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USA
Religionsfreiheit auf dem Spielplatz

Hat eine amerikanische Kirche Anspruch auf staatliche Zuschüsse, wenn sie ihren Spielplatz saniert? Ja, entschied das Oberste US-Gericht. Kritiker sagen nun: Die Trennmauer zwischen Kirche und Staat wird durchlässiger. Der Amerika-Kenner Michael Hochgeschwender widerspricht im Dlf.

Michael Hochgeschwender im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Frauen protestieren am 26. Juni vor dem Supreme Court in Washington dafür, dass ein kirchlicher Kindergarten staatliche Zuschüsse erhält.
    Frauen protestieren vor dem Obersten Gerichtshof in Washington: Sie fordern staatliche Zuschüsse für einen kirchlichen Kindergarten. (imago stock&people)
    Monika Dittrich: Die Frage, wer die Sanierung eines Spielplatzes bezahlt, ist in den USA zum religionspolitischen Zankapfel geworden. Die lutherische Dreifaltigkeitskirche in Columbia im US-Bundesstaat Missouri hatte für einen neuen Gummi-Bodenbelag auf dem Spielplatz ihres Kindergartens staatliche Zuschüsse beantragt. Die aber wurden abgelehnt – mit der Begründung, religiöse Einrichtungen dürften keine öffentlichen Zuwendungen bekommen. Die Kirche zog vor das oberste US-Gericht, den Supreme Court – und bekam Recht. Allein wegen ihrer religiösen Identität dürfe der Kirche die staatliche Zuwendung nicht verwehrt bleiben, heißt es in dem Urteil. Das käme einer Strafe für Religionsausübung gleich. US-Medien sehen darin einen Wandel in der Rechtsprechung: Die Trennmauer zwischen Kirche und Staat werde jetzt durchlässiger. Darüber will ich jetzt mit Michael Hochgeschwender sprechen. Er ist Theologe und Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte in München. Guten Morgen, Herr Hochgeschwender!
    Michael Hochgeschwender: Guten Morgen, Frau Dittrich!
    Das Urteil ist nichts Neues
    Dittrich: Schlagen die Richter des Supreme Court mit diesem Urteil eine neue Richtung ein?
    Hochgeschwender: Eigentlich nicht. Also, das liegt in der Konsistenz der bisherigen Urteile des Supreme Court. Es gibt den sogenannten Litmus-Test im Verhältnis zwischen Staat und Kirche, was das First Amendment, also den ersten Verfassungszusatz angeht: dass der Staat religiöse Aktivitäten einer religiösen Institution nicht finanzieren darf, wohl aber Aktivitäten, die über das Religiöse hinausgehen, die also im Grunde der gesamten Gesellschaft dienen. Dazu zählen Krankenhäuser, dazu zählen bestimmte Teile der von der katholischen Kirche oder evangelischen Kirchengemeinschaften unterhaltenen Schulen, dazu zählen aber auch Kindergärten.
    Also insofern hat der Supreme Court hier tatsächlich nichts Neues beschlossen, sondern eigentlich liegt er damit auf der Linie dessen, was seit den 1960er Jahren etabliertes Recht ist.
    "Es darf keine Staatskirche geben"
    Dittrich: Sonia Sotomayor, unterlegene Richterin am Supreme Court sieht das anders: Sie hatte dieses Urteil nicht mitgetragen, und sie schreibt nun, diese Entscheidung widerspreche der amerikanischen Tradition, dass der Staat sich aus religiösen Dingen grundsätzlich herauszuhalten hat. Und sie befürchtet auch, dass es jetzt vielleicht einen Wettlauf von religiösen Einrichtungen geben könnte um staatliche Zuwendungen. Sehen Sie das anders?
    Hochgeschwender: Ja. Also das ist eine Argumentation, die etwa von der American Civil Liberties Union – also bestimmten Bürgerrechtsorganisationen liberaler Art – aber auch von atheistischen Organisationen gerne aufgestellt wird. Das widerspricht aber völlig dem Inhalt und dem eigentlichen Sinngehalt des First Amendment.
    Das First Amendment sagt: Es gibt Religionsfreiheit auf der einen Seite – und es darf keine Staatskirche geben. Und aus diesem "Es darf keine Staatskirche geben" ist der sogenannte "Wall of Separation" geworden, der – nebenbei bemerkt – im gesamten 19. Jahrhundert in der Rechtsprechung des Supreme Court keine Rolle gespielt hat.
    Das Ganze basiert auf einem Brief von Thomas Jefferson aus dem frühen 19. Jahrhundert an eine baptistische Gemeinde, wo er von diesem "Wall of Separation" spricht. Und erst 1948 taucht das erstmals in einem Urteil des Supreme Court, eher beiläufig, auf. Und ist dann seit den 1960er Jahren zu einem Schlachtruf, gewissermaßen, der liberalen Idee der Trennung von Staat und Kirche geworden.
    Vorher hatten die USA ein sehr viel kooperativeres Verhältnis, aber selbst unter den Bedingungen des "Wall of Separation" ist die Finanzierung eines Kindergartens nach der konsistenten Rechtsprechung des Supreme Court kein Akt, eine Staatskirche zu errichten.
    70 Prozent der Amerikaner gehören einer Religionsgemeinschaft an
    Dittrich: Sie haben jetzt den ersten Zusatzartikel angesprochen – wie würden Sie das Verhältnis zwischen Religionsgemeinschaften und dem amerikanischen Staat heute beschreiben?
    Hochgeschwender: Es ist prekär. Das hängt immer davon ab, wer im Supreme Court die Mehrheit hat und wer in den diversen Parlamenten die Mehrheit hat. Also es gibt eine relativ enge Kooperation – auch der gegenwärtigen Administration – mit Religionsgemeinschaften.
    Trump hat ja versprochen, verschiedene Gesetze zurückzunehmen und Verordnungen, die seiner Ansicht nach die - auch politische - Aktivität der Kirchen einschränken. Da bin ich eher skeptisch, weil das tatsächlich dann mit dem First Amendment nicht notwendig vereinbar ist. Während Teile der demokratischen Partei auf einer sehr radikalen Trennung von Staat und Kirche beharren. Und dazwischen gibt es eine sehr breite – ich würde sagen sogar, eine sehr breite Mehrheit von Amerikanern – die ein kooperatives Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften sich wünschen.
    Es ist ja immer noch so, dass weit über 70 Prozent der Amerikaner einer Religionsgemeinschaft angehören – und die es auch für sinnvoll halten, dass Staat und Religionsgemeinschaften auf bestimmten Ebenen miteinander kooperieren. Man darf zum Beispiel nicht vergessen: Catholic Charities, also die Sozialeinrichtung der katholischen Kirche, vergleichbar mit unserer Caritas, ist einer der größten Arbeitgeber in den USA und wird auch durchaus vom Staat in bestimmten Elementen der Krankenhäuser mitfinanziert.
    "Konkurrenz zwischen den Kirchen"
    Dittrich: Die Garantie der Religionsfreiheit im ersten Zusatzartikel – was bedeutet das für den Alltag der Religionsgemeinschaften? Es gibt schon eine striktere Trennung zwischen Kirchen und Staat als hierzulande, oder?
    Hochgeschwender: Ja. Die Freiheit der Religionsausübung ist erst mal wie bei uns. Was allerdings in den USA ganz anders ist, ist der sogenannte Voluntarismus. Das heißt: Dadurch, dass es keine Staatskirche gibt und auch die Kirchen nur bedingt – sie haben einen öffentlich-rechtlichen Status, etwa im Steuerwesen – aber nur bedingt einen öffentlich-rechtlichen Status haben. Und nicht sozusagen auf dem Erbteil des Staatskirchentums sitzen, wie in Deutschland.
    Dadurch ist ein sehr viel intensiveres Konkurrenzverhältnis zwischen den Kirchen erwachsen. Und es gibt Religionshistoriker, die behaupten, dass dies zu einer lebendigeren Religiosität in den USA geführt hat. Ich stehe dem etwas skeptisch gegenüber. Aber es hat immerhin dazu geführt, dass sich die Religionen sehr stark diversifiziert haben und ganz unterschiedliche Segmente in der Gesellschaft bedienen können.
    Dittrich: Warum sehen Sie das skeptisch?
    Hochgeschwender: Weil man, wenn man sich die Religionsentwicklung in den USA genau ansieht, hat man es nicht mit einer einlinigen Entwicklung zu tun, es geht auf und ab. Im Moment zum Beispiel haben wir, ganz klar erkennbar, seit Mitte der 90er Jahre ein Nachlassen der Religiosität in den USA – ungeachtet des hohen Angebotes, das durch die Vielfalt von Religion entstanden ist. Das heißt, das Angebot alleine macht es nicht.
    "Die Mehrheit will keinen Laizismus"
    Dittrich: Andererseits, Sie haben das eben beschrieben, der Staat behindert Religionsausübung nicht, er fördert sie aber auch nicht – auf der anderen Seite erleben wir, dass die USA schon relativ fromm sind! Jetzt wäre meine eigentliche Frage gewesen: Liegt das vielleicht auch daran, dass sich der Staat eher raushält?
    Hochgeschwender: Also auch da ist das Verhältnis sehr viel komplexer. Es gibt ja zivilreligiöse Rituale, bei denen auch Gott immer wieder angerufen wird. Denken sie an die Vereidigung des amerikanischen Präsidenten! Es gibt Gebete, bevor die Sitzungen des Kongresses beginnen und, und, und.
    Es ist nicht so, dass das Verhältnis völlig konfrontativ wäre, dass es eine Totaltrennung wäre. Wichtig ist, aus amerikanischer Sicht: Es darf keine Kirche geben wie etwa die anglikanische Kirche in Großbritannien, die Staatskirche ist. Dagegen, gegen den Anspruch der anglikanischen Kirche, hat sich das Ganze ja ursprünglich einmal gerichtet.
    Aber die Mehrheit der Amerikaner will nicht, dass das zu einem Laizismus führt, wie wir ihn etwa aus Frankreich kennen. Die USA sind keine laizistische Republik – sie sind eine im Grunde religionsneutrale Republik, mit einer gewissen Kooperation auf bestimmten Ebenen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften - und mit bestimmten Formen von zivilreligiösem Ritual unter Anrufung eines göttlichen Wesens, könnte man das dann nennen.
    "Darf man noch Weihnachtsbäume aufstellen?"
    Dittrich: Wenn wir in einem kleinen Gedankenexperiment dieses System auf Deutschland übertragen würden – was würde dann hierzulande passieren?
    Hochgeschwender: Also es würde in erster Linie die Kirchensteuer abgeschafft werden, denn das ist tatsächlich etwas … in den USA gibt es eine steuerliche Begünstigung, wenn man seiner Kirche etwas bezahlt, also wenn man der Kirche Geld gibt. Und viele Amerikaner spenden etwa zehn Prozent ihres Einkommens …
    Dittrich: Freiwillig.
    Hochgeschwender: Freiwillig, ja. Aber es gibt keine Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat. Ansonsten hätten wie Debatten, die wir im Grunde jetzt auch haben, dadurch, dass sich die religiöse Landschaft in Deutschland pluralisiert.
    Wie eng und wie entfernt kann das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften sein? Ab wann beginnt so etwas wie einseitige Bevorzugung einer bestimmten Religionsgemeinschaft? Ab wann werden Menschen dazu gezwungen, Religion zu akzeptieren? Aber das führt dann auch in den USA zum Teil – und auch in Deutschland, ja – zu Debatten: Darf man noch Weihnachtsbäume aufstellen? Dürfen die Zehn Gebote aufgehängt werden? Wo darf ein Kreuz stehen? Wo darf kein Kreuz stehen? Das sind ja alles Debatten, die auch unter den ganz anderen staatskirchenrechtlichen Bedingungen, die in Deutschland existieren, geführt werden müssen, in Anbetracht der Pluralisierung der Gesellschaft.
    Dittrich: Heute morgen live im Deutschlandfunk, Michael Hochgeschwender, Theologe und Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte in München. Vielen Dank für dieses Gespräch!
    Hochgeschwender: Bitte sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.