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USA
Eine Abrechnung mit Hillary Clinton

Hillary Clinton habe die US-Präsidentschaftswahl verloren, weil ihre Kampagne zum Scheitern verurteilt gewesen sei: Das schreibt Donna Brazile, frühere Parteichefin der US-Demokraten. Ihr Buch sorgt derzeit in Washington für Wirbel.

Von Thilo Kößler | 13.11.2017
    Hillary Clinton
    Hillary Clinton (picture alliance / dpa / Ron Sachs)
    Den Titel dieses brisanten Buches könnte man ungefähr übersetzen mit: "Hackerangriffe. Wie Einbrüche und Fehlleistungen Donald Trump ins Weiße Haus brachten". Ein Titel, der allerdings in die Irre führt. Es geht nämlich weniger um die Frage, wie und warum es Donald Trump ins Weiße Haus schaffte als darum, warum Hillary Clinton es nicht schaffte.
    Und da ist nach Ansicht von Donna Brazile der Schuldige schnell gefunden: Die Kampagne Hillary Clintons war miserabel, befindet die Autorin – sie sei schlecht geplant, dröge geführt und geradezu blutleer gewesen, schreibt sie.
    "Ich habe mehr Frustration und Resignation wahrgenommen als die erforderliche Energie, um diese Wahl zu gewinnen. Ich habe genügend Erfahrungen mit Wahlkämpfen. Ich weiß, wie das Scheitern riecht".
    "Antiseptische Atmosphäre"
    Clintons Wahlkampfmanager Robby Mook habe die Kampagne geführt wie ein Automat, der Daten auswertet – aber ohne jedes Gespür für die Wähler. Donna Brazile bestätigt das Bild, das im Wahlkampf immer wieder von Hillary Clinton gezeichnet wurde: Sie schildert die Kandidatin als unnahbar, berechnend, arrogant und abweisend. Clinton habe sich abgeschottet.
    "Auf der Chefetage der Wahlkampfzentrale in Brooklyn, wo Hillarys Spitzenteam arbeitete, herrschte absolute Ruhe und eine antiseptische Atmosphäre wie in einem Krankenhaus."
    Wohlgemerkt: Dieses Buch wurde nicht von einem Mitglied des Trump-Teams geschrieben. Es stammt aus der Feder einer Demokratin – Donna Brazile ist gewissermaßen parteipolitisches Urgestein. Sie engagierte sich Zeit ihres politischen Lebens für die demokratische Partei und war seit 1976 im Wahlkampfteam jedes demokratischen Präsidentschaftsbewerbers dabei.
    Enthüllungen einer Insiderin
    Was ihre Aussagen so brisant macht, ist also die Tatsache, dass Donna Brazile zum politischen Spitzenpersonal der Demokraten gehört. Sie wurde zur Parteivorsitzenden ernannt, nachdem ihre Vorgängerin Debbie Wasserman Schultz in den Irrungen und Wirrungen des Vorwahlkampfes zurücktreten musste – russische Hacker hatten über Wikileaks Einzelheiten über die parteiinterne Kampagne gegen Clintons Kontrahenten Bernie Sanders verbreitet. Gezielt wurde Sanders von der eigenen Partei gemobbt, denunziert und diskreditiert. Die Fäden zog: Hillary Clinton.
    Donna Brazile enthüllt, wie es Clinton gelang, die Partei bereits ein Jahr vor ihrer Nominierung unter ihre Kontrolle zu bekommen. Nach dem Motto "wer zahlt, schafft an" hatte sie die angespannte finanzielle Situation der Demokraten ausgenutzt und eine interne Vereinbarung mit der Parteiführung getroffen, wonach sie für die erforderlichen Spendenmillionen sorgen würde – aber im Gegenzug das Sagen über sämtliche strategisch wichtigen Entscheidungen hätte.
    "Das Abkommen legte fest, dass Hillary für ihre Spendenaktivitäten die Parteifinanzen kontrollieren und die Wahlkampfstrategie festlegen würde. Ihrer Kampagne sollte es überlassen bleiben über die Besetzung des Kommunikationsdirektors zu entscheiden und über sämtliche anderen wichtigen Posten."
    Clintons Kollaps und Braziles Zweifel
    Die parteiinternen Vorwahlen hätten also noch gar nicht begonnen, da habe sich Hillary Clinton bereits die Macht über den Parteiapparat gesichert und sich damit massive Vorteile gegenüber ihrem Konkurrenten Bernie Sanders verschafft. Das sei nicht kriminell gewesen, schreibt Brazile, aber dennoch moralisch nicht vertretbar.
    Sie schildert, wie sie sich verpflichtet fühlte, Bernie Sanders zu informieren. Sie rief ihn an und musste überrascht feststellen, dass Sanders bereits voll im Bilde war.
    "Als ich den Hörer auflegte, musste ich weinen. Nicht, weil ich mich schuldig fühlte. Sondern weil ich so zornig war."
    Brazile versichert, weiterhin alles getan zu haben, um Hillary Clinton den Rücken freizuhalten und ihrer Kampagne nicht zu schaden. Aber als die Präsidentschaftskandidatin am 11. September in New York einen Schwächeanfall erlitt und Fernsehbilder zeigten, wie ihr die Beine wegsackten, als Helfer sie ins Auto hoben – da seien ihr schwere Zweifel gekommen. Ernsthaft überlegte sie, ob sie nicht ein Parteiverfahren in Gang setzen solle, um Hillary Clinton als Spitzenkandidatin abzusetzen und stattdessen Vizepräsident Joe Biden ins Rennen zu schicken. Ein Bekenntnis, das dieser Tage im politischen Washington für einige Unruhe sorgte.
    "Fahrt zur Hölle!"
    In Interviews rechtfertigte sich Donna Brazile mit den Worten, nach Clintons Kollaps habe sie unter enormem Druck gestanden und sich gezwungen gesehen, sich Gedanken über einen Plan B zu machen.
    Die Demokratische Partei reagierte entsetzt auf dieses Buch und seine Enthüllungen. Brazile habe sie brüskiert, verraten, vorgeführt, hieß es. Einhundert ehemalige Wahlkampfmitarbeiter versicherten in einem offenen Brief, ihre Kampagne sei eine ganz andere gewesen als die, die Donna Brazile beschreibt. Die giftete zurück. "Allen, die mir sagen, ich solle den Mund halten, erwidere ich: Fahrt zur Hölle!"
    Donna Brazile bleibt die Antwort schuldig, was sie dazu getrieben hat, dieses Buch so zu schreiben, wie sie es geschrieben hat. Indem sie sich einerseits immer wieder zu Hillary Clinton und ihrer Parteiloyalität bekennt, aber andererseits sofort zum nächsten Tiefschlag ansetzt. In Interviews sagt sie:
    "Ja, ich teile ganz schön aus. Aber ich liebe meine Partei. Und ich liebe mein Land. Und ich werde nicht aufhören, dafür zu kämpfen."
    Offene Rechnungen
    Das Bemerkenswerte an diesem Buch sind gewiss die Details über die Abgründe, die den politischen Alltag in den USA prägen – und nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Das Buch entpuppt sich indes selbst als Stilmittel des beinharten politischen Kampfes. Wäre es Donna Brazile wirklich um die Zukunft ihres Landes und ihrer Partei gegangen, hätte sie in einer klugen Analyse Wege aus dieser Krise weisen können, in der sich die Vereinigten Staaten seit der Wahl Donald Trumps befinden.
    Stattdessen rechnet sie mit ihrer Partei schonungslos ab. Mit keinem Wort trägt sie zur Aufarbeitung der Wahlniederlage bei, und sie tut auch nichts, um ihren gebeutelten Demokraten wieder Orientierung und Perspektive zu geben. So kann nur gemutmaßt werden, dass dieses Buch aus niederen Motiven geschrieben wurde. Da hatte offenbar jemand noch eine Rechnung offen.
    Donna Brazile: "Hacks: The inside story of the Break-ins and Breakdowns That Put Donald Trump in the White House"
    Hachette Books, 268 Seiten, ca. 24 Euro.