Freitag, 03. Mai 2024

Krieg am Meeresgrund
Wie man Gas-Pipelines vor Sabotage schützt

Gas-Pipelines, Strom- und Datenkabel durchziehen die Weltmeere, sie versorgen Staaten mit Energie und Informationen. Wie sicher sind sie und wie werden sie vor Sabotage geschützt?

21.07.2023
    Ein Gasleck der Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee.
    Ein Gasleck der Pipeline Nord Stream 2 in der Ostsee 2022. Wer die Saboteure waren, ist bis heute unklar. (IMAGO / TT / IMAGO / Danska Forsvaret)
    Der Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee hat gezeigt, wie verwundbar Versorgungsleitungen im Meer sind. Deutlich wurde aber auch, wie schwer es sein kann, der mutmaßlichen Saboteure habhaft zu werden: Bis heute ist unklar, wer hinter den Anschlägen vom September 2022 steckt.
    Militärs und Staatschefs haben indes längst erkannt, dass Unterwasserpipelines wie auch Tiefseekabel etwa in der Nordsee zur kritischen Infrastruktur gehören, die im Krieg und in internationalen Konflikten Ziele von Angreifern werden können. Um sie zu schützen, rüsten die Marinen der Länder auf. Doch die Verteidigung bringt unter anderem rechtliche Probleme mit sich.

    Inhalt

    Welche Versorgungsleitungen laufen durch die Meere?

    Gas, Strom, Telefongespräche, E-Mail- und Internetkommunikation: Eine riesiges Netz von Pipelines und Tiefseekabeln transportiert Daten und Energie durch die Weltmeere. Beinahe die gesamte weltweite Kommunikation läuft heute bereits über solche Leitungen. Einige Länder sollen gar über Geheimleitungen auf dem Meeresgrund Verbindungen zueinander aufgebaut haben, um das Internet zu umgehen. Auch Geheimdienste sollen verborgene Unterwasserkabel zur Kommunikation nutzen.
    Und submarine Versorgungsstrukturen werden in Zukunft immer wichtiger. Denn der Strom, den immer mehr Off-Shore-Windanlagen produzieren, wird via Tiefseekabel ins Stromnetz eingespeist.

    Wie sicher sind die Kabel und Leitungen in der Nordsee?

    Die Unterwasserinfrastruktur in der Nordsee ist verwundbar, warnen Fachleute wie der niederländische Militärexperte Frederik Mertens von der Denkfabrik „The Hague Center for Strategic Studies“ in Den Haag. Er hat sich mit seinem Team mögliche Bedrohungen für die Anlagen genauer angesehen. Deren Knoten- und Anlandepunkte sind laut Mertens potenzielle Ziele für physische Tiefsee-Sabotage. Aber auch „im Cyberbereich“ seien die Anlagen angreifbar.

    Findet in der Nordsee ein Krieg am Meeresgrund statt?

    Greifen Staaten die Strom- und Telekommunikationskabel oder die Systeme zur Gewinnung von Bodenschätzen anderer Staaten an, spricht man von „Seabed Warfare“, zu Deutsch: Kriegsführung am Meeresgrund. In der Nordsee ereignete sich ein solcher Fall wohl 2021, als unbekannte Täter eine Forschungseinrichtung vor der Küste Norwegens angriffen.
    Daten- und Stromkabel der Unterwasseranlage wurde durchtrennt, mehr als vier Kilometer Kabel entwendet. Die auf dem Meeresboden platzierte Anlage übermittelte Live-Fotos und Geräusche ans Festland und konnte so die Bewegung von Fischen überwachen – aber eben auch die Aktivitäten anderer, möglicherweise feindlicher Objekte.
    Ein weiterer Angriff wurde Anfang 2023 anscheinend verhindert. Der niederländische Geheimdienst MIVD warnte damals, Russland bereite möglicherweise Sabotageakte in der Nordsee vor. Russische Akteure hätten versucht herauszufinden, wie die Energieversorgung in der Nordsee organisiert ist – vielleicht mit der Absicht, sie zu stören, wenn sie es wollten, erklärte MIVD-Chef Jan Swillens im Februar 2023. Die Küstenwache und die Marine hätten reagiert und die russischen Schiffe „eskortiert“.
    Es sind solche „Operationen in der Grauzone“, die der Militärexperte Frederik Mertens als besonders bedrohlich einstuft. Gemeint sind damit Angriffe, die nicht während eines Krieges, sondern in Zeiten eines Konflikts erfolgen. Mertens: „Das ist Gewalt, die man leugnen kann. So kann man viel Schaden anrichten, ohne dass klar ist, wer dahintersteckt. Der Geschädigte kann also keine Vergeltung üben. Und die Nordsee ist, was das betrifft, ziemlich verwundbar.“

    Welche Gefahren drohen, wenn die Infrastruktur nicht geschützt wird?

    Ein Angriff auf die Unterwasser-Infrastruktur der Nordsee kann erhebliche Folgen für die Datensicherheit und Energieversorgung haben. Sabotieren Angreifer Stromkabel, kann das dazu führen, dass Windräder still stehen oder sogar in einer gesamten Region der Strom ausfällt. „Ein gut koordinierter Angriff könnte unsere Energiereserven wirklich ernsthaft beeinträchtigen“, glaubt Frederik Mertens.
    Und die Energie-Infrastruktur in der Nordsee könnte künftig sogar noch verwundbarer werden. Der niederländische Netzbetreiber Tennet plant Plattformen, die den Strom mehrerer Windparks bündeln und an Land schicken sollen. Das wäre genau das richtige Ziel für einen russischen Raketenschlag, falls der Ukraine-Krieg eskaliert, glaubt Frederik Mertens. „Nichts hält einen Angreifer davon ab, einen Marschflugkörper gegen einen Stromknotenpunkt tief in der Nordsee zu schicken“, warnt er.
    Aber auch Datenkabel sind kritische Ziele: Mit dem richtigen Equipment können sie gekappt oder abgehört werden. Womöglich geschieht das längst: In den vergangenen Jahren wurden immer wieder russische Forschungs- und Aufklärungsschiffe in der Nähe wichtiger Datenkabel gesichtet.

    Wie schützen sich Staaten vor Sabotage?

    Die internationalen Marinen seien heute schon gut ausgestattet und haben ein Unterwasser-Lagebild, sagt Claudia Lilienthal, Expertin für maritime Systeme beim Rüstungsunternehmen ESG. Doch viele Staaten wollen ihre Tiefsee-Anlagen noch besser schützen und auf feindliche Sabotageakte im Meer möglichst gut vorbereitet sein.
    Großbritannien etwa hat ein Schiff mit unbemannten Tauchbooten in den Dienst gestellt, das den Meeresboden überwachen soll. Auch Frankreich hat seine Aktivitäten verstärkt. Und die Bundeswehr benennt in ihrer Strategie „Marine 2035“ den „Unterwasser-Seekrieg“ als eine reale Gefahr. Entsprechend will sich die Marine verstärkt mit moderner Sensorik und unbemannten Unterwasserfahrzeugen ausrüsten.
    Nach Ansicht von Claudia Lilienthal wird die Sicherung der kritischen Infrastruktur künftig aber gar nicht vor allem vom Militär übernommen werden. Deren private Betreiber werden vielmehr in die Pflicht genommen werden, glaubt sie.
    Eine weitere Schutzmaßnahme besteht darin, Energie- und Kommunikationsnetzwerke so zu konstruieren, dass sie einem Angriff standhalten. Um das zu erreichen, werden schon jetzt zum Beispiel mehr Kabel verlegt als eigentlich nötig. Falls ein Kabel reißt, können andere übernehmen.
    Einige EU-Regierungen planen zudem bereits, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, um die gemeinsame Infrastruktur zu schützen.

    Welche rechtlichen Probleme gibt es?

    Juristisch gesehen ist die Abwehr von Sabotageakten an Unterwasser-Pipelines und -kabeln mitunter eine heikle Angelegenheit. „Da klafft eine große rechtliche Lücke“, sagt Thea Coventry, Seerechts-Expertin am Asser-Institut für internationales Recht in Den Haag.
    Beschädige beispielsweise ein unter ausländischer Flagge fahrendes Schiff ein Unterseekabel, habe der Küstenstaat zwar das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, aber nur in den eigenen Hoheitsgewässern. Zudem müssen „Beweise für eine bösartige Absicht vorliegen“, so Coventry.
    Kreuzt der Saboteur in internationalen Gewässern und handelt es sich um ein Marineschiff oder ein staatliches Forschungsschiff, dürfen patrouillierende Schiffe eines anderen Staates nicht einschreiten.

    Marten Hahn, Deutschlandfunk, tmk