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Unternehmerinnen zurück in den Osten

Ostdeutschland ist am härtesten vom demografischen Wandel betroffen. Viele gut ausgebildeten Frauen wandern ab. Doch es gibt einen neuen Trend: Einige kehren als Unternehmerinnen zurück und beleben ganze Dörfer.

Von Johanna Kutsche |
    Viele Kleinstädte in den neuen Bundesländern ähneln sich. Frisch renovierte Marktplätze funkeln in der Sonne, sind aber menschenleer. Die Arbeitsplätze fehlen und die Perspektiven. Besonders die jungen Frauen ziehen davon. Der Rest des Problems ist schnell umrissen - keine jungen Frauen, keine Kinder, keine Veränderung. Zurück bleiben alte Leute und Männer, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen. Allerdings nicht nur. Seit einigen Jahren, sagt die Geografin Susanne Dähner, tut sich etwas und die Frauen kommen zurück:

    "Die kommen vielleicht nicht in Massen, nicht in Tausenden, aber die, die kommen, machen das ganz bewusst. Die quälen sich nicht zurück, weil sie es woanders nicht geschafft haben, sondern weil sie so kämpfen, kommen sie auch zurück."

    Dähner und ihre Kollegin Uta Bauer von der "PME Familienservice GmbH", ein privater Anbieter im Bereich Kinderbetreuung und Familienberatung, der den Kongress in Leipzig veranstaltet hat, untersuchen seit einigen Jahren im Auftrag des Bundesinnenministeriums die Lebenswelten von Frauen im Osten. Die Studien der letzten Jahre zeigen, dass diese Frauen, im Vergleich zu den Männern im Osten und auch zu den Frauen im Westen, deutlich häufiger Abitur haben. Mit dem in der Tasche ziehen sie in den Westen, um zu studieren und zu arbeiten. Das wiederum wird der DDR-Vergangenheit zugeschrieben. Im Soziologenjargon heißt es, Frauen im Osten weisen eine besonders hohe Erwerbsorientierung auf.
    Wenn auch nur einige dieser Frauen in ihre Heimat zurückkehren, bringen sie einen Pioniergeist mit, der die ganze Umgebung verändert, zeigt die aktuelle Studie "Mehr Raum für starke Frauen".

    "Sie kommen mit einem anderen Blick, sie haben anderes kennengelernt und kommen mit neuen Impulsen und brechen vielleicht alte Strukturen auf."

    Und sie kommen eben nicht, um Kinder in die Welt zu setzen, sondern um Unternehmen zu gründen. Die qualitative Studie zählt vierzehn Einzelfälle von Frauen auf, die sich vor Ort selbstständig machten und eine ganze Kettenreaktion in Gang gesetzt haben. Dörthe Thie zum Beispiel zog 1990 nach Blankenfelde. Für die gelernte Zahntechnikerin waren die Nachwendejahre ein Paradies, endlich konnte sie mit neuen Materialien arbeiten. Zusammen mit ihrem Mann kaufte sie sich ein Haus und richtete im Keller ein Labor ein.

    "Wir hatten keine Küche, kein Bett, wir haben auf dem Boden geschlafen, hatten aber den neuesten Keramikofen, das Beste Gussgerät und so haben wir mit der Zeit unser Haus immer weiter unterhöhlt. Zuerst habe ich alleine gearbeitet und dann ganz schnell neue Mitarbeiter einstellen können, Lehrlinge einstellen können, mein Mann war dann auch mein Lehrling, der dann umgeschult hat zum Zahntechniker."

    Sicher, das brandenburgische Blankenfelde ist nicht weit von Berlin entfernt, und damit längst nicht so von Abwanderung betroffen wie andere Gebiete. Aber Thies´ Fall ist exemplarisch für die in der Studie als Pionierinnen bezeichneten Frauen. Erst kommt die Frau, dann die Firma, dann Arbeits- und Ausbildungsplätze. Gerade im ländlichen Raum wird so ein Kreislauf in Gang gesetzt. Die leer stehende Kneipe wird belebt, der Dorfladen neu eröffnet. Nach und nach entwickelt sich eine neue Struktur. Jana Reiche hat das in der brandenburgischen Prignitz geschafft, indem sie eine Schule eröffnete. Die Germanistin und Pädagogin war aus Potsdam aufs Land gezogen und wollte ihren Sohn nicht auf eine staatliche Schule schicken.

    "Mein erster Schritt in der Prignitz war ja, dass ich dachte, mit anderen Leuten dachte, wir brauchen einen Ort, wo wir uns treffen können. Was machen wir, wir bauen ein soziokulturelles Zentrum. Das soziokulturelle Zentrum ist nicht zustande gekommen, aber was daraus gewachsen ist, sind eben Bekanntschaften oder es sind Bekanntschafen entstanden, mit denen wir diese Schule gegründet haben."

    Zwei Jahre diskutierten Jana Reiche und ihre Mitstreiter über ihre Idee einer sechsjährigen Grundschule, über den Lehrplan und Reformpädagogik. Die ersten Konzepte schickte das brandenburgische Kultusministerium postwendend zurück. Als der Lehrplan endlich stand, wollte die Gemeinde der Truppe keine Räume geben. Nur das 225-Seelen-Dorf Baek erbarmte sich und stellte eine leer stehende Schule zur Verfügung.

    "Dann war der nächste Schritt, dass wir keinen Lehrer und keine Lehrerin gefunden haben, weil wir dachten, wir haben ja ein tolles Konzept, das setzt doch jetzt bestimmt jemand um. Und niemand wollte aufs Land, niemand wollte mit dem Risiko aufs Land, dafür jetzt vielleicht zwei Jahre kein Geld zu kriegen, niemand konnte sich vorstellen, eine Schule mit sechs Kindern zu gründen. Und die Prignitz ist einfach auch noch mal eine ganz besondere Region, keine Industrie, keine Seen, das heißt wenig Austausch mit Fremden, ganz wenig Tourismus."

    Also übernimmt Jana Reiche die Aufgabe, unterrichtet ihren maulenden Sohn und seine Spielkameraden und kümmert sich um die Finanzierung. Die Montessorischule schreibt schnell schwarze Zahlen, unterstützt von Stiftungen, dem Land Brandenburg und den Schulgeldern der Eltern. Inzwischen lernen 36 Kinder dort, einige Familien sind sogar wegen der Schule in die Region gezogen. Und haben als Selbstständige vor Ort kleinere Unternehmen eröffnet. Dass ausgerechnet Frauen in diesen Projekten so erfolgreich sind, hat laut Babette Scurrell, Soziologin der Bauhaus-Stiftung in Dessau, mit ihrer Sozialisation zu tun:

    "Es ist ja nicht das biologische Geschlecht, sondern es ist die weibliche Sozialisation. Die Mädchen bekommen nach wie vor erklärt, sie sollen vorsichtig sein, Rücksicht nehmen, umsichtig handeln, es ist immer noch das Lesebuch mit Mama im Haus und Papa im Auto. Und diese Art der weiblichen Sozialisation bedingt dann natürlich auch eine weibliche Art zu wirtschaften."

    Als weibliche Art zu wirtschaften gilt die Regionalökonomie, kooperative Projekte zum Beispiel, die in überschaubaren Räumen umgesetzt werden. Für den Aufbau Ost hieße das nach Babettes Scurrells Ansicht, nicht mehr hohe Summen in überregionale Infrastrukturprojekte zu investieren, sondern die Menschen vor Ort zu unterstützen. Eigentlich eine einfache Wahrheit, dass Geld allein keine Arbeitsplätze schafft.

    "Das ist ein Kulturumbruch. Also, wenn es tatsächlich ein Umbruch in etwas völlig Neues ist, dann braucht man viele kleine Experimente, also wir müssen einfach auch einplanen, dass welche scheitern. Dass man da sagt, wir wollen nachhaltige Dorfentwicklung heißt ja nicht, dass es einem auch gelingt."