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Vernichtungslager: Auschwitz-Birkenau
Mehr als eine Million Menschen vergast

Mehr als eine Million Menschen brachten die Nationalsozialisten in Auschwitz um. Die Männer des Sonderkommandos mussten die Leichen aus den Gaskammern herausholen und in den Krematorien verbrennen. Als Zeugen des Massenmords waren auch sie Todgeweihte. Heute vor 70 Jahren erhob sich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau das sogenannte jüdische Sonderkommando in einem Aufstand gegen die SS.

Von Frank Kempe |
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    Das Eingangstor zum Konzentrationslager Auschwitz I mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei". (Deutschlandradio - Margarete Wohlan)
    Richter: "Herr Zeuge, kannten Sie auch den Angeklagten Boger?"
    Müller: "Ja. ... Boger hat man in Krematorium genannt so: Es kommt der malche moves - das heißt jiddisch: Es kommt der Tod."
    Auschwitz vor Gericht: Der Tscheche Filip Müller sagt im Oktober 1964 im Frankfurter Prozess als Zeuge aus. Er gehörte zum sogenannten jüdischen Sonderkommando - das waren die Häftlinge, die von der SS in Auschwitz-Birkenau zur Arbeit an den Gaskammern und Krematorien gezwungen wurden - unfreiwillige Handlanger der Mordmaschinerie.
    "Ich habe gesehen, (bei der Vergasung,) Hunderttausende Vergaste. (Und die Menschen - weil) die Vergasung, das war nicht nur eine Minute. Das dauerte acht, zehn, auch mehr. Das war doch schrecklich, wie die Menschen leiden."
    Als Zeugen des Massenmords waren auch sie Todgeweihte
    Mehr als eine Million Menschen brachten die Nationalsozialisten in Auschwitz um. Die Männer des Sonderkommandos mussten die Leichen aus den Gaskammern herausholen und in den Krematorien verbrennen. Als Zeugen des Massenmords waren auch sie Todgeweihte: Regelmäßig wurden Teile des Kommandos liquidiert. Deshalb konnte sich Widerstand erst entwickeln, als das Sonderkommando im Frühjahr 1944 auf 1.000 Mann aufgestockt wurde, zu Beginn der Vernichtungsaktionen gegen die ungarischen Juden. Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, über die Rolle der Neuzugänge:
    "Es waren russische Kriegsgefangene, es waren aber auch Überlebende der Transporte aus Saloniki, die militärische Ausbildung hatten, und auch das ist immer etwas, das man bedenken muss, wenn man sich mit dem Thema Widerstand befasst, wenn es um Gewalthandlungen oder ein körperliches Sich-zur-Wehr-Setzen geht, klappt das eigentlich nur, wenn man Personen hat, die eine gewisse Vorausbildung haben."
    300 Männer des Sonderkommandos sollten "selektiert" werden
    Anführer war jedoch ein litauischer Jude: Jaakov Kaminsky, er unterhielt trotz Kontaktverbots Verbindungen ins Stammlager Auschwitz und schmiedete mit der dortigen Widerstandsbewegung Aufstandspläne. Häftlingsfrauen schmuggelten aus einer Fabrik über Wochen Sprengstoff, aus dem die Männer des Sonderkommandos heimlich Handgranaten bauten. Dann wurde Kaminsky aus ungeklärten Gründen von der SS ermordet. Umso mehr drängte sein Nachfolger Jankiel Handelsman zum gemeinsamen Losschlagen. Doch angesichts der vorrückenden Roten Armee wollte man im Stammlager lieber abwarten. Im Sonderkommando wuchsen die Spannungen, die sich am 7. Oktober 1944 entluden.
    "Der Auslöser des Aufstandes war die Ankündigung, dass 300 Männer des Sonderkommandos selektiert werden sollten, d.h. vergast werden sollten, und da hat man sich dann spontan gegen gewehrt."
    Mehrere Hundert Häftlinge stürzten sich plötzlich auf die SS-Leute. Ihre Waffen waren Steine, Eisenstangen und die selbst gebauten Handgranaten. Drei SS-Männer wurden getötet - Filip Müller im Auschwitz-Prozess:
    "Auf einen SS-Angehörigen sind 30-40 (Richter: draufgestürzt) Aber da sehe ich schon den Brand des Krematoriums und die Sirene geht schon los."
    Filip Müller überlebte versteckt in einem Kamin. Die meisten seiner Mithäftlinge starben im Kugelhagel der herbeigerufenen Wachmannschaften. Insgesamt kamen 451 Häftlinge um. Den Aufständischen war es gelungen, Krematorium IV weitgehend zu zerstören, aber das Morden ging noch sieben Wochen lang weiter. Die Historikerin Schüler-Springorum:
    "Für heute hat der Aufstand des Sonderkommandos in Auschwitz (...) drei wichtige Botschaften: Zum einen, dass sich Juden immer gewehrt haben und dass das Bild vom passiv in den Tod gehen wie die Schafe zur Schlachtbank, dass das eine Verzerrung ist, die letztlich die Täter unsichtbar macht. ... Es zeigt aber auch, ... dass dieses (...) Wehren immer auch (...) moralische Fragen aufwirft, (...) und (...) es macht auch noch mal klar, dass die Situation der Juden Europas eine andere war als alle anderen Völker in Europa, die von den Deutschen besetzt waren, weil es nur die Juden und auch Sinti und Roma für die eine vollständige Vernichtung und Ermordung geplant war."
    Etwa 80 Häftlinge des Sonderkommandos überlebten den Holocaust. Jahrzehntelang sahen sie sich dem ungeheuerlichen Vorwurf ausgesetzt, sie hätten an der Vernichtung des eigenen Volkes mitgewirkt. Deshalb schwiegen die meisten - auch über die einzige bewaffnete Revolte in Auschwitz.