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Vermisster Flug MH370
Die Strömung als Gegenspieler

Der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg sieht große Probleme bei der Suche nach dem vermissten Flug MH370. Vor allem die Meeresströmung erschwere die Suche. "Die Unglücksstelle mag völlig woanders sein, als einzelne Teile, wenn man sie findet", sagte er im Deutschlandfunk.

Cord Schellenberg im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.03.2014
    Aus dem Cockpit eines australischen Flugzeugs ist ein Transportschiff zu sehen.
    Ein australisches Flugzeug auf der Suche nach der verschollenen Maschine. (picture alliance / dpa / Justin Benson-Cooper)
    Tobias Armbrüster: Seit zwei Wochen wird irgendwo in den Weiten zwischen Kuala Lumpur und Madagaskar, irgendwo in den Weiten des Indischen Ozeans eine Boeing 777 vermisst, ein Flugzeug mit mehr als 200 Passagieren an Bord. Die internationale Suche, die läuft auf Hochtouren, und seit etwa einer Stunde melden Agenturen nun, dass von einem chinesischen Flugzeug aus mehrere Objekte im Wasser gesichtet wurden. Soweit ein paar Agenturmeldungen. Davor gab es seit Tagen immer wieder Meldungen über neue Satellitenbilder, auf denen ganz grob gerastert mögliche Wrackteile zu sehen waren. Am Telefon ist jetzt der Flugzeugexperte Cord Schellenberg, er ist Vizepräsident des Luftfahrt-Presseclubs. Schönen guten Morgen, Herr Schellenberg.
    Cord Schellenberg: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Schellenberg, ist dieser Nachrichtenaktivismus, den wir da in Sachen MH 370 erleben, ist der ein bisschen übertrieben?
    Schellenberg: Es scheint so, weil natürlich jeder aufgerufen ist, irgendetwas zu melden. Andererseits, glaube ich, gibt es wenig Themen, wenn man vielleicht mal vom Krim-Konflikt oder dem dort möglicherweise entstehenden Krieg absieht, die die ganze Welt beschäftigen, und die Suche nach einem Flugzeug, so komisch das klingt – es ist ja klar, dass wir sie in Deutschland oder in Amerika jetzt nicht am Himmel finden werden -, die Suche nach dem Flugzeug scheint, die Menschen auf der Welt irgendwo zu faszinieren beziehungsweise zu verunsichern.
    Armbrüster: Was ist denn Ihre Erklärung für dieses völlige Verschwinden?
    Schellenberg: Meine Erklärung ist, dass es zurzeit keine Erklärung gibt, und es macht wenig Sinn – ich genieße es immer, wenn ich Experten im Fernsehen, im Hörfunk, in der Zeitung lese oder sehe, die sagen, es ist alles offen, aber sie legen sich schon mal auf eine Theorie fest. Das finde ich sehr erstaunlich. Ich glaube, es reicht, wenn man in so einem Fall sagt, es ist einfach alles offen und es besteht die Möglichkeit, dass ein Grund vorliegt, den wir einfach nicht kennen, ein Muster, das die Luftfahrt bisher noch nicht erlebt hat, und die Boeing 777 ist ja ein bekanntermaßen sehr sicheres Flugzeug, über 1200mal gebaut, bisher "nur" Landeunfälle, zwei Stück, die auch alle rekonstruiert sind. Hier ist möglicherweise etwas ganz neu, oder es ist ein Muster, das wir heute einfach noch nicht erkennen. Deswegen macht es auch keinen Sinn, es zu erklären.
    Armbrüster: Aber weshalb dauert es denn so lange, dieses Flugzeug wiederzufinden?
    Schellenberg: Es scheint entweder, dass das Flugzeug sich am Radar vorbeigeschummelt hat, oder, wenn man das Schummeln als menschliches Treiben interpretiert, dass es dann auch möglicherweise herrenlos geflogen ist. Die Möglichkeit gibt es. Andererseits kann es aber auch sein, dass es durchaus gesichtet worden ist, denn es ist ja schon erstaunlich, dass in dieser Region der Welt, mindestens zwischen Malaysia und Australien, über Stunden kein militärischer Dienst das Ganze entdeckt hat. Es will auf jeden Fall, wenn er es entdeckt hat, keiner sagen momentan, und insofern bleibt es mal verschollen.
    Suche mit alten Satellitenbildern
    Armbrüster: Als sicher scheint zu gelten, dass es irgendwann vor zwei Wochen im Indischen Ozean runtergegangen ist, abgestürzt ist ins Meer rein. Sehen Sie irgendwelche Chancen, dass es an dieser Unglücksstelle noch Überlebende geben könnte?
    Schellenberg: Über so viele Tage, jetzt ja fast zwei Wochen, wie Sie gesagt haben – die Unglücksstelle, die mag völlig woanders sein als einzelne Teile, wenn man sie findet, weil die Strömung natürlich es nicht nur weiterträgt, sondern in diesem Bereich, so sagen Experten, diese Strömung auch ständig wechselt. Das heißt, dort wo man etwas möglicherweise aus einem Flugzeug sieht oder vom Satellitenbild her interpretiert, ist es A gar nicht mehr, weil die Strömung es schon weitergetragen hat, aber es war möglicherweise auch beim Fotografieren schon gar nicht mehr dort, wo das Wrack ist, weil es als Teil auch schon weitergetragen worden ist. Die Auswertung der Bilder – das hat man in Australien gemerkt -, da sagt der Premierminister, wir haben den Anschein und dort werden wir jetzt hinfliegen, und dann stellte sich heraus, dass bei der Bekanntgabe dieser Information die Bilder schon vier, fünf Tage alt waren. Das ist ja nicht falsch. Aber es ist natürlich extrem schwierig, etwas zu suchen, was sich vier, fünf Tage schon weiterbewegt hat und da auch nur ein vergleichsweise kleines Teil ist. Aber erstaunlich, dass man überhaupt diese Teile von fünf oder 20 Meter aus der Luft per Satellit sehen kann. Also letztendlich auch nicht falsch, dass man dem nachgeht.
    Ein chinesisches Satellitenfoto, auf dem in der Mitte ein verschwommenes weißes Objekt zu sehen ist.
    Das chinesische Staatsfernsehen veröffentlichte ein Satellitenfoto, auf dem vermeintlich Trümmerteile der vermissten Maschine zu sehen sein sollen (afp / CCTV)
    Armbrüster: Was würde denn passieren, mal angenommen, in den nächsten Stunden erfahren wir nun tatsächlich, es sind Flugzeug-Wrackteile, die da im Indischen Ozean schwimmen, die von dieser Unglücksmaschine stammen? Mal angenommen, die werden tatsächlich identifiziert aus einem Flugzeug in den kommenden Stunden, was würde dann als nächstes passieren?
    Schellenberg: Bei den Tiefen, um die es sich dort handelt, mehrere Tausend Meter Seetiefe, geht es dann sicherlich darum, nicht nur Schiffe zu entsenden und diese Teile zu sichern. Das haben wir bei dem Unglück der Air France vor Brasilien vor einigen Jahren ja auch alle gesehen, dass diese Teile erst mal dann gesichert werden, die sozusagen oben schwimmenden. Aber wenn oben etwas schwimmt, muss der Rest unten sein, ist die Logik dahinter, und dann hat man U-Boote, Such-U-Boote, mit denen man Bergungsaktionen vorbereiten kann, losgeschickt, und die haben ja damals auch vor Brasilien wirklich nicht nur große Teile des Unglücksflugzeugs gefunden, sondern auch freundlicherweise die Blackbox. Die Blackbox ist das, wo alle Flugparameter aufgezeichnet werden. Dadurch konnte der Flug, obwohl das Flugzeug in großer Tiefe war, rekonstruiert werden und aufgeklärt werden und es kam heraus, es war ein Zusammenspiel zwischen menschlichem und technischem Versagen. Das wäre natürlich hier, wenn man so will, ideal, dass man herausfindet, woran hat es gelegen, aber dafür braucht man die konkrete Unglücksstelle und dann braucht man auch diese Blackbox, also den Aufzeichnungsrekorder.
    Eine Aufgabe der Staatengemeinschaft
    Armbrüster: So eine Suche mitten im Indischen Ozean, in einer sehr abgelegenen Stelle, die ist natürlich sehr aufwendig. Wer bezahlt so etwas eigentlich?
    Schellenberg: Hier glaube ich, dass sowohl Malaysia Airlines als auch die Hersteller des Flugzeugs und der Triebwerke und natürlich die Länder, die Passagiere vermissen – das ist vor allem China und Malaysia -, dass die alles tun werden, um das aufzuklären. Man merkt ja, dass die Chinesen auch eigentlich im positiven Sinne recht ehrgeizig sind. Die wollen das Malaysia nicht alleine überlassen. Es gibt ja auch keinen Grund, es denen alleine zu überlassen, weil ganz offensichtlich das Flugzeug auch nicht vor Malaysia vermutet wird. Also ist es auch eine Aufgabe der Staatengemeinschaft. Und am Ende ist natürlich auch die Versicherung des Flugzeugs angesprochen, denn auch dort ist ja ganz klar auch der Wunsch, herauszufinden, obwohl jetzt ja schon ausbezahlt wurde. Das geht bei Flugzeugunglücken ja immer sehr schnell und unbürokratisch. Aber auch die Versicherung möchte natürlich herausfinden, gab es dort Eingriffe, menschliche Eingriffe, die nicht hätten sein sollen, wer war schuld. Das interessiert viele. Aber vor allem interessiert erst mal die Länder, dass sie für ihre Angehörigen Antworten finden.
    Armbrüster: Wenn wir uns nun diese Suche in den letzten zwei Wochen mal ansehen, da waren sehr viele unterschiedliche Staaten dran beteiligt, durchaus auch mit unterschiedlichen Regierungsformen, China, Australien. Haben Sie den Eindruck, Herr Schellenberg, das war gut koordiniert?
    Schellenberg: Ich glaube, das mit der Koordination, das kam erst über die Tage, war vielleicht auch nachvollziehbar, weil man ja erst mal wissen muss, wo man sucht, bevor man dann die unterschiedlichen Länder koordinieren kann. Ich finde, in dem Moment, wo Australien zum Beispiel gesagt hat, es sieht so aus, dass der Flugkorridor ganz stark in unsere Richtung geht, und letztendlich hat ja Australien mit dem Flug als solches zwischen Kuala Lumpur und Peking nichts zu tun gehabt, aber dort ist man ganz stark eingestiegen. Und ob es nachher ein chinesisches Schiff oder Flugzeug ist oder ein australisches, das die Teile, wenn sie denn da sind, wirklich auch findet, oder ein Satellit aus einem ganz anderen Land, das ist eigentlich egal. Nachher muss auch noch diese Rettungsaktion wenigstens für die Leichen und natürlich für die Flugzeugteile koordiniert werden. Ich glaube, das funktioniert ordentlich, außer man findet irgendwann heraus, dass jemand was verheimlicht hat. Denn wie gesagt: Es ist ja erstaunlich, über wie viele Stunden so ein Flugzeug durch die Welt fliegen konnte, ohne dass es jemand gesehen haben will. Auch dort muss man sicherlich die Aufklärung mal abwarten. Aber für den ersten Anschein einer solchen Suchaktion macht das auf mich einen sehr ordentlichen Eindruck.
    Armbrüster: Cord Schellenberg war das, der Vizepräsident des Luftfahrt-Presseclubs. Besten Dank, Herr Schellenberg, für dieses Gespräch heute Morgen.
    Schellenberg: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.