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Verunsicherung in Großbritannien
Britische Firmen sehen Brexit skeptisch entgegen

Ein harter Brexit hätte für Großbritannien desaströse Folgen. Gerade einmal die Hälfte der 244.000 britischen Firmen ist aktuell auf einen harten EU-Austritt vorbereitet. Das könnte vor allem für Firmen und Arbeitnehmer im Nordosten Englands dramatische Folgen haben.

Von Burkhard Birke | 26.07.2019
London: EU-Flagge vor Skyline des Londoner Finanzzentrums "The City".
Viele Firmen fühlen sich hilflos dem Brexit ausgeliefert (dpa / picture alliance / Daniel Kalker)
Die City scheint am besten gewappnet: Viele Banken, Broker und Versicherungen haben längst Vorkehrungen getroffen, Ableger auf dem Kontinent eingerichtet. Anders der Handel und das produzierende Gewerbe: Nicht einmal ein Drittel der 244.000 britischen Firmen, die exklusiv auf das EU Geschäft setzen, hat sich offiziell registrieren lassen, um im Falle eines harten Brexits weiter ihren Geschäften mit dem Kontinent nachgehen zu können.
"Niemand kann uns sagen, was kommt"
Das dürfte sich nach Boris Johnsons Ankündigungen ändern. Wer die Mittel hat, versucht vor allem seine Lager aufzustocken, so etwa wie der Bettenhersteller Savoir Beds. Geschäftsführer Alistair Hughes klagt sein Leid:
"Wir sind hilflos. Wir wissen nicht, was passieren wird und niemand kann uns sagen, was kommt. Savoir Beds hat im März Materialen für eine viertel Million Pfund auf Lager gelegt. Das ist viel Geld für eine kleine Firma. Diesen Lagerbestand mussten und müssen wir für Oktober aufrechterhalten. Es blieb uns keine andere Wahl, aber das bindet unser Geld neun Monate lang!"
Savoir Beds ist ein Nischenhersteller von nur 1.000 Luxusbetten im Jahr, für die Holz aus Lettland, Stahl aus Spanien und Pferdehaar aus der Schweiz benötigt werden. Wie der kleinen Traditionsfirma geht es vielen Unternehmern im Land: Sie sind verunsichert, müssen hohe Lagerbestände halten und ihr Kapital binden. Das kostet! Hatten im März noch 90 Prozent der Unternehmen sich so gut es ging für einen plötzlichen Ausstieg Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag gerüstet, so ist es momentan nur die Hälfte.
Johnson besiegelt das Ende der Sparpolitik
Auch die Regierung hat die gut vier Milliarden Pfund Überbrückungsgelder für den harten Brexit verständlicherweise kaum angerührt. Boris Johnson hat nun den neuen Schatzkanzler Sajid Javid angewiesen Geld locker zu machen. Man will vorbereitet sein. Damit besiegelt Johnson auch das Ende der Sparpolitik. Allein für seine angekündigten Steuersenkungspläne und die zusätzlichen Gelder für Gesundheit, Bildung sowie Infrastruktur, mit denen er den Brexit abfedern will, bräuchte er an die 30 Milliarden Pfund pro Jahr zusätzlich. Damit könnte die Neuverschuldung schnell auf bis zu drei Prozent des Sozialproduktes ansteigen. Auch deshalb warnen Ökonomen wie Paul Dales von Capital Economics erneut vor einem harten Brexit.
"Ein Ausstieg ohne Vertrag ist möglich – wäre aber desaströs. Der schlimmste Fall dürfte allerdings kaum eintreten, da die meisten Firmen sich doch irgendwie vorbereitet haben."
Steigende Lebensmittelpreise, 150.000 Jobs in Gefahr
Vor allem die Verbraucher dürften freilich einen harten Brexit zu spüren bekommen. Infolge von Importzöllen würden Autos im Schnitt um 1.500 Pfund teurer, insbesondere aber Lebensmittel dürften im Preis enorm ansteigen. Selbst die Zutaten für das typische englische Frühstück könnten bis zu einem Viertel teurer werden. Im Schnitt könnte der Durchschnittshaushalt 1.700 Pfund an Kaufkraft verlieren, glaubt Stephanie Rickard von der London School of Economics. Das National Institute of Economic and Social Research rechnet mit einem Wachstumsverlust von zwei Prozent, mit 4,1 Prozent Inflation – auch infolge eines zu erwartenden Absturzes des britischen Pfundes - und einem Produktionsrückgang von 5 Prozent. Schon jetzt haben ganze Branchen wie die Autoindustrie enorme Rückgänge zu verzeichnen. Neue Investitionen werden zurückgehalten. Dem Labour Abgeordneten von Sedgefield, Phil Wilson schwant Böses:
"60 Prozent des Handels im Nordosten Englands werden mit der EU abgewickelt. Daran hängen 150.000 Jobs. Man kann nicht davon ausgehen, dass diese Arbeitsplätze erhalten bleiben."