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Verdi-Warnstreiks
Bsirske: "Es kommt jetzt darauf an, ein Zeichen zu setzen"

Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske hat die Warnstreiks im Öffentlichen Dienst verteidigt. Das bisherige Angebot der Arbeitgeber sehe einen Reallohnverlust vor, sagte er im Deutschlandfunk. Dagegen müsse ein Zeichen gesetzt werden.

Frank Bsirske im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske spricht und gestikuliert während einer Pressekonferenz.
    Verdi fordert für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen sechs Prozent mehr Geld. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Der Gewerkschaftschef sagte weiter, es gebe einen Rekordüberschuss in den öffentlichen Haushalten. Auch deshalb müsse es eine deutliche Reallohnsteigerung geben. Die Lücke zum Durchschnittslohn in der Gesamtwirtschaft müsse geschlossen werden. "Das Angebot der Arbeitgeber ist in den Betrieben als eine Missachtung, als eine Geringschätzung der Leistung der Beschäftigten in den Öffentlichen Diensten empfunden worden", sagte Bsirske. Verdi fordert für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen sechs Prozent mehr Geld. Die Arbeitgeber bieten bislang drei Prozent auf zwei Jahre verteilt.
    Bsirkse zeigte sich aber optimistisch, dass sich die Tarifparteien einigen: "Am Ende wird ein Kompromiss stehen, wenn es zu einem Ergebnis kommt, mit dem beide Seiten leben können müssen." Die Warnstreiks dienten dazu, eine Einigung am Verhandlungstisch zu befördern. Wenn es aber keine Verständigung gebe, dann "droht eine Eskalation, an der ich kein Interesse habe".
    Mit dem Beginn der Frühschicht haben an sechs deutschen Flughäfen die angekündigten Warnstreiks begonnen. Betroffen sind die Flughäfen Frankfurt am Main, München, Köln/Bonn, Düsseldorf, Dortmund und Hannover. Die Lufthansa und Air Berlin haben mehrere hundert Flüge abgesagt. Außerdem sind heute erneut Warnstreiks an Kindertagesstätten, Krankenhäusern, im Nahverkehr, bei der Müllabfuhr und in Verwaltungen geplant.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Warnstreiks, die sollen nach der Logik der Tarifauseinandersetzung kleine Nadelstiche sein, die ein bisschen wehtun. Jetzt sind viele Flugreisende, Pendler, Eltern von Kindern in kommunalen Kitas seit dem vergangenen Jahr, dem streikintensiven Jahr 2015, vielleicht ohnehin schmerzfrei. Trotzdem tat es gut, die Streikpause, die jetzt ein paar Monate ja gegolten hat. Die ist jetzt vorbei: In den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst zeigt Verdi Muskeln. Seit dieser Woche laufen wieder Warnstreiks. Heute betroffen sind sechs deutsche Flughäfen. Über 900 Flüge wurden gestrichen. Auch viele kommunale Kitas bleiben wieder geschlossen. Im öffentlichen Personennahverkehr geht auch heute in vielen Städten nichts.
    Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Frank Bsirske, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Guten Morgen!
    Frank Bsirske: Ja! Guten Morgen.
    "Wir gehen jetzt in die entscheidende Phase der Verhandlungen hinein"
    Schulz: Wenn wir über Warnstreiks sprechen, warum muss das jetzt schon wieder so weh tun?
    Bsirske: Na ja, wir gehen jetzt in die entscheidende Phase der Verhandlungen hinein, tun das vor dem Hintergrund eines Angebots der Arbeitgeber aus der letzten Woche, das im Lichte der Inflationsrate 2016/2017 auf Reallohn-Verlust hinausläuft, und das in einer Situation, wo die öffentlichen Haushalte einen Rekordüberschuss so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ausgewiesen haben. Das passt nicht zusammen und da kommt es jetzt darauf an, einfach mal ein klares Zeichen zu setzen.
    Schulz: Aber Sie fordern ja Lohnerhöhungen von sechs Prozent. Die Inflationsrate, die liegt bei knapp über null. Haben Sie da was übersehen?
    Bsirske: Na ja. Die Prognosen gehen in die Richtung 0,5, 0,6 in 2016 und dann 1,5 beziehungsweise 1,6 Prozent in den Prognosen für 2017. Das heißt, wir landen unterm Strich kumuliert bei etwa zwei Prozent Inflationsrate. Davon ist das Angebot der Arbeitgeber deutlich entfernt. Und wir brauchen auch einen klaren Reallohn-Zuwachs im Öffentlichen Dienst, einfach um die Lücke zu schließen, die sich da mit den Jahren nach wie vor aufgebaut hat zur Tariflohn-Entwicklung im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft, angesichts der Tatsache, dass 20 bis 25 Prozent der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in den nächsten zehn Jahren altersbedingt ausscheiden werden, und das in einer Phase, wo der Wettbewerb um Berufsnachwuchs, um qualifizierte Fachkräfte absehbar sehr viel härter wird.
    "Das ist eine Logik, die sich mir nicht erschließt"
    Schulz: Ja, Herr Bsirske. Da möchte ich auch gleich noch über alles sprechen. Aber ich würde gerne noch kurz beim Prozedere bleiben. Sie haben jetzt zwei Runden verhandelt. Die Arbeitgeberseite, die spricht für die nächste Verhandlungsrunde, die ja morgen ist, von einer vernünftigen Verhandlungsgrundlage. Warum dann jetzt gleich wieder diese massiven Warnstreiks? Immer diese Rituale, von denen ja jetzt speziell in dieser Auseinandersetzung im Öffentlichen Dienst in aller Regel die Falschen getroffen werden?
    Bsirske: Offen gesagt fällt es mir schwer, bei einem Angebot, das auf Reallohn-Verlust hinausläuft, von einer vernünftigen Verhandlungsgrundlage zu sprechen. Das ist eine Logik, die sich mir nicht erschließt, und nicht nur mir nicht, sondern Zehntausenden von Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben auch nicht.
    Schulz: Ja, wobei ich auch immer noch nicht die Differenz verstanden habe zwischen sechs Prozent und der möglicherweise fürs nächste Jahr über einem Prozent liegenden Inflationsrate.
    Bsirske: Na ja. Wir werden in dem Abschluss einen Beitrag dazu leisten wollen, den Abstand in der Tariflohn-Entwicklung des Öffentlichen Dienstes zum Durchschnitt der Gesamtwirtschaft zu verkleinern. Das ist die Aufgabe. Und am Ende, machen wir uns nichts vor, wird ein Kompromiss stehen, wenn es zu einem Ergebnis kommt, ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können müssen, aber der auch unter dem Strich Reallohn-Zuwachs, und zwar deutlich, und eine Verkleinerung des Abstands auf die Gesamtwirtschaft bringt. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Das interpretieren die Arbeitgeber offensichtlich anders. Und insofern ist es, glaube ich, auch das richtige Vorgehen, hier ein klares Zeichen zu setzen, wie die Erwartungshaltung in den Betrieben aussieht, denn da ist das Angebot der Arbeitgeber doch auch als eine Missachtung, als eine Geringschätzung der Leistungen der Beschäftigten in den Öffentlichen Diensten empfunden worden, die gerade in den letzten Monaten durch Mehrarbeit, durch intensive Belastungen einen Beitrag für das Ganze, für die Gesellschaft insgesamt gebracht haben.
    "Das wollen wir ja gerade, eine solche Eskalation vermeiden"
    Schulz: Jetzt sind Sie auf einen Punkt noch gar nicht eingegangen, nämlich den, dass gerade bei den Streiks im Öffentlichen Dienst, bei den langen Kita-Streiks im letzten Jahr, dass da ja diejenigen die Leidtragenden sind, die überhaupt nicht am Verhandlungstisch sitzen. Speziell beim Kita-Streik war es im letzten Jahr wohl so, dass durch die Streiks die Kommunen noch ein Plus gemacht haben. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass da was falsch läuft?
    Bsirske: Nein. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeitgeber versucht haben, der notwendigen überfälligen Aufwertung der sozialen Dienste vor dem Hintergrund anspruchsvoller gewordener Arbeit auszuweichen, und die Reaktion, die einzige, die den Beschäftigten möglich war, dann auch in Arbeitsniederlegungen bestanden hat. Das wollen wir ja gerade, eine solche Eskalation vermeiden, indem jetzt ein deutliches Zeichen gesetzt wird. Die Warnstreiks haben die Funktion, eine Einigung am Verhandlungstisch zu befördern. Wir setzen ein klares Zeichen und ich würde mir sehr wünschen, dass das auch aufgenommen wird und ankommt bei den Arbeitgebern im Öffentlichen Dienst. Dann werden wir hoffentlich auch am Donnerstag und Freitag zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen können. Wir, ich als Verhandlungsführer der Gewerkschaftsseite will dazu konstruktiv beitragen. Aber dazu gehören unter dem Strich zwei, und insofern erleben wir heute ein Wechselspiel von Aktion und Reaktion und wir reagieren auf ein Angebot, das unterm Strich Reallohn-Verlust bedeutet. Und da muss man sich nicht wundern, dass das in den Betrieben auf Verärgerung stößt.
    Schulz: Sie sagen das immer so, dass den Mitarbeitern gar nichts anderes übrig geblieben sei, als zu streiken. Aber wenn wir jetzt konkret auf die Warnstreiks schauen: Sie haben ja erst zwei Runden verhandelt. Ich würde die Frage gerne mal umdrehen. Wem hätte es denn wehgetan, wenn Sie jetzt auf diese Warnstreiks verzichtet hätten?
    Bsirske: Fragen Sie das doch mal die Arbeitgeberseite, …
    Schulz: Nein, ich frage jetzt Sie!
    Bsirske: … die nach zwei Verhandlungsrunden am Ende ein Angebot vorlegt, das auf Reallohn-Verlust hinausläuft in einer Situation, wo die öffentlichen Haushalte einen Überschuss ausweisen, so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Das passt nicht zusammen und das verlangt eine klare Reaktion. Die kommt jetzt und ich hoffe sehr, dass dieses Zeichen verstanden wird und wir zu einem konstruktiven Ergebnis in den nächsten Tagen kommen können. Wenn das nicht der Fall ist, dann droht Eskalation, an der ich kein Interesse habe, weil ich finde, wir sollten in der Lage sein, uns in dieser Situation vor dem Hintergrund von Rekordüberschüssen in den öffentlichen Haushalten zu verständigen. Aber dazu gehören zwei, die Arbeitgeberseite genauso wie die Arbeitnehmerseite.
    "Dazu muss der Bund viel stärker in die Verantwortung für die kommunalen Aufgaben gehen"
    Schulz: Erklären Sie uns noch: Ist es wirklich mehr als ein Ritual bis hin zu dem Gespräch, was wir jetzt führen, in dem Sie jetzt natürlich, was ja klar ist und auch Ihre Aufgabe, die Angebote der Arbeitgeberseite für absolut skandalös und eine Missachtung der Mitarbeiter erklären. Die Arbeitgeberseite kontert ja mit ihren Zahlen. Die sagen, wir sitzen auf einem Schuldenberg, die Kommunen zusammengenommen, von 145 Milliarden Euro und wir können das hier jetzt nicht alles aus der lockeren Hand vergeben. Warum verhandeln Sie nicht am Tisch, sondern auf der Straße?
    Bsirske: Ich finde es ja sehr interessant, dass das Thema des Investitionsstaus in diesem Zusammenhang prominent platziert wird. Ich finde, es gibt ihn. Den werden wir nicht lösen können über Lohnverzicht aufseiten der Beschäftigten, schon gar nicht über mehrjährigen Lohnverzicht, nicht einmal dann. Dazu muss der Bund viel stärker in die Verantwortung für die kommunalen Aufgaben gehen, die er den Kommunen übertragen hat, ohne sie entsprechend finanziell auszustatten. Da muss man ran, da liegt der Schlüssel und nicht in Lohnverzicht, der am Ende dazu führt, dass der Kämmerer, der jetzt klagt über mögliche Mehrbelastungen, am Ende den qualifizierten Berufsnachwuchs nicht findet und die Fachkräfte nicht findet, die er braucht, um im Interesse der Bürgerinnen und Bürger die Aufgaben in den Kommunen erledigen zu können. Nur so wird ein Zusammenhang daraus. Und wenn Sie Rituale ansprechen, dann sind Sie selbst auch Teil dieses Rituals, so wie Sie jetzt diskutieren. Es gibt Rituale, das stimmt, aber was bei den Ritualen rauskommt, das ist offen. Und ich glaube, hier ein klares Zeichen zu setzen, das ist insbesondere nach dem, was die Arbeitgeber in der letzten Woche vorgelegt haben, überfällig.
    Schulz: Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske heute hier in den "Informationen am Morgen". Ganz herzlichen Dank, Herr Bsirske.
    Bsirske: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.