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Verfassungsdebatte in Spanien
Machtspiele am Mittelmeer

Unabhängigkeit von Spanien - dafür kämpfen katalanische Nationalisten seit langem. Madrid wehrt sich gegen diese Pläne, die Fronten sind verhärtet. Jetzt wird über eine Verfassungsreform diskutiert, die den Regionen mehr Spielräume gibt. Spanien könnte zum Bundesstaat werden - nach deutschem Vorbild.

Von Hans-Günter Kellner | 27.07.2017
    June 11, 2017 - Barcelona, Catalonia, Spain - Demonstrators with their placards take part in a pro-independence act at Barcelona s Montjuic Fountains in support of the recently announced referendum over Catalonia s independence from Spain in form of a republic at October 1st Barcelona Spain
    Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens am 11. Juni 2017 in Barcelona (imago stock&people/ Matthias Oesterle)
    Trotz 42 Grad und Urlaubszeit ist im Café Manuela kein Platz mehr frei. Der junge Thinktank "Politikon" hat hier, im Madrider Szeneviertel Malasaña, zur Diskussion über eine Föderalismusreform in Spanien eingeladen.
    "Es gibt Bundesstaaten, zum Beispiel Österreich, in denen die Bundesländer weniger selbstständig sind, als unsere Autonomen Regionen", erklärt der Politologe Pablo Simón vor einem Schaubild. "Aber dennoch haben die österreichischen Bundesländer mehr Einflussmöglichkeiten auf die österreichische Politik."
    Denn sie sind über den Bundesrat an den Gesetzgebungsverfahren beteiligt, ähnlich wie die Länder in Deutschland. Spanien hingegen ist in 17 autonome Regionen gegliedert, die von Gesundheit bis Bildung zwar zahlreiche eigene Kompetenzen haben, aber die Gesetze im Zentralstaat macht alleine das spanische Parlament. Das soll sich endlich ändern, fordert die Verfassungsrechtlerin Carmen Calvo von den spanischen Sozialisten:
    Die Idee gibt es seit 20 Jahren
    "Unsere Autonomen Regionen dürfen ihre Gesundheits- oder Bildungspolitik untereinander nicht koordinieren. Die Regionen dürfen ihre eigene Verwaltungsstruktur nicht organisieren. Es gibt keine Länderkammer und auch keine Verpflichtung der Regionen zur Loyalität untereinander. Katalonien legt Wert auf ein besonderes, ein direktes Verhältnis zum Zentralstaat. Uns fehlen einfach die großen Elemente eines föderalen Staats."
    Seit 20 Jahren gibt es die Idee, aus Spanien einen Bundesstaat zu machen, den gegenwärtigen Senat etwa zu einer echten Länderkammer weiterzuentwickeln. Die Konservativen befürchten davon jedoch eine Schwächung des Zentralstaats und eine Stärkung der Unabhängigkeitsbestrebungen - insbesondere in Katalonien. Carmen Calvo sieht in einer Verfassungsreform hingegen eine Möglichkeit, diese sogenannten Zentrifugalkräfte zu bremsen:
    "Natürlich steht hier das Thema Katalonien im Vordergrund. Der Föderalstaat ist eine alte Forderung aus Katalonien. Aber die Verteilung der Steuergelder, die Konflikte um die Kompetenzen plagen auch andere Regionen. Ständig streiten wir uns vor dem Verfassungsgericht. Das kann doch nicht sein. Wir blicken über Katalonien hinaus."
    Dennoch wirkt das von den katalanischen Nationalisten geplante Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober wie ein Katalysator für die Verfassungsdebatte.
    Mehr Einfluss, aber keine Unabhängigkeit
    Spaniens Konservative setzen zwar alleine aufs Verfassungsgericht, das ein Referendum in Katalonien über die Unabhängigkeit schon einmal für ungültig erklärt hat. Aber auch unabhängige Juristen meinen, ein spanischer Bundesstaat könnte Katalonien besser integrieren. Der spanische Verfassungsrechtler Javier García Roca von der Madrider Complutense-Universität erklärt:
    "Schon der Artikel 2 unserer Verfassung spricht von Nationalitäten und Regionen - aber nicht ausdrücklich von Nationen. Spanier, Katalanen, Basken sehen sich als Nation, die Identitäten überlappen sich. Die Verfassung könnte das anerkennen. Das Recht muss sich der Wirklichkeit anpassen. Eine Verfassung ist wie ein Anzug. Der muss dem Körper passen, für den er geschneidert ist."
    Eine Reform wäre ein Kompromiss: Die Regionen hätten mehr Einfluss, jedoch kein Recht auf Sezession. Gegenwärtig rücken aber weder die spanischen Konservativen noch die katalanischen Nationalisten von ihren Maximalpositionen ab. Als die Spanier 1977 über eine demokratische Verfassung diskutierten, sei der Wunsch nach einer Einigung hingegen enorm gewesen, so Javier García Roca. Entscheidend waren aus seiner Sicht die Erfahrungen mit einem Bürgerkrieg und der 40-jährigen Franco-Diktatur.
    "Die Bereitschaft zum Dialog wird oft erreicht, wenn man sich erstmal wehgetan hat. Ich hoffe, dass sich am 1. Oktober alle eine blutige Nase holen und ihnen dann klar wird, dass sie so nicht weiterkommen. Die einen pochen aufs Gesetz, die anderen wollen unbedingt abstimmen. Alle werden frustriert sein, denn auch das Verfassungsgericht wird das Problem nicht lösen können. Wenn sich alle Beteiligten wehgetan haben, sorgt das vielleicht für die derzeit fehlende Dialogbereitschaft. Aber es wird nicht leicht."