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US-Universitäten
Hungernde Studierende

Unterrichtsbuch oder etwas zu essen: Viele Studenten in den USA haben nicht genug Geld, um beides zu kaufen - und viele hungern. Mit leerem Bauch fällt das Studieren schwer, die Noten werden schlechter, Depressionen können die Folge sein. Tafeln an den Unis lindern das Problem - zumindest ein bisschen.

Von Martina Buttler | 30.04.2018
    Eine Studentin greift nach eienr Packung Cornflakes bei der Essensausgabe der MSU-Studententafel an der Michigan State University in East Lansing
    Unitafeln helfen gegen knurrende Mägen (dpa / Derrick L. Turner / MSU food)
    Die schlanke Hannah hat einen Kaffee neben sich stehen. Nicht nur, weil er der jungen Frau mit den glatten, blonden Haaren schmeckt. Sondern, weil er den Hunger vertreibt. Die 21-Jährige ist eine von vielen Studenten in den USA, die nicht genug zu essen haben.
    Kein Geld für Essen
    In ihrem ersten Jahr an der George Washington University hat der Hunger ihr richtig zugesetzt:
    "Ich habe rund sieben Kilo abgenommen. Ich bin 1,52 Meter groß und wiege jetzt 50 Kilo. Als ich im Sommer nach Hause gefahren bin, hatte meine Familie Angst, dass ich magersüchtig geworden bin, weil ich so viel Gewicht verloren hatte."
    36 Prozent der Studenten haben nicht genug zu essen. Zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Temple University. Dabei zählt Hannah sich schon zu den Glücklichen, schließlich muss sie dank ihres Stipendiums die Einschreibegebühr von gut 50.000 Euro im Jahr nicht zahlen. Aber ihr Zimmer kostet rund 12.300 Euro im Jahr, dazu die Kosten für Bücher, Kleidung - da bleibt fürs Essen nicht mehr viel übrig. Auf ihrem Campus gibt es viele Studenten aus wohlhabenden Familien. Hannah gehört nicht dazu.
    Hunger - schlechte Noten - Depression
    Ihre Familie hat kein Geld. Ihre Freunde haben versucht, ihr zu helfen:
    "Manchmal haben sie mir mitgebracht, was vom Essen übrig war oder mich eingeladen. Wenn ich das wollte. Denn manchmal ist der Stolz im Weg. Es ist schwer zuzugeben, dass man Hilfe braucht.
    Hannah hat versucht lange zu schlafen, um ihren Hunger nicht zu spüren. Hungrig studieren, das hat sie fertig gemacht:

    "Ich habe Depressionen deshalb bekommen. Das hat wieder was gekostet. Das war ein Teufelskreis. Wenig zu essen führt zu schlechten Noten, das zu Depressionen und das zu einem schlechten Selbstwertgefühl."
    Tafel für Studierende
    In ihrem zweiten Studienjahr wurde an ihrer Uni eine Tafel für Studenten aufgemacht. Der Raum, in dem sich Studenten Reis, Haferflocken, Dosen mit Gemüse, Brötchen, Eier oder Milch abholen können, ist Hannahs Rettung. Ihre Kommilitonin Saru hilft hier ehrenamtlich und erklärt, warum es keine Hinweisschilder für die Tafel gibt und an der unscheinbaren weißen Tür am Ende eines Ganges offiziell Konferenzraum steht:
    "Jeder kann zu jeder Zeit mit seinem Studentenausweis reingehen. Wir wissen nicht, wer du bist. Niemand weiß das, außer er trifft dich da zufällig."
    Immer wieder kommen Studenten vorbei, öffnen die Tür und holen sich etwas zu essen raus. Alles anonym. Niemandem soll es peinlich sein. Hannah kennt das Gefühl:
    "Ich war schlecht an der Uni, konnte mich hungrig nicht konzentrieren. Ich habe von der Tafel gehört, aber gezögert, weil es mir unangenehm war. Aber dann habe ich festgestellt: Ich habe keinen Hunger und ich dachte, das ist toll.
    Es gibt keine Aufsicht in dem Raum, die aufpasst, wer wieviel einpackt. Rund 800 Studenten sind aktuell Kunden bei der Tafel der George Washington University. Saru weiß, wer zu ihnen kommt:
    "Es gibt beispielsweise Studenten, die neu an der Uni sind und bei uns Kunden sind. Die haben einen Kulturschock und stellen fest, wie teuer Washington ist und wie teuer es ist, zu studieren."
    Hunger hat weitreichende Auswirkungen
    Hannah macht nächstes Jahr ihren Abschluss. Die Zeit, als sie zu wenig zu essen hatte und hungrig zur Uni kam, wird sie an ihrer Note ablesen können:
    "Ich habe viele Klassen nicht geschafft, bin bei zwei Seminaren durchgefallen. Das reißt meinen Schnitt runter und wenn ich weiterstudieren will, werde ich schlechtere Chancen haben, an Unis angenommen zu werden. Der Hunger war also nicht nur damals ein Problem. Das hat wahrscheinlich Auswirkungen auf den Rest meines Lebens."
    Die Studenten müssen schwere Entscheidungen treffen - beispielsweise, ob sie sich ein Unterrichtsbuch oder etwas zu essen kaufen. Es ist eine versteckte Krise, die viele Studenten in den USA betrifft.