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Versuchstiere
Magnetresonanztomografie statt Sektion

Wissenschaftsethik. - Über drei Millionen Tiere werden in Deutschland jährlich für Versuche in der Forschung verwendet. Das geht aus einem Bericht des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften hervor. Insgesamt steigt diese Zahl weiter an, doch es gibt Bestrebungen, vom lebenden Versuchstier wegzukommen. Marburger Mediziner haben eine entsprechende neue Methode entwickelt.

Von Isabell Ullrich | 11.09.2014
    Johannes Hinrich von Borstel ist ein junger Mediziner, der gerne erzählt. Auf seinem T-Shirt, über das er gerade den weißen Kittel zieht, steht: Schrödinger's cat is alive - Schrödingers Katze lebt. Und auch bei den populär-wissenschaftlichen Vorträgen, die er bei Science Slams im ganzen Land hält, zeigt er sich sehr tierlieb:
    "Die Leute, die mich kennen wissen, wie schwer mir das fällt mit Mäusen zu arbeiten, denn ich hab selber mal Mäuse gehabt und die sind wirklich süß. Das sind arme kleine Biester."
    Trotzdem erforscht der Doktorand in der Kardiologie der Uniklinik Marburg Arteriosklerose am Mausmodell. Genauer gesagt will er den dendritischen Zellen auf die Spur kommen, die vom Immunsystem zu diesen Gefäßablagerungen, den sogenannten Plaques, entsendet werden:
    "Unser Ziel ist es, zu untersuchen, wie dendritische Zellen in diese Plaques wandern und welchen Beitrag sie zum Fortschritt der Arteriosklerose leisten. Also wir untersuchen Zellen in einem Gesamtorganismus. Und es gibt noch keine Möglichkeiten, die im Tier vorherrschenden Bedingungen und das Milieu künstlich zu erzeugen. Zumindest nicht in einem Rahmen, der es zulassen würde, dass wir unsere Forschung komplett ins Reagenzglas verlagern."
    Die Vorbereitungen dazu werden aber so weit wie möglich in Vitro getroffen. Zunächst werden zwar Vorläuferzellen der dendritischen Zellen aus dem Knochenmark einer Maus gewonnen, die wandern dann aber in kleine Glasschälchen, die Johannes von Borstel in einer Art Brutkasten aufbewahrt.
    "In dieser Platte sind sechs Vertiefungen und in jeder Vertiefung habe ich zwei Milliliter Nährlösung mit einem Glykoprotein und zwei Millionen Zellen liegen. Das ist ein Glykoprotein was die Zelldifferenzierung vorantreibt, zu dendritischen Zellen."
    Nach sieben Tagen bei körperähnlicher Temperatur und Atmosphäre im Brutschrank sind die Zellen für gewöhnlich vollständig ausdifferenziert. Dann testet der Doktorand mit verschiedenen Methoden, ob die Verwandlung geklappt hat.
    "Ich mache Migrationsassays, um sicher sagen zu können, dass es sich um dendritische Zellen handelt, bevor das Ganze in die Maus wandert, denn man will die Zahl der eingesetzten Versuchstiere natürlich auf ein notwendiges Minimum reduzieren."
    Neue Untersuchungsmethode senkt Zahl der Labortiere
    Die Tests sind Standardverfahren, die auch in anderen Labors durchgeführt werden, aber die Marburger Kardiologen verwenden bei der Arteriosklerose-Forschung eine neue Untersuchungsmethode, bei der die Zahl der Versuchstiere erheblich gesenkt wird. Dazu haben sie sich mit den Radiologen und deren Kleintier-Magnetresonanztomografen zusammengetan. Um die Wanderung der Immunzellen damit beobachten zu können, füttert Johannes von Borstel die differenzierten Zellen jetzt noch mit Eisenoxid. Das geschieht über die sogenannte Phagozytose.
    "Das heißt die Zellen fressen sozusagen die Eisenoxidpartikel auf."
    Injiziert der Forscher die mit Eisenoxid beladenen Zellen nun in die Maus, kann der Magnetresonanztomograf sie sichtbar machen. So lässt sich ihr Weg durch den Körper live verfolgen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber der herkömmlichen Methode, bei der man das Versuchstier töten und sezieren musste, um die Wanderung der dendritischen Zellen in den Blutgefäßen zu beobachten.
    "Der Vorteil bei unserem MRT Verfahren ist der, dass wir digitale Schnittbilder machen und dabei zu unterschiedlichen Zeitpunkten immer wieder die gleichen Tiere benutzen können. Das heißt die Daten, die wir erheben, sind einerseits viel genauer, weil wir immer die gleichen Tiere haben und da lässt sich eine Veränderung natürlich besser feststellen, als wenn wir jedes Mal eine neue Kontrollgruppe hätten. Und wir können die Zahl der benötigten Tiere auf ein absolut notwendiges Minimum reduzieren."
    Auch wenn das Verfahren teurer ist als die herkömmliche Methode, hoffen die Marburger Forscher, dass sie sich als Standard etabliert. So bleibt weltweit Millionen Mäusen das Leben und Sterben als Versuchstier erspart. Und nicht zuletzt hilft es ja auch dem Menschen, denn durch die MRT-Methode können die Forscher erstmals Entzündungs-Vorgänge, die bei vielen Krankheiten eine Rolle spielen, in einem lebenden Organismus beobachten.