Durch die Fenster der alten Münchner Synagoge dringt Bach-Musik, danach Haydns Schöpfung. Christliche Musik in einem jüdischen Gotteshaus. Vor dem Chor der Münchner Kammerspiele leuchten zwei Menorot, sechsarmige Leuchter. An den Wänden hebräische Schriftzüge.
Normalerweise sitzen die Frauen von den Männern getrennt auf der Empore. Doch an diesem Abend ist alles anders. Zum ersten Mal ist Theaterpublikum in die Synagoge gekommen:
"Das war für uns Neuland. Ich habe das Stück vorher gelesen und war sehr begeistert. Ich konnte mir zwar die Umsetzung nicht so genau vorstellen, aber ich finde die Form, obgleich sehr gewagt, sehr gelungen."
Als Rachel Salamander vom Verein Synagoge Reichenbachstraße vor gut einem Jahr von Dramaturg Björn Bickel um ein Gespräch gebeten wurde, reagierte sie zunächst verhalten. Inzwischen ist sie begeistert: In der Synagoge, die 1931 gebaut und in der Nazizeit als Werkstatt missbraucht wurde, sitzen Gläubige unterschiedlichster Religionen und Konfessionen plötzlich zwei Stunden lang aufmerksam zusammen: Katholiken, Adventisten, Pfingstler, Moslems, Juden, Sikhs.
Ein junges Mitglied der äthiopischen Oromo-Gemeinde in München lobt das Projekt überschwänglich. Anfang Juli wird die Theaterperformance Urban Prayers in seiner Kirche Station machen, gemeinsam mit der Koreanischen und Kongolesischen Gemeinde bereitet er dafür einen traditionellen Abend vor:
"Ich kann nicht beschreiben, es ist toll."
"Also ich bin beeindruckt von dem Ganzen, dieses Gemeinsame, diese Message, die es gibt, ich finde es einfach einmalig, ich finde es einfach toll, was hier auf die Beine gestellt worden ist."
Zeigt sich Meral Turan angetan. Sie ist Mitglied im Landesfrauenverband des deutsch-türkischen Dachverbandes Ditib und zweite Vorstandsvorsitzende der Mehmet Akif Moschee im Münchner Norden. Das Urban-Prayers-Projekt wird in Kürze auch in ihrer Moschee zu Gast sein. Gibt es dann eine bestimmte Kleiderordnung?
"Nein. Aber ich habe gehört, dass die Kollegen Tücher bereitstellen möchten, für diejenigen, die das dann machen möchten, aber solange man nicht sehr freizügig kommt, wird es keine Probleme geben."
Der Nigerianer Sunny Abisaoulla betritt an diesem Abend wie viele Zuschauer zum ersten Mal in seinem Leben eine Synagoge:
"Ich bin von der Pfingstgemeinde Holy Ghost Fire Revival Ministries. Uns gibt es seit drei Jahren in München. Das Projekt finde ich unglaublich. Als der Dramaturg bei uns anrief, war ich hocherfreut, er hat viel gefragt zu unserer Kirche, sechsmal trafen wir uns, jetzt kommt das Theater zu uns und - warum auch nicht?"
Zu fünft sitzen die Schauspieler in Schwarz gekleidet mitten im Raum auf der Bima, dem traditionellen Platz in der Synagoge, von dem aus die Thora vorgelesen wird. Kurz bevor das Theaterstück beginnt, singt ein Rabbi:
Und dann kommen sie, die Fragen, Vorurteile, Anschuldigungen. Quer durcheinander, die Schauspieler sind mal Christen, mal Juden, mal Muslime, mal Sikhs. Kein Vorurteil wird ausgelassen, und alle Vorurteile werden hinterfragt. Eingebettet in einen monotonen Refrain ergießt sich - unterbrochen von Haydns Schöpfung und Bachs Choral "Oh Haupt voll Blut und Wunden" - das gesamte Konfliktpotential der Weltreligionen über das Publikum.
Alle Glaubensgemeinschaften werden in Urban Prayers hinterfragt - und hinterfragen ihr Glaubensleben: Beschneidung, Wiedergeburt, Zölibat, Extremismus, Missbrauch.
Im Publikum wird es unruhig. Jeder könnte sich angegriffen fühlen, manchmal wird gelacht. Es ist eine Gradwanderung von Dramaturg und Autor Björn Bicker. Seine Botschaft: Allen geht es ähnlich, alle fühlen sich missverstanden, deshalb dieses Projekt.
"Ich habe ja weniger die Leute nach ihren Glaubensinhalten gefragt, sondern mich hat viel mehr interessiert, was für ein Verhältnis haben gläubige Menschen, egal welcher Religion, zu dieser Stadt, zu dieser Demokratie, zu diesem Gemeinwesen."
Bicker hat ein Stück entwickelt, das aufzeigt, wie wenig hilfreich es ist, einander zu misstrauen. Herausgekommen ist aber auch ein Werk, dass an jedem Aufführungsort etwas anders ist:
"Das ist wie so ein Versuch. Das Stück verändert sich extrem jedes Mal durch den Raum. Das fand ich unglaublich interessant und deshalb haben wir uns relativ früh entschieden: Es gibt eine Art Performance und die findet ähnlich in den Räumen statt, aber in jedem Ort wird es einen musikalischen Beitrag der gastgebenden Gemeinden geben. Also hier in der Synagoge gibt es einen jungen Mann, der kantoral singt, bei den Griechisch-Orthodoxen wird es einen Kantorenchor geben, in der Moschee wird der Imam rezitieren. Die Aufführung wird also angereichert durch die Gastgeber."
Sichtbar werden, Vorurteile abbauen, auch mal übereinander lachen – das Projekt Urban Prayers der Münchner Kammerspiele ist ein Versuchsballon, wie weit sich Religionen aufeinander einlassen wollen. In München ist die Neugier vorhanden.
Normalerweise sitzen die Frauen von den Männern getrennt auf der Empore. Doch an diesem Abend ist alles anders. Zum ersten Mal ist Theaterpublikum in die Synagoge gekommen:
"Das war für uns Neuland. Ich habe das Stück vorher gelesen und war sehr begeistert. Ich konnte mir zwar die Umsetzung nicht so genau vorstellen, aber ich finde die Form, obgleich sehr gewagt, sehr gelungen."
Als Rachel Salamander vom Verein Synagoge Reichenbachstraße vor gut einem Jahr von Dramaturg Björn Bickel um ein Gespräch gebeten wurde, reagierte sie zunächst verhalten. Inzwischen ist sie begeistert: In der Synagoge, die 1931 gebaut und in der Nazizeit als Werkstatt missbraucht wurde, sitzen Gläubige unterschiedlichster Religionen und Konfessionen plötzlich zwei Stunden lang aufmerksam zusammen: Katholiken, Adventisten, Pfingstler, Moslems, Juden, Sikhs.
Ein junges Mitglied der äthiopischen Oromo-Gemeinde in München lobt das Projekt überschwänglich. Anfang Juli wird die Theaterperformance Urban Prayers in seiner Kirche Station machen, gemeinsam mit der Koreanischen und Kongolesischen Gemeinde bereitet er dafür einen traditionellen Abend vor:
"Ich kann nicht beschreiben, es ist toll."
"Also ich bin beeindruckt von dem Ganzen, dieses Gemeinsame, diese Message, die es gibt, ich finde es einfach einmalig, ich finde es einfach toll, was hier auf die Beine gestellt worden ist."
Zeigt sich Meral Turan angetan. Sie ist Mitglied im Landesfrauenverband des deutsch-türkischen Dachverbandes Ditib und zweite Vorstandsvorsitzende der Mehmet Akif Moschee im Münchner Norden. Das Urban-Prayers-Projekt wird in Kürze auch in ihrer Moschee zu Gast sein. Gibt es dann eine bestimmte Kleiderordnung?
"Nein. Aber ich habe gehört, dass die Kollegen Tücher bereitstellen möchten, für diejenigen, die das dann machen möchten, aber solange man nicht sehr freizügig kommt, wird es keine Probleme geben."
Der Nigerianer Sunny Abisaoulla betritt an diesem Abend wie viele Zuschauer zum ersten Mal in seinem Leben eine Synagoge:
"Ich bin von der Pfingstgemeinde Holy Ghost Fire Revival Ministries. Uns gibt es seit drei Jahren in München. Das Projekt finde ich unglaublich. Als der Dramaturg bei uns anrief, war ich hocherfreut, er hat viel gefragt zu unserer Kirche, sechsmal trafen wir uns, jetzt kommt das Theater zu uns und - warum auch nicht?"
Zu fünft sitzen die Schauspieler in Schwarz gekleidet mitten im Raum auf der Bima, dem traditionellen Platz in der Synagoge, von dem aus die Thora vorgelesen wird. Kurz bevor das Theaterstück beginnt, singt ein Rabbi:
Und dann kommen sie, die Fragen, Vorurteile, Anschuldigungen. Quer durcheinander, die Schauspieler sind mal Christen, mal Juden, mal Muslime, mal Sikhs. Kein Vorurteil wird ausgelassen, und alle Vorurteile werden hinterfragt. Eingebettet in einen monotonen Refrain ergießt sich - unterbrochen von Haydns Schöpfung und Bachs Choral "Oh Haupt voll Blut und Wunden" - das gesamte Konfliktpotential der Weltreligionen über das Publikum.
Alle Glaubensgemeinschaften werden in Urban Prayers hinterfragt - und hinterfragen ihr Glaubensleben: Beschneidung, Wiedergeburt, Zölibat, Extremismus, Missbrauch.
Im Publikum wird es unruhig. Jeder könnte sich angegriffen fühlen, manchmal wird gelacht. Es ist eine Gradwanderung von Dramaturg und Autor Björn Bicker. Seine Botschaft: Allen geht es ähnlich, alle fühlen sich missverstanden, deshalb dieses Projekt.
"Ich habe ja weniger die Leute nach ihren Glaubensinhalten gefragt, sondern mich hat viel mehr interessiert, was für ein Verhältnis haben gläubige Menschen, egal welcher Religion, zu dieser Stadt, zu dieser Demokratie, zu diesem Gemeinwesen."
Bicker hat ein Stück entwickelt, das aufzeigt, wie wenig hilfreich es ist, einander zu misstrauen. Herausgekommen ist aber auch ein Werk, dass an jedem Aufführungsort etwas anders ist:
"Das ist wie so ein Versuch. Das Stück verändert sich extrem jedes Mal durch den Raum. Das fand ich unglaublich interessant und deshalb haben wir uns relativ früh entschieden: Es gibt eine Art Performance und die findet ähnlich in den Räumen statt, aber in jedem Ort wird es einen musikalischen Beitrag der gastgebenden Gemeinden geben. Also hier in der Synagoge gibt es einen jungen Mann, der kantoral singt, bei den Griechisch-Orthodoxen wird es einen Kantorenchor geben, in der Moschee wird der Imam rezitieren. Die Aufführung wird also angereichert durch die Gastgeber."
Sichtbar werden, Vorurteile abbauen, auch mal übereinander lachen – das Projekt Urban Prayers der Münchner Kammerspiele ist ein Versuchsballon, wie weit sich Religionen aufeinander einlassen wollen. In München ist die Neugier vorhanden.