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Venezolaner in Madrid
Exil und Sehnsucht nach gesalzenem Käse

Rund drei Millionen Venezolaner sind bisher aus ihrem Land geflohen. Wer es sich leisten kann, fliegt in die USA oder nach Europa. Wegen der Sprache und der gemeinsamen Geschichte ist vor allem Spanien zum Anlaufpunkt geworden. In Madrid stellen sich die meisten Venezolaner auf eine lange Zeit im Exil ein.

Von Marc Dugge | 23.02.2019
Venezolaner in Madrid unterstützen den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó am 2. Februar und schwenken Nationalfahnen.
Venezolaner in Madrid unterstützen den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó am 2. Februar (AFP / Gabriel Bouys)
Irgendwann ging es einfach nicht mehr, sagt Carlos. Der 32jährige stammt aus der Stadt La Victoria, im Norden Venezuelas. Vor einem Jahr hat er die Entscheidung getroffen, nach Madrid zu gehen - zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter.
"Es ist sehr schwierig, dort zu leben. Allein wegen der Inflation, die ja die höchste der Welt ist, den hohen Preisen. Und der Knappheit an Lebensmitteln und Arzneimittel. Dann ist da das riesige Ausmaß der Gewalt, die Verfolgung all jener, die anderes denken als das Regime. Sie können Dich töten oder willkürlich verhaften lassen."
"Es war eine sehr schwierige Entscheidung für uns. Es ist nicht einfach, wenn Du Dein Land verlässt. Wir haben es vor allem für unsere Tochter gemacht, damit sie eine bessere Lebensperspektive hat. Und dann war da natürlich das Thema Sicherheit. Mir haben vor allem die Entführungen Angst gemacht."
"Es gibt zwei Venezuelas"
Venezuela gilt als das gefährlichste Land der Welt – das hat im vergangenen Jahr eine Umfrage des Gallup-Insituts ergeben. Carlos erzählt davon, wie er von bewaffneten Dieben mit dem Motorrad verfolgt wurde, die ihm sein Handy klauen wollten. Selbst tagsüber werde geraubt und gemordet. Auch Carlos‘ Freund Javier hat die Schwierigkeiten des Alltags irgendwann nicht mehr ertragen wollen:
"Es gibt zwei Venezuelas: Ein armes und ein reiches. Du kannst Milch oder Brot kaufen – aber zu einem vielfach höheren Preis als dem normalen. Wenn Du Milch für 50 Cent kaufen willst, musst Du Dich in eine lange Schlange stellen. Aber Du kannst natürlich auch eine für 20 Dollar kaufen."
Jetzt sind sie alle in Madrid: Wo die Milch billig ist und die Kriminalität überschaubar. Mit Tochter, Hund und sieben Koffern sind Carlos und Carolina vor ein paar Monaten gelandet. Javier war schon früher da. Er konnte seinen Freunden bei den ersten Schritten helfen. Zusammen sitzen sie im Wohnzimmer der Bleibe von Carlos im Madrider Arbeiter-Stadtviertel Carabanchel. Die Wände sind noch kahl. Immerhin haben sie schon Fernseher, Couch und ein paar Stühle angeschafft. Das Schlüsselbrett mit den Farben Venezuelas ist eine der wenigen persönlichen Sachen, die im Koffer waren.
Javier: "Madrid ist eine wunderschöne Stadt. Ich mag sie sehr. Die Menschen sind anders als wir, die Spanier wirken manchmal, wie als wenn sie über irgendwas verärgert wären. Das ist noch nicht so einfach für mich. Aber sonst: Die Metro funktioniert, ich kann in Ruhe zur Arbeit fahren und nachts unbesorgt auf die Straße gehen."
Carlos seine Frau Carolina mit ihrem Kind und ihr Freund Javier neben einem Schlüsselbrett mit Venezuelaflagge
Mit Tochter, Hund und sieben Koffern sind Carlos und Carolina vor ein paar Monaten gelandet. Javier war schon früher da. (Deutschlandradio / Marc Dugge)
In Venezuela ist das undenkbar. Die Auslandscommunity der Venezolaner in Spanien wird immer größer: Geschätzte 300.000 Venezolaner leben in Spanien, vor fünf Jahren waren es nur halb so viele.
"Ob in der U-Bahn oder im Supermarkt – überall hört man Venezolaner sprechen. Es ist fast, wie als wäre man in Caracas. Aber richtig organisiert, mit gegenseitiger Hilfe, ist diese Auslandsgemeinschaft nicht. Aber klar: Wenn wir zusammen sind, dann ist die Lage in Venezuela aber immer Thema - vor allem in der jetzigen Situation."
Anspruch auf eine kostenlose Krankenversicherung
Carlos hat sich in Venezuela nie politisch engagiert. Dennoch hat er für sich und seine Familie politisches Asyl beantragt. Carlos hat Glück: Als Grafikdesigner kann er per Internet von überall aus arbeiten. Javier ist ausgebildeter Informatiker. Er hat vor, sein Geld erstmals als Kellner zu verdienen.
"Spanien ist ein Land, das sehr gut mit Migranten umgeht, zumindest mit den Venezolanern. Es wird uns sehr leicht gemacht. Natürlich sieht sich die Polizei schon genauer an, ob Du Recht auf politisches Asyl hast. Aber sie geben Dir die Gelegenheit, Dich gut zu erklären. Ich hatte schon mein Interview. Jetzt, im Februar, geben Sie mir die Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, die alle sechs Monate verlängert werden muss."
Eine kostenlose staatliche Krankenversicherung haben sie als Immigranten sowieso- so hat es die spanische Regierung kürzlich beschlossen. Wie die Mehrzahl der Venezolaner in Spanien gehören die drei Freunde zur Mittelklasse. Arme Venezolaner können sich auch kein Flugticket nach Spanien leisten, sie fliehen in die Nachbarländer – nach Kolumbien zum Beispiel.
Spanien macht im Rest Europas Venezuela zum Thema
Aber auch reiche Venezolaner sind da, unter ihnen auch Anhänger des Maduro-Regimes. Manche von ihnen haben sich in Madrid in Luxusimmobilien eingekauft. Und dann sind da noch venezolanische Politiker im Exil – darunter Antonio Ledezma, früher Bürgermeister von Caracas:
"Die Stadt hat uns herzlich und freundschaftlich aufgenommen. Für uns spielt Spanien eine sehr wichtige Rolle, allein wegen der historischen Verbindungen. Wir Venezolaner bezeichnen Spanien ja nicht umsonst als Mutterland, wir waren lange eine spanische Kolonie. Spanien sorgt in großem Maße dafür, dass Venezuela auch im Rest Europas Thema ist."
Antonio Ledezma weiß nicht, wann er nach Venezuela zurückkehren wird. Wie lange der Machtkampf zwischen Maduro und Guaidó dauern wird, ist nicht absehbar. Carlos und seine Familie richten sich darauf ein, länger in Spanien zu bleiben. Nicht ohne Venezuela sehr zu vermissen:
"Ich vermisse es, durch meine Stadt zu laufen, unter der heißen Sonne. Ich vermisse meine Stadt, meine Straßen, Fahrrad zu fahren."
"Bei mir ist es vor allem das Essen, den venezolanischen gesalzenen Käse. Den gibt es hier nicht."
Doch bis auch venezolanischer Käse in spanischen Supermärkten liegt, dürfte es vielleicht nicht mehr lange dauern. Die Käufer sind jedenfalls da. Es werden immer mehr. Und die, die da sind, dürften so schnell auch nicht wieder gehen.