Kann ein Kind zwei Väter haben? Bisher ist das rechtlich nicht möglich. Das Motto lautet: Es kann nur einen geben und das muss nicht einmal der genetische Vater sein. Doch das könnte sich nun ändern. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2024 rüttelt am traditionellen Verständnis von Elternschaft. Ob es tatsächlich zu einer Revolution des Abstammungsrechts kommt, entscheidet am Ende die Ampel-Koalition.
Was bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für das Abstammungsrecht?
Eigentlich ging es bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April um Vaterschaftsanfechtung. Doch die Karlsruher Richterinnen und Richter machen damit den Weg frei für eine grundsätzliche Neuregelung der gesetzlichen Elternschaft, indem sie die Rechte leiblicher Väter stärken.
Diese müssten insbesondere in Streitfällen die Chance erhalten, die rechtliche Vaterschaft zu beantragen, entschied der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Die aktuellen Regeln seien mit dem grundgesetzlich garantierten Elternrecht nicht vereinbar. Beispielsweise, weil leibliche Väter keine Chance auf eine rechtliche Vaterschaft hätten, wenn diese rechtliche Vaterschaft bereits von einem neuen Partner der Mutter übernommen wurde und dieser in einer "sozial-familiären Beziehung" zum Kind stehe.
Die leiblichen Eltern müssten grundsätzlich die Möglichkeit haben, Elternverantwortung für ihre Kinder zu erhalten und auszuüben, erläuterte Verfassungsgerichtspräsident Harbarth. Als leibliche Eltern definiert das Gericht "Mann und Frau, die das Kind durch Geschlechtsverkehr mit ihren Keimzellen gezeugt haben, wenn diese Frau anschließend das Kind geboren hat." Das Urteil bezieht sich also nicht zwingend auf genetische Eltern etwa im Fall einer künstlichen Befruchtung.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts öffnet die Möglichkeit für eine rechtliche Anerkennung von Mehr-Eltern-Familien. Sie schreibt diese jedoch nicht zwingend vor. Es sei verfassungsrechtlich zulässig, per Gesetz eine rechtliche Vaterschaft von mehr als einem Vater auszuschließen. In diesem Fall müsse dem leiblichen Vater aber ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, rechtlicher Vater werden zu können.
Nun muss der Gesetzgeber entscheiden, wie er das Vaterschaftsrecht neu regelt. Von Karlsruher wurde er dabei zu einer schnellen Entscheidung verpflichtet: Paragraf 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuchs muss bis spätestens zum 30. Juni 2025 angepasst werden.
Wer ist nach bisherigem Rechtsverständnis rechtlicher Vater?
Nach bisherigem Rechtsverständnis können nur zwei Menschen rechtliche Elternteile sein. Und der rechtliche Vater eines Kindes ist laut Bürgerlichem Gesetzbuch der Mann ...
- der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,
- der die Vaterschaft anerkannt hat
- dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.
Der rechtliche Vater ist laut dem Bundesministerium für Justiz nicht direkt gleichzusetzen mit dem biologischen Vater - also dem Erzeuger. So schreibt das Justizministerium: „Die rechtliche Vaterschaft meint damit diejenige Person, die im Rechtssinne als Vater anzusehen ist, nicht jedoch, wer biologischer oder genetischer Vater beziehungsweise Erzeuger des Kindes ist."
Nach bisherigem Verständnis könnte es mit mehreren Vätern zu Rollenkonflikten und Kompetenzstreitigkeiten kommen. So hat es das Bundesverfassungsgericht selbst im Jahre 2003 entschieden. Damals hieß es, dass es im Sinne des Kindeswohls läge, wenn die rechtliche Elternschaft auf zwei Elternteile beschränkt bleibe.
Das hat Konsequenzen, etwa wenn eine Mutter eine Beziehung mit einem neuen Mann eingeht und diesen beim Standesamt als rechtlichen Vater eintragen lässt. Denn wenn der rechtliche Vater mit dem Kind über längere Zeit in einer Familie zusammenlebt und Verantwortung für es trägt, ist die Anfechtung der gesetzlichen Vaterschaft nach momentaner Rechtslage nicht möglich. "Sozial-familiäre Beziehung" lautet der Begriff im Gesetz. Besteht diese zwischen Kind und rechtlichem Vater, kann der leibliche Vater sich nicht als rechtlicher Vater anerkennen lassen.
Was war Anlass für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Der leibliche Vater eines heute dreijährigen Jungen sah seine Grundrechte verletzt und hatte sich durch die Instanzen bis vor das höchste deutsche Gericht geklagt. Der Kläger, der namentlich nicht genannt werden möchte, hat sich nach eigenen Angaben nach der Geburt seines Sohnes intensiv um diesen gekümmert. Er und die Mutter waren zum Zeitpunkt der Geburt nicht verheiratet. Anderthalb Monate später habe ihn die Mutter verlassen und sei eine neue Beziehung eingegangen.
Seitdem dürfe er seinen Sohn nur noch alle 14 Tage für drei Stunden sehen. Ändern werde sich das nur, wenn er auch der rechtliche Vater werde. Denn nur bei anerkannter Vaterschaft können Väter bei allen Belangen des Kindes wirklich mitreden, mitentscheiden oder das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter ausüben.
Der Kläger hatte deshalb versucht, die Vaterschaft anerkennen zu lassen. Das scheiterte daran, dass die Mutter nicht vor dem Standesamt erschien. Daraufhin hatte der Kläger ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren vor einem Oberlandesgericht angestrebt. Doch er scheiterte erneut. Grund: Der neue Partner der Mutter war zu diesem Zeitpunkt mit deren Zustimmung bereits als rechtlicher Vater vom Standesamt eingetragen worden.
Was plant die Bundesregierung?
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Elternrecht. Das sei Rückenwind für seine Reformpläne beim Abstammungsrecht, erklärte Buschmann. Er machte jedoch deutlich, dass sein Ministerium nicht plane, das Elternrecht auf mehr als zwei Elternteile auszuweiten - was durch das Karlsruher möglich wäre. "Wir wollen eine Reform, aber keine Revolution", sagte Buschmann.
Die von ihm im Januar 2024 vorgelegten Eckpunkte sähen genau das vor, was das Gericht gefordert habe, betonte der FDP-Politiker, nämlich dass das Recht zur Vaterschaftsanfechtung dringend reformiert und insbesondere die Rechte leiblicher Väter gestärkt werden müssten. In dem Papier des Ministeriums vom Januar hieß es, es solle verhindert werden, dass "eine Elternschaft nur zu dem Zweck anerkannt wird, die gerichtliche Feststellung des leiblichen Vaters zu verhindern".
Darum solle es nicht möglich sein, dass ein anderer Mann als nicht leiblicher Vater die Vaterschaft anerkennt, solange ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung einer Vaterschaft läuft. Eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater könnte außerdem künftig nicht mehr in jedem Fall verhindern, dass der leibliche Vater die rechtliche Vaterschaft anfechten kann. Familiengerichte sollten hier im Einzelfall abwägen. Buschmann erklärte, es werde "auf Hochtouren" an einem Gesetzentwurf gearbeitet.
nm/ww