Samstag, 27. April 2024

EU-Kommissionspräsidentin
Von der Leyens Chancen auf eine zweite Amtszeit

Die CDU will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Europawahl als Spitzenkandidatin aufstellen. Die Politikerin ist krisenerprobt, wird aber auch aus den eigenen Reihen kritisiert. Was wird von ihr erwartet?

20.02.2024
    Eine blonde Frau, Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, blickt nach oben und lächelt.
    Sie will noch einmal an die Spitze der Kommission: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    US-Präsident Joe Biden hatte Ursula von der Leyern gerade erst erneut als mögliche Nachfolgerin des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg ins Gespräch gebracht. Doch dazu wird es erst einmal nicht kommen. Denn die CDU-Politikerin strebt eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin an.
    Und während die Niedersächsin nach der Europawahl 2019 noch als Überraschungskandidatin zur obersten Chefin der EU-Kommission 2019 gekürt wurde, geht sie diesmal den dafür vorgesehenen Weg: Nachdem die CDU sie am 19. Februar als Spitzenkandidatin vorgeschlagen hat, könnte am 7. März die Kür durch die europäischen Konservativen der Europäischen Volkspartei (EVP) folgen. Anschließend müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs sie ebenfalls für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin nominieren.
    Von der Leyen wurde zwar von ihrer Partei als Spitzenkandidatin vorgeschlagen, sie steht jedoch auf keiner Wahlliste  - und ist somit nicht direkt für die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger wählbar.

    Überblick

    Wie stehen von der Leyens Chancen auf eine Wiederwahl?

    Die Chancen stehen nicht schlecht. Denn von der Leyen ist durch die zurückliegenden fünf Jahre mit Coronapandemie, Ukrainekrieg, sich zuspitzendem Konflikt mit Russlands Präsident Wladimir Putin sowie dem Dauerkonflikt mit EU-Mitglied Ungarn sturmerprobt.
    Das war sie auch zuvor schon: als Bundesministerin in den Merkel-Kabinetten I bis IV. Erst als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dann im Ressort Arbeit und Soziales, schließlich, 2013 bis 2019, als Verteidigungsministerin. In diesem Amt stand sie  jedoch auch heftig in der Kritik. Als Chefin der EU-Kommission hat sie in den zurückliegenden Jahren Profil gewonnen, was vielleicht ihr Spitzname „Madame Europa“ belegt.

    Aufwind für die Europäischen Konservativen

    Um wiedergewählt zu werden, braucht sie den Rückhalt der EU-Regierungen. Davon werden zwölf christdemokratisch geführt und zählen damit zu von der Leyens politischem Lager. Um Kommissionschefin zu bleiben, braucht sie eine Mehrheit im EU-Parlament.
    Zudem: Für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten wird in der Regel eine Kandidatin oder ein Kandidat der europäischen Parteienfamilie ernannt, die bei der Europawahl am besten abschneidet. In Umfragen liegt die EVP bislang klar vorn. Die Chancen sind deshalb relativ groß, dass von der Leyen an der Spitze bleiben kann.
    Auch gilt als sicher, dass sie mindestens in Frankreichs Staatspräsident Emanuel Macron und in der postfaschistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Unterstützer hat.

    Wofür steht von der Leyen bislang - und was wird von ihr erwartet?

    Mit dem Green Deal und dem EU-Migrationspakt hat die 65-Jährige einige „Projekte“ vorangebracht. Der Green Deal, inklusive absehbarem Aus für Verbrennermotoren, soll die EU in eine klima- und umweltfreundliche Zukunft führen. Das Ziel ist, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden.

    Kritik aus den eigenen Reihen

    Aus den eigenen politischen Reihen gibt es für ihr Green Deal-Engagement und ihre allgemeine „Performance“ neben Lob auch Kritik. Im Europaparlament haben manche Christdemokraten den Eindruck, von der Leyen verfolge eine zu grüne Politik. Im Fall einer Wiederwahl fordert der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber eine Kurskorrektur: Für ihn steht nicht der Green Deal, sondern die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Stärkung des Binnenmarktes ganz oben auf der To-Do-Liste. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung. Vor allem am Verbrennerverbot stoßen sich Parteikollegen. Diesen Gegenwind muss von der Leyen nun abmildern.

    Erwartungen an die EU-Verteidingungspolitik

    Von der Leyen hat sich für eine klare Position gegen Putin und seinen Angriffskrieg auf die Ukraine stark gemacht. Angesichts der immer angespannteren Lage im Osten Europas ruht eine weitere konkrete Erwartung auf einer möglichen zweiten Amtszeit von der Leyens: deutliche Investitionen in die Verteidigung.
    Darauf hat sie jetzt eine Antwort gegeben. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Mitte Februar 2024, kündigte sie an, im Falle einer zweiten Amtszeit einen neuen festen Posten in der EU-Kommission zu schaffen und einen Verteidigungskommissar einzusetzen. Auch hält sie es für sinnvoll, Rüstungsinvestitionen gemeinsam mit den anderen EU-Staaten anzugehen.
    Aus Sicht von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl, hätte von der Leyen schon früher agieren müssen. Die Kommissionspräsidentin habe sich in den zurückliegenden Jahren viel zu wenig um die Sicherheitspolitik gekümmert. Sie habe „die drei Trump-freien Jahre“ nicht genutzt, um Europas Verteidigungsfähigkeit zu stärken.

    Kritik wegen sozialer Spaltung

    Kritik an von der Leyen kommt auch vom Martin Schirdewan, Linken-Chef und Co-Vorsitzender der Linken-Fraktion im Europaparlament: Die Bilanz der Kommissionspräsidentin sei desaströs: "Unter ihrer Präsidentschaft hat sich die soziale Spaltung der EU vertieft."
    Es sind viele Erwartungen, auf die von der Leyen in ihrem zukünftigem Wahlprogramm eingehen muss. 2019 war die Mehrheit im Europäischen Parlament hauchdünn. 

    mkn