Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Vereidigung von Irans Präsident Hassan Rohani
"Der größte Spielraum liegt eher im wirtschaftspolitischen Bereich"

Irans reformorientierter Präsident Hassan Rohani soll heute für seine zweite Amtszeit vereidigt werden. In Schlüsselbereichen sei die Regierung durch Irans Führer Khamenei entmündigt, sagt der Politologe Jochen Hippler. In der Wirtschaftspolitk habe die Regierung etwas mehr Einfluss - aber keine freie Hand.

Jochen Hippler im Gespräch mit Rainer Brandes | 05.08.2017
    Irans Präsident Hassan Rohani
    Obwohl Irans Präsident Hassan Rohani ein Reformer ist, sei die Menschenrechtslage unter ihm eher schlechter geworden als besser, sagte der Politologe Jochen Hippler im Dlf. (AFP / ATTA KENARE)
    Rainer Brandes: 57 Prozent der Wählerstimmen, das ist ein klares Votum. So viele Iranerinnen und Iraner haben im Mai ihren Präsidenten Hassan Rohani wiedergewählt. Heute wird er im Parlament zu seiner zweiten Amtszeit vereidigt. Diese 57 Prozent sind auch deshalb bemerkenswert, weil Rohani schon in der ersten Amtszeit zwar viele Reformen versprochen, aber wenige eingelöst hat, inzwischen ist die Zahl der Hinrichtungen sogar höher als vor Rohanis Amtszeit, und dennoch: Die Menschen im Iran, die auf eine Liberalisierung hoffen, setzen weiter auf ihn. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg und Essen, und er ist ein ausgewiesener Kenner des Iran. Guten Morgen!
    Jochen Hippler: Guten Morgen, Herr Brandes!
    Brandes: 567 Menschen sind im vergangenen Jahr im Iran hingerichtet worden. Amnesty International sagt, Rohani habe keine nennenswerten Schritte unternommen, um Verfolgung von Aktivisten und Menschenrechtlern einzudämmen. Mimt Rohani nur den Reformer?
    Hippler: Nein, ich glaube nicht, sondern er ist tatsächlich relativ weit gegangen, zumindest mit öffentlichen Äußerungen und in bestimmten Teilbereichen. Das Problem ist tatsächlich, dass die Menschenrechtslage unter Rohani eher schlechter geworden ist als besser, obwohl er ein Reformer ist. Und das hängt damit zusammen, dass die Regierung im Iran eben nur sozusagen mit einer Hand regieren kann oder manchmal gar nicht – in Schlüsselbereichen, in der Justiz, in der Sicherheitspolitik, Polizei, Geheimdienste, Militär – hat sie sowohl juristisch als auch politisch gar keinen Einfluss, weil diese Kernbereiche in den Händen des sogenannten Führers liegen, also Herr Khameneis. Das heißt, da ist ein Schlüsselbereich, was normalerweise Regierungen haben, und die Regierung im Iran entmündigt und ohne jeden Einfluss.
    Brandes: Was kann ein Präsident im Iran denn dann tatsächlich bewirken?
    "Auch die Wirtschaftspolitik ist eben nicht ganz von den Fesseln des Führers befreit"
    Hippler: Normalerweise sagt man eigentlich, dass der größte Spielraum eher im wirtschaftspolitischen Bereich liegt. Wenn ich mir sowohl die iranische Verfassung ansehe als auch die Realität in den letzten Jahren, dann ist es tatsächlich so, dass es dort am ehesten Möglichkeiten zu handeln gibt, aber auch die Wirtschaftspolitik ist eben nicht ganz von den Fesseln des Führers befreit, und dann ist sie natürlich auch von den internationalen Bedingungen noch mal abhängig. Das heißt, auch da hat die Regierung halt etwas mehr Einfluss, aber eben nicht freie Hand, um zu unternehmen, was sie machen möchte.
    Brandes: Wenn es also so ist, dass Rohani eigentlich gerne mehr Reformen machen würde, mehr Freiheiten bringen würde, aber die Justiz und andere Kräfte im Iran das behindern: Sehen die eigentlich nicht, diese anderen Kräfte, dass es doch eine große Mehrheit im Volk gibt, die diese Reformen wollen?
    Hippler: Doch, ich glaube, das ist eigentlich weitgehend akzeptiert. Das Problem ist, dass diese Reaktionäre genau das zu verhindern trachten, dass diese Mehrheit sich durchsetzen kann. Das heißt, es gibt teilweise von rechts außen im Iran eine Diskussion, dass eben es darum geht, die Machtübernahme des Volkes sozusagen zu verhindern, weil es ja eigentlich diesen Leuten eher um die Macht Gottes geht, um die Souveränität Gottes, und nicht die der Menschen. Und da ist eben tatsächlich Rohani auf der anderen Seite … Also, es gibt eben viele öffentliche Äußerungen, die zu großem Schock bei diesem rechtsextremen Flügel führen, beispielsweise wenn er vor Polizisten, vor Polizeioffizieren eine Rede hält, dass es die Aufgabe der Polizei wäre, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen, und nicht, die Leute in den Himmel zu bekommen und fromm zu machen, das wäre nicht die Aufgabe der Polizei, oder ähnliche Äußerungen etwa in der Frauenpolitik. Also, da hat er sich rhetorisch ziemlich aus dem Gebüsch gewagt und sehr deutliche Sachen gesagt, was teilweise auch die Unterstützung in der Bevölkerung erklärt. Aber das ist auch gerade der Grund, warum die Reaktionäre umso massiver vorgehen. Häufig sind diese Menschenrechtsverletzungen – Verhaftungen von Journalisten, Schließung von kritischen Zeitungen –, das sind häufig eben gerade Dinge, die gemacht werden, um der Regierung eins auszuwischen, um zu zeigen, dass sie handlungsunfähig ist, um indirekt ihr halt in der Bevölkerung ihr Prestige zu nehmen. Manchmal sind diese Menschenrechtsverletzungen eher gegen die Regierung und nicht so sehr gegen die direkten Opfer gerichtet.
    Brandes: Und wie lange wird die Bevölkerung, die auf Reformen hofft, das mitmachen, dass sie also von Rohani immer diese Versprechen hört, die er dann nicht einlösen kann?
    Hippler: Ja, das ist die 100.000-Dollar-Frage. Also, das hatten wir ja schon mal in der Regierungszeit von Herrn Khatami, der große Reformer 1997 bis 2007, auch da gab es eine große Enttäuschung, weil eben man sich auch von ihm alleingelassen fühlte nach der ersten Amtszeit, und trotzdem sind seine Stimmen bei der zweiten Amtszeit noch mal deutlich größer gewesen als bei der ersten, oder sehr hoch gewesen. Und ähnlich ist es jetzt Rohani gegangen. Also, das ist ein doppelter Prozess: Einerseits führt es zu Enttäuschung, man ist enttäuscht, dass eben bestimmte Freiheitsrechte nicht ausgedehnt worden sind, sondern manchmal schrumpfen, man ist auch enttäuscht, dass die Wirtschaftslage nicht so gut geworden ist, wie man sich das eigentlich mal gewünscht hatte nach dem Ende der Sanktionen, offiziell zumindest. Und gleichzeitig aber: Für wen soll man denn sein? Also, die Alternative zu Rohani, die Alternative zu Khatami waren eben tatsächlich diese Dinosaurier, die politischen, also diese reaktionären, extremistischen Kräfte. Und dann wählt man lieber noch jemanden, der eben halt nicht das durchsetzen kann, was er eigentlich möchte, als jemanden, der die ganze Sache noch weiter in den Extremismus treiben würde.
    US-Sanktionen gefährden wirtschaftliche Lage
    Brandes: Jetzt haben Sie die wirtschaftliche Lage gerade schon angesprochen, da hatte es ja tatsächlich große Hoffnungen nach dem Ende der Sanktionen, mit dem Atomabkommen, mit den USA gegeben. Nun hat US-Präsident Trump die Sanktionen gegen den Iran wieder verschärft und er kündigt an, das auch weiter zu tun. Was bedeutet das für Rohanis Versprechen, die wirtschaftliche Lage zu verbessern?
    Hippler: Ja, das ist tatsächlich ein riesiges Problem. Denn es gab da auch zu Beginn von Rohanis erster Amtsperiode eben zum Teil naive Vorstellungen, als ob dieser Atomdeal, den der Iran geschlossen hat und an den er sich auch tatsächlich ziemlich penibel gehalten hat, dass dieser Atomdeal eben alle wirtschaftlichen Probleme sozusagen wegblasen würde. Und da muss man tatsächlich sagen, dass da die Bilanz eher gemischt ist, also nicht so eine … nicht eine Katastrophe, es hat keine Verschlechterung gegeben, es gibt tatsächlich in vielen Bereichen eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, etwa die Inflation ist wesentlich geringer, die in der Schlussphase von dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad eben sehr beängstigend war. Aber trotzdem, im Bereich von Arbeitslosigkeit etwa oder in anderen Schlüsselbereichen sieht es eben immer noch nicht so gut aus, wie man sich das gewünscht hat. Und das ist natürlich in gewissem Sinne eine Sache, die Rohani stärker trifft, weil die meisten Iraner, die politisch Bewussten, natürlich verstehen, dass man auf bestimmten Bereichen … dass die Regierung dort, dass ihr die Hände gebunden sind und dass sie nicht schuld ist für bestimmte schlimme Entwicklungen. Aber im wirtschaftspolitischen Bereich, verknüpft eben mit dieser Öffnung nach außen, da hat man sich tatsächlich wesentlich mehr versprochen, und das würde man dann schon eher Rohani ankreiden.
    Brandes: Was wäre denn nötig, um die Wirtschaft wirklich in Schwung zu bringen und Menschen in Arbeit?
    Hippler: Ich glaube, dass das zwei Dinge sind, innenpolitisch und außenpolitisch. Das Außenpolitische haben Sie schon angesprochen, es sind eben nicht die Sanktionen aufgehoben worden, sondern es sind nur manche Sanktionen aufgehoben worden. Der Iran war eben nicht nur von Sanktionen betroffen, die halt an die Atompolitik zielten, sondern eben auch von Sanktionen, die gar nicht mitdiskutiert und gar nicht mitverhandelt worden sind, etwa auch aus den USA, nur ein Teil der amerikanischen Sanktionen war atombezogen, andere sind eben aus anderen Gründen verhängt worden und darum auch natürlich nicht aufgehoben worden. Und jetzt mit Trump die Verschärfung des internationalen Klimas und die Verhängung zusätzlicher Sanktionen zeigt eben in den Augen mancher Iraner, dass da die Regierung bei den Verhandlungen naiv gewesen ist, weil man eben hoffte und versprach, die Sanktionen aufzuheben, und das tatsächlich aber nicht wirklich und vor allen Dingen nicht im vollen Umfang passiert ist, das ist das eine. Das Zweite ist, dass auch die iranische Wirtschaft in manchen Punkten strukturell gelähmt ist. Also, ich bin nicht in allen Fragen ein großer Freund von wirtschaftlicher Liberalisierung, da hat man ja auch in vielen Ländern sehr schlechte Erfahrung mit gemacht, aber man muss doch feststellen, dass … wir wissen nicht genau die Zahlen, aber vielleicht 60 Prozent, 70 Prozent der iranischen Wirtschaft direkt oder indirekt von den Revolutionsgarden kontrolliert werden und von bestimmten religiösen Stiftungen kontrolliert werden, die beide wiederum unter der Leitung und Führung von Herrn Khamenei, des sogenannten Führer stehen. Und die sind nun nicht auf wirtschaftliche Effizienz aus, die sind nicht unbedingt darauf aus, der Wirtschaft zu dienen, sie zu entwickeln, sondern sie sind eben beide ein Instrument der Stabilisierung der Machtverhältnisse des Führers und der Reaktionäre. Und solange das nicht aufgebrochen wird, sind natürlich wirtschaftliche Veränderungen, wirtschaftliche Reformen sehr schwer. Wenn zwei wichtige Säulen der Reaktion und der antidemokratischen Tendenzen im Iran die Wirtschaft kontrollieren, wie machen Sie dann Wirtschaftspolitik?
    Brandes: Heute wird der iranische Präsident Hassan Rohani für seine zweite Amtszeit vereidigt. Über die Situation im Iran habe ich mit dem Politikwissenschaftler Jochen Hippler gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch!
    Hippler: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.