Beschädigte Tiefseekabel
Wie angreifbar ist die Infrastruktur in der Ostsee?

Immer wieder kommt es in der Ostsee zu Zwischenfällen mit beschädigten Tiefseekabeln. Behörden vermuten Sabotage durch Russlands sogenannte Schattenflotte. Wie hoch ist das Risiko weiterer Angriffe?

    Öltanker Eagle S im Golf von Finnland am 28. Dezember 2024 neben dem finnischen Schlepper Ukko.
    Der finnische Schlepper Ukko mit dem Öltanker "Eagle S" im Golf von Finnland. Der Tanker segelt unter der Flagge der Cookinseln und gilt als Teil der russischen Schattenflotte. (picture alliance / dpa / Lehtikuva / Jussi Nukari)
    Beinahe die gesamte weltweite Kommunikation läuft heute über Tiefseekabel: Finanzdaten, persönliche Telefongespräche, gestreamte Filme und Musik – sogar Informationen von Geheimdiensten wandern durch Glasfaserkabel unter den Weltmeeren. Auch Strom und Gas fließen durch unterseeische Kabel und Pipelines. Doch in den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Beschädigungen solcher Infrastrukturen in der Ostsee.
    Experten vermuten gezielte Angriffe, meist durch Russland – Teil einer hybriden Kriegsführung. Der Zugriff auf Schiffe aus Russlands sogenannter Schattenflotte ist allerdings völkerrechtlich stark eingeschränkt. Um Europas maritime Infrastruktur besser vor dieser neuen Bedrohung zu schützen, setzen Militär, Forschung und Industrie zunehmend auf Hightech.

    Inhalt

    Welche Vorfälle gab es in der Ostsee?

    Die Sabotage der Nord-Stream Gas-Pipelines im November 2022 zeigte einer breiten Öffentlichkeit, wie verletzlich Infrastruktur in der Ostsee ist. Und wie schwer es ist, in solchen Fällen die Täter zu ermitteln.
    Recherchen von ARD, Süddeutscher Zeitung und Die ZEIT deuten zwar daraufhin, dass das ukrainische Militär hinter dem Anschlag steckt. Die ukrainische Regierung hat jedoch immer wieder bestritten, für die Sabotage verantwortlich zu sein.
    Seitdem kam es immer wieder zu neuen Vorfällen. Im Herbst 2023 wurde die Pipeline Balticconnector zwischen Finnland und Estland gekappt, sowie Datenkabel in der Ostsee. Im November 2024 wurden zwei weitere Datenkabel in der Ostsee durchtrennt, die Finnland und Deutschland sowie Schweden und Litauen verbinden. Wenig später wurde das Stromkabel Estlink 2 zwischen Estland und Finnland beschädigt.

    Ein Muster hinter den Vorfällen

    Die finnischen Behörden setzten den Öltanker "Eagle S" fest, der in St. Petersburg gestartet war und unter der Flagge der Cookinseln fuhr. Das Schiff wurde verdächtigt, seinen Anker absichtlich über den Meeresboden gezogen zu haben, um die Kabel zu beschädigen.
    Die Ermittler vermuten, dass der Tanker "Eagle S" zur sogenannten russischen Schattenflotte gehört, mit der Russland das vor zwei Jahren im Zuge des Ukraine-Krieges verhängte Öl-Embargo umgeht und laut EU-Kommission den russischen Kriegshaushalt finanziert.
    Aus Sicht des Sicherheitsexperten Johannes Peters von der Universität Kiel sehe man jetzt zum dritten Mal „ein relativ identisches Muster, dass ein Schiff, das mit Russland zumindest in Verbindung steht, seinen Anker benutzt, um mit auffälligen Fahrmanövern über kritische Infrastruktur, über Datenkabel und Stromtrassen offenbar Schaden zu verursachen". Von Zufall könne man da kaum mehr sprechen.

    Wie funktioniert Russlands Schattenflotte?

    Das sind Schiffe, die unter der Flagge von Staaten registriert sind, die kein großes Interesse daran hätten, geltendes Recht tatsächlich durchzusetzen, erklärt Johannes Peters. Daher ließen diese sogenannten Flaggenstaaten solche Schiffe weitgehend unbehelligt.
    Wenn sich zudem der Reedereistandort in einem Land befindet, das ebenso wenig Interesse habe, internationales Recht einzufordern, sei es aufgrund des Seerechts relativ einfach, mit solchen Schiffen durch die Gegend zu fahren und Sanktionen zu umgehen. Außerdem hat ein Handelsschiff keinen Kombattanten-Status, das heißt: Kriegsschiffe könnten es nicht einfach festsetzen.
    Für die Schattenflotte nutzt Russland unter fremder Flagge fahrende Tanker, um ungeachtet der internationalen Sanktionen Rohöl und Ölprodukte zu exportieren. Russland sei als Staat jedoch erst einmal nicht involviert. Der Tanker "Eagle S" beispielsweise ist auf den Cook-Islands registriert, und nach Kenntnis von Johannes Peters befindet sich die zugehörige Reederei „irgendwo in den Arabischen Emiraten.“
    „Das Seerecht kennt und garantiert die Freiheit der Meere“, erläutert Peters. Dementsprechend ließen sich Schiffe nicht einfach so an Durchfahrten oder an Transit hindern.

    Wie reagieren EU und NATO darauf?

    Die EU verabschiedete im Februar 2025 ein Sanktionspaket gegen Russland, das sich auch gegen die russische Schattenflotte richtet – sowie „auch gegen diejenigen, die den Betrieb unsicherer Öltanker unterstützen“, so EU-Außenministerin Katja Kallas.
    Die Nato setzt vor allem auf Abschreckung. Seit dem Nord-Stream-Anschlag 2022 hat sie die Präsenz in der Ostsee erhöht. Ende 2024 fand vor der finnischen Küste die jährliche Nato-Übung „Freezing Winds“ statt. Und Anfang 2025 begannen die Nato-Staaten mit der Mission „Baltic Sentry“ und patrouillieren mit Schiffen in der Ostsee.
    Jeweils eine Fregatten- und eine Anti-Minen-Gruppe der NATO überwachen die Lage in der Ostsee, kontrollieren Schiffe und wählen verdächtige Ziele zur genaueren Prüfung aus. Unterstützt wird das durch Flugzeuge und Satelliten. Künftig soll moderne Technologie eine größere Rolle spielen – darunter Marinedrohnen und eine neue NATO-Einrichtung: das Maritime Centre for the Security of Critical Undersea Infrastructure.
    Dessen zentrales Werkzeug ist die Software „Mainsail“, die bei Bedrohungen für Pipelines und Unterseekabel automatisch Alarm schlagen soll. Noch befindet sich das System aber noch in der Testphase.
    Frank Sill Torres vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sieht die Politik in der Pflicht, vor allem beim Schutz kritischer Infrastrukturen. Er setzt auf das kommende KRITIS-Dachgesetz, das ab Sommer 2026 gelten soll. Es sieht unter anderem ein zentrales Störungsmonitoring und Mindeststandards für Betreiber kritischer Infrastrukturen vor – also etwa für Energieversorger, Telekommunikationsunternehmen oder Betreiber von Rechenzentren.

    Wie groß ist die Gefahr weiterer Angriffe?

    Aus Sicht von Sicherheitsexperte Johannes Peters ist die „enorme Länge an Kabeln, an Infrastruktur unter Wasser nicht lückenlos zu schützen.“ Das Beste, was man machen könne. sei, sich ein möglichst gutes Lagebild zu verschaffen, "um schnell agieren zu können“.
    Der Experte sieht auch für die Umwelt ein großes Risiko. Die Tanker der russischen Schattenflotte seien in einem fragwürdigen technischen Zustand. Die Havarie eines solchen Schiffes mit einer Ölpest wäre verheerend für die Ostsee. Ihr hochsensibles Ökosystem sei bereits sehr stark belastet. Schon aus diesem Grund sei die russische Schattenflotte eine Gefahr.
    Neben der Ostsee ist auch die Nordsee ein lohnendes Ziel für Sabotage. Überall schlängeln sich Pipelines und Kabel über den Meeresboden, entstehen neue Windparks und Off-Shore-Umspannwerke.
    Sicherheitsexperte und Militärhistoriker Frederik Mertens sieht auch hier ein Risiko – vor allem für die Internet- und Stromversorgung. „Falls wir jemals in einen Krieg mit höherer Intensität geraten sollten, wie er gerade in der Ukraine stattfindet. Nichts hält einen Angreifer davon ab, einen Marschflugkörper gegen einen Stromknotenpunkt tief in der Nordsee zu schicken."
    Zudem könnten Datenkabel mit dem richtigen Equipment nicht nur gekappt, sondern auch abgehört werden.

    tha, ikl