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USA nach Charlottesville
"Trump hat einen taktischen Rückzieher gemacht"

US-Präsident Trump hat nach Ansicht des politischen Beobachters Bastian Hermisson seit Jahren auf eine Symbiose mit Teilen der Rechten gesetzt. Trumps Distanzierung von rechtsextremer Gewalt nach den Ereignissen in Charlottesville sei viel zu spät gekommen und habe deshalb kaum Glaubwürdigkeit, sagte er im Dlf.

Bastian Hermisson im Gespräch mit Mario Dobovisek | 15.08.2017
    Demonstranten bei Protesten in Charlottesville.
    Proteste in Charlottesville. (AFP/ Paul J. Richards)
    Mario Dobovisek: Charlottesville in Virginia, an der südlichen Ostküste der USA, ausgerechnet hier entlud sich am Wochenende die rechte Gewalt. Drei Menschen starben, darunter eine 32-jährige Frau, nachdem ein junger Mann mit seinem Auto offenbar absichtlich in eine Menge friedlicher Gegendemonstranten gerast war. Rechte Gruppen demonstrierten dagegen, dass die Stadt ein Denkmal des Generals Lee aus einem zentralen Park der Stadt entfernen will. Lee war der Befehlshaber der Truppen der Südstaaten, die im Amerikanischen Bürgerkrieg für den Fortbestand der Sklaverei kämpften. US-Präsident Donald Trump reagierte recht vage und wurde dafür heftig kritisiert.
    Und zu Beginn der Sendung habe ich mit Bastian Hermisson gesprochen. In Washington leitet er das Büro der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung. In seinem ersten Statement blieb US-Präsident Donald Trump noch sehr vage, vermied es, die Rechten zu kritisieren. Dafür wiederum wurde er heftig kritisiert und legte jetzt noch einmal nach. Und ich habe gefragt, wie glaubwürdig ist Trumps zweites, das neue Statement?
    Bastian Hermisson: Dieses zweite Statement kommt eindeutig viel zu spät als Distanzierung von der rechtsextremen Gewalt und hat daher kaum Glaubwürdigkeit. Es zeugt nicht von Einsicht, sondern nur davon, dass Trump hier einen taktischen Rückzieher gemacht hat aufgrund des Drucks der Presse und eines Teils der Republikaner, wie wir gerade gehört haben. Man muss sich bewusst machen, dass Trump über Jahre eine Symbiose eingegangen ist mit Teilen der extremen Rechten in den USA. Er hat von deren Internetpräsenz massiv profitiert und die zum Teil auch aktiv selbst unterstützt. Von daher ist dieses Statement an der Stelle zu wenig und zu spät.
    "Infowars", "Breitbart" - gewaltige Propagandamaschinen
    Dobovisek: Wollte er seine Wähler, seine Basis einfach nicht vergrätzen?
    Hermisson: Ja. Es geht ihm dabei nicht um die Mitglieder dieser rechtsextremen Organisationen, aber das Hintergrundrauschen des rechtslastigen Internets, das von diesen Organisationen gefüttert und befeuert wird. Wenn wir an Internetseiten wie "Infowars" oder "Breitbart" denken, das sind mittlerweile auch dank Trump gewaltige Medien- und Propagandamaschinen, und auf deren Unterstützung fühlt Trump sich weiter angewiesen offensichtlich. Angesichts seiner desolaten Zustimmungswerte kann er es sich in der Tat kaum leisten, noch mehr Anhänger zu verlieren. Andererseits wird er mit einem Verhalten wie dieser Tage bezüglich Charlottesville die Zahl seiner Anhänger wohl auch kaum erweitern.
    Dobovisek: Aber ganz offensichtlich läuft dieses Hintergrundrauschen, diese Symbiose, wie Sie es beschreiben, ihm allmählich aus dem Ruder.
    Hermisson: Das ist richtig. Vielen Trump-Anhängern wird dieser Tage auch unangenehm vor Augen geführt, was die Auswüchse der Rhetorik sind, der sie ja selbst in den letzten Jahren gefolgt sind. Unterschwelliger Rassismus war eine wichtige Motivation vieler Trump-Wähler. Aber selbst die wollen natürlich nicht sich damit auseinandersetzen, dass sie damit in einem Topf mit Neonazis landen, sondern auch denen geht das dann ein Stück zu weit.
    Breites Bündnis: Neonazis, Ku-Klux-Klan, Alternative-Right
    Dobovisek: Wer ist da am Wochenende in Charlottesville auf die Straße gegangen?
    Hermisson: Das ist ein breites Bündnis von rechtsextremen Bewegungen. Da gibt es Neonazis, da gibt es Vertreter des Ku-Klux-Klans, der, kaum zu glauben, immer noch existiert. Und dann unterschiedlichste Bewegungen der sogenannten Alt-Right, Alternative-Right, verharmlosend für eine neue rechtsextreme Bewegung. Die haben sich in Charlottesville zusammengetan unter dem Motto Marsch zur Vereinigung der Rechten. Und bei diesem Marsch wurde deutlich, dass sie sich mehr unterscheiden, diese unterschiedlichen rechtsextremen Gruppierungen, in ihrer Art der Ansprache und ihrer Symbolik, dass sie aber eine starke programmatische Kohärenz haben, denn die ist eindeutig die Vorherrschaft der weißen Rasse, die alle diese Gruppen anstreben. Wir haben also eine offen rassistische Ansprache, eine menschenfeindliche, antidemokratische und in letzter Konsequenz auch gewalttätige, und das kam in Charlottesville zum Ausdruck.
    "Trump zündelt täglich, stachelt Wut auf Eliten weiter an"
    Dobovisek: Also wir haben auf der einen Seite unverbesserliche Altnazis und Südstaatler, wenn man das so zusammenfassen darf, den Ku-Klux-Klan zum Beispiel, auf der anderen Seite also auch neue Bewegungen wie Alt-Right. Formieren sich beide gerade, angestachelt von Donald Trump, zu einer neuen, starken Kraft?
    Hermisson: Die rechten Bewegungen fühlen sich auf jeden Fall von dem Wahlsieg von Donald Trump motiviert, sie fühlen sich gestärkt und auch legitimiert, stärker in der Öffentlichkeit aufzutreten. Daneben gibt es aber durchaus auch Unterschiede. Die Alt-Right-Bewegung beispielsweise ist stärker international vernetzt. Da gibt es auch intensive Beziehungen zur Identitäten Bewegung, die uns ja auch in Deutschland ein Begriff ist, nach Europa, auch nach Russland. Also es gibt Unterschiede in der Vernetzung und in der Ausrichtung, was einzelne Ziele angeht der Gruppen. Aber einig und gemein ist ihnen, dass sie sich bestärkt fühlen vom derzeitigen politischen Klima. Man muss sich vorstellen, dass Donald Trump weiterhin als Präsident jemand ist, der täglich zündelt und letztlich die Pfeiler stärkt, auf denen die rechtsextreme Ideologie aufbaut. Er selbst stachelt die Wut auf die Eliten weiter an, verbreitet Verschwörungstheorien, hat selbst eine antidemokratische, fremdenfeindliche und Antiglobalisierungsrhetorik, und wenn das täglich von der obersten Kanzel des Landes gepredigt wird, dann hat das natürlich Konsequenzen auch für solche Bewegungen.
    Dobovisek: Sie haben das Motto des Wochenendes der rechten Demonstration in Charlottesville angesprochen, "Unite the right", "Vereinige die Rechte". Ist das sozusagen bloß der Anfang, den wir da beobachten?
    Hermisson: Ich denke, die besorgniserregende Entwicklung sind gar nicht so sehr die Zulaufzahlen oder die Zuwachszahlen der offen rechtsextremen und neonazistischen Bewegungen, sondern es ist das, was ich als Hintergrundrauschen angesprochen habe, nämlich, dass zunehmend auch in breiteren gesellschaftlichen Kreisen Bestandteile der rechtsextremen Ideologie sich in den Köpfen festsetzen und getrieben werden von etlichen Internetportalen, aber auch von beispielsweise dem Fernsehsender Fox News. Und das gibt schon zu Denken, und ist ein Zeichen des Kulturkampfes, der sich in den USA abspielt, wo quasi zwei Bevölkerungsteile sich fast unversöhnlich gegeneinander stehen, und auf rechter Seite das Gefühl ist, die Linken wollen Weiße generell unten halten und den weißen Mann gefährden, und umgekehrt natürlich auch der Eindruck ist, dass hier Rassisten und Ewiggestrige eine Politik von gestern fahren. Und das ist schon bedenklich.
    "Russland einschließende Aufgabe der rassistischen Reinheit"
    Dobovisek: Front National, AfD, PIS will das. Auch in Europa beobachten wir eine stärker werdende Rechte. Wir reden über Nationalkonservative, aber auch über Rechtsextreme, wie die Identitären, die Sie schon angesprochen haben. Sehen Sie Parallelen zwischen Europa und den USA?
    Hermisson: Auf jeden Fall. Die Alternative Right bezieht sich auch auf eine gemeinsame Anstrengung aller, wie sie sagen, weißen Europäer. Sie verstehen sich selbst als weiße Europäer in einem Raum des Westens, den sie definieren als den Raum von Nordamerika bis Eurasien einschließlich, wo nur noch weiße Menschen leben sollten. Das heißt, da wird es explizit verstanden als eine transatlantische und auch Russland einschließende Aufgabe der rassistischen Reinheit. Und deswegen gibt es da viele Verbindungen. Russland, habe ich schon angesprochen, wird von vielen Rechtsextremen in den USA als der eine Ort gesehen, an dem ein starker Führer in Form von Wladimir Putin dieser Ideologie auch mit vertritt. Richard Spencer, eine der wichtigsten Figuren der Alternative-Right-Bewegung in den USA, hat mal gesagt, Russland ist die einzige weiße Macht, die existiert. Insofern ist es kein Wunder, dass sich da viel ausgetauscht wird, dass es da viel Kooperation miteinander auch gibt.
    "Zivilgesellschaft, Medien, Politik: Frühzeitig dagegen halten"
    Dobovisek: Was kann Europa aus der Entwicklung in den USA lernen?
    Hermisson: Ich denke, Donald Trump und auch die Demonstration und die Reaktionen darauf sind ein Beispiel, dass es in demokratischen, offenen Gesellschaften einen Grundkonsens braucht, dass dann, wenn Akteure die offene und demokratische Gesellschaft offensichtlich infrage stellen, wichtig ist, dass die Zivilgesellschaft, die Medien und die Politik frühzeitig zusammen aufstehen und dagegen halten. Wir sind in Deutschland ja auch nicht frei von solchen Bewegungen. Es gibt ja eine Partei in Deutschland, die derzeit mit dem Slogan "Hol dir dein Land zurück" Wahlkampf macht. Das ist eine Übersetzung von "Take Your Country Back" von Donald Trump. Wenn solche eine Rhetorik politisch verfängt, auf deren Boden letztlich Hass und Ausgrenzung gedeihen, dann ist es wichtig, dass frühzeitig alle politischen Akteure, die Medien und die Zivilgesellschaft gemeinsam dagegenhalten.
    "Größte Verantwortung kommt klar den Republikanern zu"
    Dobovisek: Der Grundkonsens fehlt ja offensichtlich inzwischen in den USA. Das Land ist tief gespalten, spätestens seit dem Wahlkampf in den USA. Statt flacher werden die Gräben eher noch tiefer, so scheint es zumindest. Wer kann beide Seiten an dieser Stelle wieder zusammenführen?
    Hermisson: Alle Teile der Gesellschaft haben eine Mitverantwortung. Aber die größte Verantwortung kommt ganz klar den Republikanern zu. Ich denke, die sind mal wieder an einer Stelle jetzt, wo sich die Gretchenfrage stellt. Denn wir sehen hier erneut, dass ein Festhalten dieser Partei an Trump letztlich zur kompletten moralischen Korrumpierung der Republikanischen Partei führen wird. Und das wird Konsequenzen haben weit über die Amtszeit von Trump hinaus. Wer diesem Präsidenten die Stange hält, der trägt letztlich die Mitverantwortung für all das, was der Präsident tut oder nicht tut. Insofern, denke ich, wird es spannend sein und wichtig sein, zu sehen in den nächsten Monaten, inwieweit republikanische Senatoren nicht einen kritischen Tweet loslassen wie dieser Tage, sondern sich auch tatsächlich ein Stück weit absetzen von diesem Präsidenten und für die demokratische Verfassung der USA eintreten, für Minderheitenrechte im Land und für eine moderne Politik.
    "Nordkorea-Intervention schon in Washington durchgespielt"
    Dobovisek: Wann immer es innenpolitisch heftig knirschte in den USA, lenkten US-Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten ganz gern mit Militärinterventionen im Ausland davon ab. Wird es bald Krieg geben in Nordkorea oder in Venezuela zum Beispiel?
    Hermisson: Wir können alle nur hoffen, dass nicht. Denn für die militärische Intervention in Nordkorea gibt es kein positives Szenario, sondern nur Horrorszenarien, die hier in Washington auch schon durchgespielt werden. Ich denke, es bleibt uns allen, an der Stelle auf die Diplomatie zu hoffen. Donald Trump hat immerhin einige Leute um sich herum, gerade auch Generäle wie McMaster, den Nationalen Sicherheitsberater Mattis, den Verteidigungsminister und den neuen Stabschef John Kelly, die vermutlich kein Interesse an militärischen Abenteuern haben, sondern militärische Erfahrung mitbringen. Da bleibt uns nur zu hoffen, dass diese Stimmen der Vernunft an der Stelle auch die Oberhand gewinnen.
    Dobovisek: Bastian Hermisson von der Heinrich-Böll-Stiftung. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Hermisson: Danke Ihnen, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.