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Urteil zum "Adenauer-Fernsehen"
Meilenstein der deutschen Medienpolitik

Anfang der 1960er-Jahre plante Bundeskanzler Adenauer einen staatlichen Fernsehsender, um mehr Einfluss nehmen zu können. Das Bundesverfassungsgericht verbot das "Adenauer-Fernsehen" - und prägte damit die Medienpolitik. Die Debatten um politischen Einfluss endeten mit dem Urteil jedoch nicht.

Von Michael Meyer | 25.02.2021
Bundeskanzler Konrad Adenauer sitzt während der Aufzeichnung einer Fernsehansprache in einem Fernsehstudio hinter einem Tisch.
Konrad Adenauer bei einer Rundfunk- und Fernsehansprache 1962 (dpa/ UPI/ Karl-Heinz Schubert)
"Im Namen des Volkes: Der Bund hat durch die Gründung der Deutschen Fernseh GmbH gegen Artikel 30 in Verbindung mit dem achten Abschnitt des Grundgesetzes [...] und gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen."
So urteilten die Bundesverfassungsrichter am 28. Februar 1961, das sogenannte "Adenauer-Fernsehen" zu verbieten. Das Urteil war abzusehen, sagt der emeritierte Medienwissenschaftler Rüdiger Steinmetz, damals habe es noch keine ausreichende Sensibilität für Rundfunkfragen gegeben: "Aus allem, was Adenauer gesagt hat, sprach kein Verständnis für eine Medienvielfalt, es ging nicht darum, dass man Menschen informiert. Und er hat gesagt, dieses System führt einfach in die Irre, ich möchte gerne als Bundeskanzler mich an das Volk richten und eine Rede halten, und da meinte er, das sei nicht möglich."
Doch eine Rede in einem Fernsehsender halten – dafür hätte Adenauer die Zustimmung der Sender gebraucht.

Dezentrale Organisation des Rundfunks

Im Nachkriegsdeutschland wurde der Rundfunk dezentral organisiert, ein System, das Adenauer in Hintergrundgesprächen mit Journalisten schon mal als "absurd" und als "Last der Alliierten" bezeichnete. Weder der Bund, noch die Länder konnten selbst ein Fernsehprogramm ins Leben rufen. Aber: die Bundespost besaß das Recht, Sendelizenzen zu vergeben. Somit konnte man argumentieren, der Bund als Eigner der Bundespost könne durchaus Rundfunk veranstalten.
Auf einem Smartphone ist eine Website zur Information über die Zahlung des Rundfunkbeitrags aufgerufen.
Rundfunkbeitrag - Großer Streit um 86 Cent
Der Rundfunkbeitrag soll zum 1. Januar 2021 bundesweit von monatlich 17,50 Euro auf 18,36 Euro steigen. Doch die Ablehnung von CDU und AfD in Sachsen-Anhalt könnte das verhindern. Fragen und Antworten.
Schon 1958 wurde in Frankfurt am Main eine Vorläufer-GmbH für "Freies Fernsehen" gegründet, zu der die Bundesländer beitreten sollten. Geplant war, dass die Länder an der neuen Fernsehgesellschaft zu 49 Prozent beteiligt sind, der Bund zu 51 Prozent. Eine durchaus raffinierte Konstruktion, wie der Rechtswissenschaftler und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem meint.

"Staatsfreiheit des Rundfunks in Gefahr"

Das ganze Projekt sei primär im Hinblick auf die geplante politische Einflussnahme zu sehen: "Und hier war es so, dass die Bundesregierung zwar eine privatrechtliche Gestaltungsform wählte, aber eben eine Gesellschaft, an der der Bund die Anteile hielt, und treuhänderisch auch für die Länder. Es sollte also eine im staatlichen Eigentum, wenn Sie so wollen, befindliche Gesellschaft werden mit starken staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten, sodass die Staatsfreiheit des Rundfunks in Gefahr war.
Bundeskanzler Konrad Adenauer sitz zu einer Unterschrift an einem Tisch neben Justizminister Fritz Schaffer. Dieser fasst Adenauer am Unterarm, beide lachen.
Am 25. Juli 1960 unterzeichnet Bundeskanzler Adenauer das Gründungsdokument der "Deutschland Fernsehen GmbH" (imago/ ZUMA/Keystone)
Doch selbst die CDU-geführten Bundesländer waren nicht recht überzeugt. In den SPD-geführten Bundesländern Hamburg, Bremen, Hessen und Niedersachsen fürchtete man, das neue zweite Programm würde eine Art "Bundeskanzler-Fernsehen" und reichte Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Das verbot dann das Projekt mit der Begründung, der Bund sei nur für die Rundfunktechnik, nicht jedoch für die Programmveranstaltung zuständig. Und das Urteil stellte erstmals in der Nachkriegszeit fest, dass Fernsehen und Hörfunk Faktoren zur Meinungsbildung sind. Keine einzige Gruppe solle bestimmen können, "was nicht gesendet werden, und wie das Gesendete geformt und gesagt werden soll".

Einflussnahme der Politik auf die Medien

Trotz dieser deutlichen Worte des Gerichts empörte sich wenige Tage später Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Bundestagsdebatte über das Urteil: "Das Kabinett war sich darin einig, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch ist, meine Damen und Herren. Meine Herren, Sie können doch wirklich nicht erwarten, dass ich mich hinstelle und sage, das ist ein gutes Urteil."
Politiker nahmen auch in den Jahren danach immer wieder auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen Einfluss, wie jüngst in der Debatte um eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags.
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Trotz ihrer schwerfälligen Apparate hätten die öffentlich-rechtlichen Sender langsam von den privaten gelernt, sagt Friedrich Küppersbusch. Allerdings sieht der TV-Produzent das klassische Fernsehen untergehen.
Medienwissenschaftler Rüdiger Steinmetz findet die Kritik an den Sendern nicht unbegründet, sagt aber, dass Politiker sich dennoch in inhaltlichen Fragen zurückhalten sollten, "weil sie dann nämlich zum einen zu erkennen geben, dass sie diese Medien nur als Instrumente für Machtausübung verwenden wollen und zum anderen auf diese Informationen auch Einfluss nehmen wollen. Dieses ist ausgeschlossen und muss ausgeschlossen bleiben. Diese Daumenschrauben, die da jetzt angelegt werden, Gebührenerhöhung um wenige Cent, an diese Dinge zu koppeln, das geht gar nicht."
Ein zweites Fernsehprogramm kam dann aber doch. Zwei Jahre nach dem Urteil von 1961 ging das Zweite Deutsche Fernsehen auf Sendung – eine öffentlich-rechtliche Anstalt, die die Länder ohne den Bund gegründet hatten. Und ähnlich organisiert wie die Landesrundfunkanstalten der ARD.