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Urteil vor 70 Jahren
NS-Filmregisseur Veit Harlan freigesprochen

Veit Harlan war der bestbezahlte Regisseur der Nazi-Zeit und drehte für das Regime Propagandafilme. Als er nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ins Filmgeschäft einsteigen wollte, regten sich Proteste. 1949 musste er sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten.

Von Christian Berndt | 23.04.2019
    Der Filmregisseur Veit Harlan filmt 1954 auf dem Münchner Flughafen mit einer Schmalfilm-Kamera.
    Veit Harlan war der Vorzeige-Regisseur des NS-Regimes (picture alliance / dpa / DB Göbel)
    "Donnerwetter, das ist ja gerammelt voll. - So viele Menschen habe ich hier überhaupt noch nicht gesehen im Hamburger Strafjustizgebäude. – Das ist das Gespräch zweier Pressevertreter im Schwurgerichtssaal, in dem heute der Schlussstrich gezogen werden soll unter den Prozess Veit Harlan."
    Der Rundfunk berichtet live, die Urteilsverkündung im April 1949 ist ein Medienereignis. Denn Veit Harlan war der Vorzeige-Regisseur des NS-Regimes und hatte neben Melodramen Propagandafilme wie "Kolberg" und "Jud Süß" gedreht. Trotzdem war er nach dem Krieg wieder gefragt. Der Filmkritiker und frühere Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt erinnert sich:
    "Es war große Aufregung um Veit Harlan, weil er sich ja als UFA-Star weiterhin darbot und völlig unbelehrbar war."
    Aber gegen Harlans Comeback regten sich Proteste:
    "In diesen Kammerspielen in Hamburg setzte er sich mit seiner Frau Kristina Söderbaum in die erste Reihe, und Ida Ehre, die Intendantin, war eine Jüdin, die das Theater gerade wieder übernommen hatte, und dann hat sie ihm Hausverbot erteilt, in der laufenden Vorstellung."
    Harlan: Antisemitische Verschärfungen stammten von Goebbels
    Verfolgte des NS-Regimes erstatteten bei der Hamburger Staatsanwaltschaft Anzeige wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit", weil Harlan mit dem UFA-Film "Jud Süß" die NS-Vernichtungspolitik legitimiert habe. Am 3. März 1949 wurde der Prozess gegen ihn eröffnet. Harlan behauptete, er hätte Goebbels‘ Auftrag für den Film aus Zwang angenommen und nur widerwillig mitgewirkt. Dagegen spricht allein das Engagement, mit dem er das ursprüngliche Drehbuch umschrieb. Goebbels war von Harlans Fassung, die antisemitische Hetze in ein spannendes Historien-Drama packte, begeistert. Harlan sagte vor Gericht, er habe sich an die historischen Ereignisse des 18. Jahrhunderts gehalten:
    "Ich gebe zu, dass dabei eine Gefahr liegt, wenn man einen Film wahr macht anstatt unwahr, dass dann die Tendenz, wenn sie einmal ausgedrückt werden soll, zu ganz schlimmen Auswirkungen führen kann. Aber was bleibt denn einem richtigen Künstler übrig in dem Augenblick?"
    Harlan argumentierte, die antisemitischen Verschärfungen stammten von Goebbels, er dagegen habe die Figur des Joseph Süß Oppenheimer viel positiver gestaltet als gefordert. Tatsächlich spielte Ferdinand Marian den jüdischen Finanzberater des Herzogs von Württemberg als charismatischen Verführer. Aber das ließ ihn umso gefährlicher wirken:
    "Himmler hat die Auflage erteilt, dass die gesamte SS und Polizei verpflichtet waren, sich den Film anzugucken, bevor sie aktiv bei der Vernichtung der Juden eingesetzt wurden."
    KZ-Überlebende bezeugten, dass Wachmannschaften nach Ansicht des Films besonders brutal vorgegangen seien. Aber Richter Walter Tyrolf argumentierte, Prügel seien im KZ auch ohne den Film Alltag gewesen. Der Reporter bemerkte dazu kritisch:
    "Den Aussagen der Belastungszeugen wurde der Reihe nach das Belastende abgesprochen. Die Angst der Juden vor dem Film sei lediglich auf die aufreizende Reklame zurückzuführen, nicht aber auf den Film selbst, dessen so milde Form die Juden dann als eine Erleichterung empfunden hätten."
    "Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens"
    Tatsächlich wurden Juden im Film als abstoßende Volksschädlinge dargestellt. Am 23. April 1949 wurde Harlan freigesprochen, seine Anhänger trugen ihn auf Schultern aus dem Saal.
    "Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens."
    Ein Jahr später folgte ein Revisionsprozess - wieder unter Tyrolf. Jetzt erkannte der Richter die gefährliche Wirkung des Films an, attestierte Harlan aber, er habe den Film unter Zwang drehen müssen. Belastungszeugen wurden im Gerichtssaal als "Judensau" beschimpft. Harlan wurde erneut freigesprochen, auch vom Vorwurf der Beleidigung der Juden durch den Film. Diesen Anklagepunkt erklärte Tyrolf für verjährt: Juden, die sich vom Film verunglimpft fühlten, hätten ja nach dem Kinostart 1940 klagen können:
    "Der Richter hat sich offenbar vorgestellt, die Juden … gehen ins Kino mit einem gelben Judenstern auf der Jacke. Und gehen raus und sagen, das ist ja unerhört, und gehen zu einer Polizeidienststelle und sagen: Ich erstatte Anzeige wegen Beleidigung."
    Der Prozess stand exemplarisch für den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Tyrolf hatte vor 1945 als Sonderstaatsanwalt Todesurteile für Bagatelldiebstähle und Fälle sogenannter Rassenschande erwirkt. Der umjubelte Freispruch Harlans, der als einziger Künstler der NS-Zeit angeklagt wurde, entlastete symbolisch die gesamte Kulturszene. Aber in den folgenden Jahren kam es bei Aufführungen von Filmen Harlans immer wieder zu Protesten, wie 1952 in Freiburg. Heute sieht man in diesen Protesten die ersten Vorboten der Zivilgesellschaft - die Demokratie hat davon profitiert.