "Die Ketten haben das Elend in Bangladesch und anderen Ländern verschärft" (Syed Mahamudur Rahman/NurPhoto)
Dass man inzwischen wieder Blusen oder Hosen in deutschen Innenstädten kaufen kann, das folgt aus den ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Dennoch hat der Handel in Deutschland stark zu kämpfen, was aber bedeutet die Corona-Pandemie für die Menschen am anderen Ende der Lieferkette, für die Textilproduktion zum Beispiel, die ja überwiegend in den ärmeren Ländern Süd- und Südostasiens läuft.
Armin Paasch, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk Misereor, weist im Interview auf die ausbeuterischen Bedingungen im Textilsektor hin, die es dort seit Jahren gibt, und die jetzt durch die Coronakrise noch einmal verschärft würden.

Sandra Schulz: Was bedeutet die Corona-Pandemie jetzt für die Menschen – es sind ja zumeist Frauen -, die zum Beispiel in Bangladesch als Näherin arbeiten?
Armin Paasch: Ja, das bedeutet, dass in Bangladesch zwei von vier Millionen Textilarbeiterinnen entlassen wurden, meistens ohne Lohnfortzahlung, ohne Abfindung, ohne Arbeitslosenversicherung. Und aufgrund der Hungerlöhne, die in diesem Sektor sowieso vorherrschen, verfügen die meisten Menschen über keinerlei Ersparnisse. Die Konsequenz ist deshalb: Armut und Hunger für die ganze Familie. Und das gilt nicht nur in Bangladesch, sondern auch in Myanmar, in Kambodscha oder in Pakistan.
FRauen und Männer arbeiten unter schweren Bedingungen in der Textilfabrik 'One Composite Mills' in Gazipur an Nähmaschinen.
Wenn Großkonzerne ihre Lieferanten ausbeuten
Wenn große Unternehmen ihre Ware von kleineren Lieferanten in Pakistan, Bangladesch oder China produzieren lassen, ist das meist günstig – und oft mit ausbeuterischen Bedingungen vor Ort verbunden.
Seit Jahrzehnten ausbeuterische Bedingungen
Schulz: Wie machen diese Familien dann weiter?
Paasch: Diese Familien stehen jetzt natürlich vor dem Nichts. Man muss sagen, dass im Textilsektor seit Jahrzehnten ausbeuterische Bedingungen vorherrschen. Die Leute haben keinerlei Arbeitslosenversicherung, sie haben sehr, sehr geringe Löhne. Wenn sie jetzt auf die Straße geschickt werden, dann haben sie jetzt keinerlei Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften, und das ist das absolute Elend.
Schulz: Warum gibt es denn diese Massenentlassungen, obwohl ja eigentlich der Textilverkauf – der war zwischenzeitlich gestoppt, ging online aber weiter – im Prinzip ja auch weitergeht?
Paasch: Der Hauptgrund für die Entlassungen waren tatsächlich die massenhaften Auftragsstornierungen durch westliche Modeketten wie zum Beispiel Primark und C&A. Die führten die Liste der höchsten Auftragsstornierungen an. Das lag natürlich an dem Shutdown, dass diese Firmen glaubten, dass sie einen Großteil der Waren nicht verkaufen könnten.
Skandalös ist dabei aber, dass die Konzerne selbst die Zahlungen für solche Textilien verweigerten, die bereits produziert waren, oder die in Produktion sich befanden, und damit haben die Ketten natürlich das Elend in Bangladesch und anderen Ländern verschärft. Sie haben auch ihre menschenrechtliche Verantwortung gegenüber den Beschäftigten vernachlässigt.
Bündnis für nachhaltige TextilienAm 24. April 2013 starben beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mehr als 1.130 Menschen. Ein Jahr später stieß Entwicklungshilfeminister Gerd Müller das Textilbündnis an: Freiwillig sollten Unternehmen an Reformen vor Ort mitwirken. Doch noch immer gibt es viele Missstände.
In den letzten Tagen, muss man sagen, sind Primark und C&A zurückgerudert. Sie haben jetzt beteuert, dass sie ein Großteil der Waren nun doch abnehmen wollen. Man muss aber sagen, dass die Einsicht relativ spät kommt.
Lieferkettengesetz - "Merkel hat Minister unter Druck gesetzt"
Schulz: Auf diese Bedingungen zu schauen, unter denen da Textilien produziert werden, da ist ja die große Idee des Lieferkettengesetzes, die Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Das hatte durchaus ja einiges in Bewegung gebracht. Wie war die Lage dort vor Corona?
Paasch: Seit Jahren ist ja bekannt, dass die freiwillige Unternehmensverantwortung nicht ausreicht. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, wenn die Unternehmen nicht freiwillig ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllen, dass dann ein nationales Gesetz kommt und dass sie sich auf EU-Ebene auch für eine gesetzliche Regelung einsetzt. Sie hat dazu ein Monitoring durchgeführt und das Ergebnis war im Februar ganz klar.
Weniger als ein Fünftel der deutschen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern erfüllen ihre menschenrechtliche Sorgfalt gemäß Menschenrechtsstandards der Vereinten Nationen. Deswegen haben Entwicklungsminister Müller und Arbeitsminister Heil Mitte März Eckpunkte für so ein Lieferkettengesetz angekündigt, was deutsche Unternehmen zur menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichten würde.
Etikett mit Waschanleitung in einem in Bangladesch produzierten T-Shirt.
Initiative für ein Lieferkettengesetz
Deutsche Unternehmen profitieren von der Globalisierung. Doch nur wenige kümmern sich auch darum, dass in den Lieferketten Menschenrechte geachtet und Umweltstandards eingehalten werden. Eine Initiative will das ändern.
Allerdings wurde die Vorstellung dieser Eckpunkte dann kurzfristig abgesagt, weil Kanzlerin Merkel die Minister stark unter Druck gesetzt hatte. Offiziell wurde das aber mit der Corona-Krise begründet, die andere Aufgaben zu diesem Zeitpunkt als dringlicher erscheinen ließ.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Schulz: Wobei wir ja wissen, dass in der Tat viele westliche Unternehmen auch wirtschaftlich unter Druck sind. Und das Argument zu sagen, wir geben hier den Druck nur weiter, das lassen Sie nicht gelten?
Paasch: Na ja. Klar ist natürlich, dass die Verluste des Einzelhandels in Deutschland auch enorm sind. Das ist sehr schmerzhaft. Und es ist auch verständlich, dass die Ketten jetzt nicht in gewohnter Menge neue Waren kaufen, die sie hinterher dann nicht los werden können.
Völlig inakzeptabel ist aber, bereits produzierte Waren abzulehnen. Damit werden tatsächlich die Verluste auf die schwächsten Glieder der Lieferkette abgewälzt und insbesondere auf die Beschäftigten, von deren Ausbeutung dieselben Konzerne ja seit Jahrzehnten profitiert haben. Das ist nicht akzeptabel.
Vorbeilaufende Menschen beim Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz.
Von der Verantwortung der Unternehmen
Viele Unternehmen haben nur ein Ziel: Den Gewinn zu maximieren und den Firmenwert im Interesse der Eigentümer zu steigern. Doch manche Politiker und Experten wollen, dass Unternehmen mehr auf die Interessen der Allgemeinheit achten. Der Widerstand dagegen ist groß – seit Jahrzehnten.
Getrieben vom Wirtschaftsrat der CDU
Schulz: Und das Lieferkettengesetz, das greift jetzt noch nicht, weil es schlichtweg noch nicht in Kraft ist. – Sie haben die Probleme gerade geschildert. Gehen Sie denn davon aus, dass es überhaupt noch kommt?
Paasch: Die Minister Müller und Heil beteuern, dass das nur verschoben ist und nicht aufgehoben, dass ein Gesetz kommt. Wir erwarten, dass Mitte des Jahres die Endergebnisse des Monitorings vorliegen werden, weil es noch mal eine zweite Erhebung gibt, und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie ihren Koalitionsvertrag einhält. Dazu stehen Heil und Müller bisher auch. Aber es gibt massiven Druck von Wirtschaftsminister Altmaier, von Bundeskanzlerin Merkel.
Getrieben sind sie vom Wirtschaftsrat der CDU, der jetzt insbesondere in Corona-Zeiten sagt, alles was eine Erholung der deutschen Wirtschaft gefährden könnte, muss jetzt eingestampft werden. Das bedeutet für die Hardliner in der CDU, der neoliberale Flügel sozusagen, dass auch Klimaschutz-Maßnahmen und Menschenrechts-Auflagen aufgeschoben werden, und dieser CDU-Wirtschaftsrat wiederum ist getrieben von Wirtschaftsverbänden wie BDA, BDI und anderen, die entgegen der Meinung sehr vieler anderer Unternehmen sagen, dass es ein wirtschaftsfeindliches Gesetz sei.
Andere Unternehmen, 50 Unternehmen haben sich öffentlich auch für ein Lieferkettengesetz bekannt, weil sie gesagt haben, wir wollen keinen unfairen Wettbewerb, wir wollen nicht, dass wir am Ende die Dummen sind, wenn wir Standards einhalten und andere nicht, und wir wollen Rechtssicherheit.
Schulz: Das ist der Blick auf die Wirtschaft und auf deren Verantwortung. Wenn wir auf die Verantwortung der Verbraucher schauen, dann wissen wir, dass sicherlich krisenbedingt auch viele Menschen, viele Verbraucher Corona-bedingt wirtschaftlich zu kämpfen haben werden. Da wird dann vielleicht das eine oder andere günstige T-Shirt mehr gekauft. Wird das das Problem verschärfen?
Paasch: Das ist ja auch schon vor der Krise so gewesen, dass gewisse Teile der Bevölkerung, die es sich nicht leisten können, fair gehandelte oder Bioprodukte zu kaufen, dass die eher günstige Waren kaufen. Man muss allerdings dazu auch sagen, dass nicht unbedingt die Produkte, die teurer sind, die T-Shirts, die teurer sind, dass man da voraussetzen könnte, dass die Arbeitsbedingungen der Näherinnen besser wären.
Ich denke, dass man solche Fragen nicht zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter im globalen Süden lösen kann, sondern man muss jetzt – und das tut ja auch die deutsche Bundesregierung – Hilfspakete schnüren, damit nicht nur die Unternehmen gerettet werden, sondern dass auch Deutschland nicht in eine totale soziale Schieflage gerät. Armutsbekämpfung und mehr Gleichheit sind natürlich jetzt auch die Gebote der Stunde in Deutschland und das würde natürlich auch dazu führen, dass nicht nur Ramsch gekauft werden kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.