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Vignette "nur eine billige Variante des Abkassierens"

Der Bundesverkehrsminister will eine Maut für ausländische Autofahrer einführen. Sein Amtskollege aus Baden-Württemberg, Winfried Herrmann von den Grünen, bezweifelt, dass eine solche Maut mit EU-Recht vereinbar wäre. Ohnehin seien andere Aspekte wichtiger.

Winfried Herrmann im Gespräch mit Dirk Müller | 11.07.2013
    Dirk Müller: Alle Jahre wieder, alle Sommer wieder, aber immer aktuell, immer polarisierend. Aber stellen Sie sich das Szenario vor: samstags in der Früh, beispielsweise auf der A61, Köln Richtung Koblenz, Richtung Süden, also Richtung Urlaub. Im Rückspiegel sieht man sie schon kommen, einen Holländer, zwei, drei, Hunderte, Tausende, gefolgt von größeren und kleineren Fahrzeugen aus Belgien, eine ganze Armada. Das alles setzt sich dann fort, beispielsweise an Stuttgart vorbei, an Ulm vorbei, an München vorbei, und all diese Fahrzeuge fahren auf den guten deutschen Straßen, ohne auch nur einen Cent dafür zu zahlen, heißt es.

    Ärgerlich das Ganze, so denken Millionen hierzulande, auch viele Politiker. Aber geschehen ist bislang nichts, seit Jahrzehnten, von den Lastwagen einmal abgesehen. Dennoch zeigt sich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer wieder einmal optimistisch. "Die Maut wird kommen", gibt sich der CSU-Politiker überzeugt. Wirklich? – Am Telefon ist nun der Grünen-Politiker Winfried Herrmann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Guten Morgen!

    Winfried Herrmann: Guten Morgen!

    Müller: Helfen Sie Peter Ramsauer?

    Herrmann: In der Hinsicht auf jeden Fall, dass er, wie alle anderen Verkehrsminister die Einsicht gewonnen haben, dass wir dringend mehr Mittel brauchen, um die Infrastruktur zu erhalten, um den Sanierungsstau abzubauen, und dass wir alle miteinander in den letzten 20 Jahren gelernt haben, dass es kaum gelingt, mehr Anteile aus den Haushalten herauszuholen, ob das jetzt auf kommunaler Ebene ist, auf Landes- oder auf Bundesebene. Deswegen denken alle Verkehrsminister darüber nach, wie man mehr Mittel von den Nutzern des Systems bekommen kann.

    Müller: Also von den Autofahrern?

    Herrmann: Ja.

    Müller: Die Autofahrer müssen zahlen, sagen Sie?

    Herrmann: Die Autofahrer bezahlen ja schon einiges. Sie sind ja über verschiedene Steuern daran beteiligt. Aber das reicht eben nicht und die Steuern sind ja auch nicht zweckgebunden, sondern sie fließen allgemein in den Haushalt. Deswegen wird unter Experten und auch bei den Verkehrsministern zunehmend über eine sogenannte Nutzerfinanzierung gesprochen, dass diejenigen, die eine konkrete Autobahn oder eine Straße nutzen, dafür auch noch mal zusätzlich etwas bezahlen. Das würde ja nicht die anderen Einnahmen und auch die Ausgaben des Staates vollkommen ersetzen, sondern es geht darum, dass wir in Deutschland alleine etwa sieben Milliarden pro Jahr Defizit haben bei Erhalt und Sanierung aller Infrastrukturmaßnahmen. Alle staatlichen Ebenen sind da gemeint und Schiene, Straße, Wasserstraße zusammen. Es ist schon eine große Summe und wir haben einfach ein Riesen-Infrastrukturnetz und das kommt jetzt in die Jahre und da muss man schon was tun, und sieben Milliarden mal einzuspielen aus dem Haushalt, das ist nicht so leicht.

    Müller: Sie sagen ja, Herr Herrmann, dass der Autofahrer schon stark belastet ist: Kfz-Steuer, Spritpreise und so weiter. Warum erhöhen Sie nicht ganz einfach die Lkw-Maut?

    Herrmann: Erstens ist die Lkw-Maut ja schon ordentlich hoch in Deutschland, aber man kann sie noch erhöhen. Sie spielt etwa vier Milliarden ein. Man kann auf jeden Fall – und da sind auch viele Verkehrsminister sich einig – die kleinen LKW dazunehmen, also ab 3,5 Tonnen. Bis 12 muss man nicht bezahlen. Dann könnte man das ausweiten auf autobahnähnliche Bundesstraßen und schließlich auf alle Bundesstraßen. Da gibt es schon noch Spielräume. Man könnte auch die Busse mit einbeziehen, die Fernbusse jetzt. Das alles wird aber nicht reichen, denn wie gesagt, die LKW zahlen schon insgesamt vier Milliarden und die PKW belasten natürlich auch unsere Straßen. Wenn Sie sich überlegen, dass es gut 40, 45 Millionen Fahrzeuge in Deutschland gibt, dann ist es natürlich schon eine Möglichkeit, von denen auch was zu verlangen, und es ist ja inzwischen weit überwiegend in den europäischen Staaten üblich, dass man in irgendeiner Form eine Maut bezahlt, wenn man über eine Autobahn fährt.

    Müller: Was machen wir mit den Holländern?

    Herrmann: Die Holländer - gerade in Süddeutschland können Sie bei jeder Veranstaltung Beifall ernten, wenn irgendeiner ruft, die sollen endlich auch bezahlen, Vignette wie wir im Ausland.

    Müller: Dann ist das also Volkswille?

    Herrmann: Das ist Volkswille. Aber Volk ist nicht gut informiert, denn Volk weiß nicht – und deswegen sage ich das -, nur fünf Prozent aller gefahrenen Kilometer auf Autobahnen sind von Ausländern gefahrene Kilometer. Am Ende ist es der kleine Teil, der überwältigend große Teil sind deutsche Fahrzeuge, die auf deutschen Autobahnen fahren. Und es ist halt auch so, dass man in der Europäischen Union eben keine Extraeinnahme für Ausländer machen darf. Das geht nicht mehr, sondern da gibt es ein einheitliches Diskriminierungsverbot, und wenn man eine Vignette oder eine Maut einführt, dann muss die für alle gelten.

    Müller: Peter Ramsauer hat sich da also etwas vertan, weil er hat gestern ja angekündigt in einem Interview, dass man nur die Ausländer besteuern will beziehungsweise zur Kasse bitten will. Die Rechtslage kennt jeder, haben Sie gerade auch noch mal gesagt, die europäische Rechtslage, und er hat versucht, das mit einigen Tricks eventuell dann auf den Weg zu bringen. Ist aber ausgeschlossen?

    Herrmann: Ich halte das für eine ziemlich schiefe Geschichte. Das ist der typisch populistische Ansatz der CSU in Bayern. Sie haben es ja schon im Antext gesagt: Alle Jahre wieder. Die CSU kommt, wenn die Leute sich ärgern über den Transitverkehr, dann kommt die Maut für die Ausländer, und da ist ein bisschen nationales Gedankengut dabei und das wird damit bedient. Aber das hilft nicht wirklich weiter.

    Müller: Alle Jahre wieder, sagen Sie jetzt auch. Aber es ist ja immer noch richtig, weil Sie sagen, Sie unterstützen das grundsätzlich.

    Herrmann: Nein. Ich unterstütze die grundsätzliche Einsicht, dass wir mehr Mittel brauchen für Erhalt und Sanierung der Infrastruktur. Ich muss vielleicht auch mal berichten, dass die Verkehrsminister der Länder zusammen mit dem Bund eine erste Kommission gemacht haben. Die hat im Sommer letztes Jahr begonnen und dann vorgelegt unter anderem die Defizite erarbeitet und wir haben sozusagen ein Zahlenmaterial, was jetzt Konsens über die Parteigrenzen hinweg ist, über den Zustand, über den Bedarf.

    Es gibt eine zweite Kommission, die heißt Nachhaltige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Da sitze ich unter anderem auch mit dabei. Da sind wiederum verschiedene Länder vertreten, verschiedene Parteifarben und auch der Bund, und da beschäftigen wir uns jetzt mit Lösungen: Wie können wir das riesige Defizit mit welchen Mitteln einspielen? Und einmal grob gesagt: Selbst wenn es ginge, würde man mit der Maut für die Ausländer, sagen wir, eine Vignette von 50 Euro, das Problem nicht wirklich lösen können, denn das würde im Glücksfall ein paar Hundert Millionen einspielen. Wir brauchen aber ein paar Milliarden.

    Müller: Auch nicht schlecht. – Wenn wir auf die Schweiz blicken, wenn wir auf Österreich blicken – das tun viele Deutsche, die dort hinfahren in Urlaub, oder die Länder gar als Transitland benutzen. Sie müssen dann eine Vignette bezahlen, entweder eine Wochen-, Tages- oder Monats- oder Jahresvignette, je nachdem. In der Schweiz ist es gar eine Jahresvignette. Das wollen Sie in Deutschland, "Nur" für alle eine Vignette?

    Herrmann: Die Vignette ist ja sozusagen das Wunschziel der CSU und der CDU, nach dem Motto, einmal gekauft, klebst Du dran. Das ist sehr einfach und kein großer Aufwand.

    Müller: Ist ja auch so?

    Herrmann: Das ist auch so, aber hat allerdings einen entscheidenden Nachteil. Es ist nur eine billige Variante des Abkassierens, weil es keinerlei lenkende Wirkung hat. Und es ist auch nicht gerecht, weil derjenige, der 50.000 Kilometer auf der Autobahn fährt, zahlt gleich viel wie derjenige, der nur ein paar Mal durchfährt. Das ist das große Problem in der Verkehrspolitik, dass wir ja zu bestimmten Zeiten Staus haben und dass wir an bestimmten Orten Staus haben, und diese Lenkungswirkung von intelligenten Mautsystemen, wie wir sie aus der City-Maut und aus anderen Ländern kennen - übrigens, auch die Lkw-Maut ist bei uns konstruiert als intelligente Maut. Die ist ja abhängig von der Tonne und abhängig vom Schadstoffausstoß des LKW und man könnte es auch noch erweitern zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten. Nach solchen Kriterien eine gesteuerte und weiterentwickelte Maut, die hätte einen verkehrlichen und ökologischen Lenkungseffekt.

    Müller: Derjenige, Herr Herrmann, der viel fährt und viel fahren muss oder auch viel fahren will, der muss sich künftig ganz, ganz warm anziehen, weil er unglaublich viel bezahlen muss?

    Herrmann: Nein. Sie gehen einen Sprung zu weit. Die Verkehrsminister setzen sich in dieser Kommission zusammen und überlegen, welche dieser Maßnahme hat welchen Effekt, welchen Lenkungseffekt oder welchen Nebeneffekt, den man nicht haben will. Mein Vorschlag ist es, dass man auf die Lenkungswirkung der Einnahme achtet und nicht nur auf die Einnahme als solche. Beispielsweise die CDU- und CSU-Kollegen, die setzen eher auf die Vignette. Ich halte das für eine Flatrate sozusagen fürs Autofahren. Das ist nicht klug, aber wir müssen da irgendeinen Weg finden. Am Ende wird vielleicht eine Mischkonstruktion herauskommen. Denken Sie auch: es gibt ja auch die Mineralölsteuer, die ja einen gewissen Lenkungseffekt hat, es gibt die Kfz-Steuer, also es gibt schon verschiedene Einnahmesysteme.

    Müller: Das wird ja alles schon eingesetzt als Lenkungseffekt.

    Herrmann: Ja, aber der Lenkungseffekt ist natürlich größer. Wenn Sie die Kfz-Steuer zum Beispiel stärker an CO2-Ausstoß orientieren, als das heute der Fall ist, dann können Sie einen Lenkungseffekt erzielen hinsichtlich, dass Spritschlucker höher besteuert werden als Sprit sparende oder gar Elektrofahrzeuge. Da gibt es schon noch Spielräume, ebenso wie gesagt auch bei den LKW. Die Versprinterung des Transports durch moderne Konsumgewohnheiten, man bestellt übers Internet und über diese Sprintertransporte wird dann über Nacht angeliefert, erzeugt viel Verkehr, belastet die Infrastruktur. Die müssen aber gerade gar nichts zahlen, die dürfen sogar noch schneller fahren als LKW.

    Da gibt es schon verschiedene Ansätze und ich glaube, dass ein kluger Lösungsansatz ist, den man dann nach der Bundestagswahl sicherlich in die Debatte einbringen wird, egal wer regiert, dass wir ein gemischtes Konzept machen, dass wir auf Lenkungswirkung achten, dass wir aber auch in der Dimension richtig greifen, dass man nicht mit einer Maßnahme versucht, was zu erreichen, was nie kommen wird, weil das Geld so nicht ausreicht, und dass man auch auf die soziale Dimension achtet. Natürlich muss auch berücksichtigt werden: Nehmen Sie mal an, wenn Sie sieben Milliarden mit einer Vignette einspielen wollen, dann muss die Vignette mindestens 150 Euro kosten. Das ist natürlich schon ein ziemlicher Hammer für jemand, der einmal durch Deutschland durchfährt.

    Müller: Der Porsche-Cayenne-Fahrer könnte ja mehr bezahlen als der Polo-Fahrer. Das wäre doch auch was.

    Herrmann: Ja, auch das wäre eine Möglichkeit. Das wäre eine mögliche Steuerungswirkung auch einer Vignette, dass man das sozusagen schadstoff- oder verbrauchsabhängig macht. Aber es gibt auch ganz moderne Systeme, GPS-gesteuert, dass man einfach über den Ablauf des Fahrprofils eines Jahres dann bezahlt.

    Müller: Herr Herrmann!

    Herrmann: Darf ich noch eines sagen?

    Müller: Ganz kurz bitte, weil wir sind schon über der Zeit und ich bekomme schon Ärger aus der Regie.

    Herrmann: Okay.

    Müller: Ich würde sagen, wir brechen hier ab. Ich danke ganz herzlich. Das war jetzt lang und wir hören uns wieder zu diesem Thema.

    Herrmann: Okay!

    Müller: Der Grünen-Politiker Winfried Herrmann, Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Danke für das Gespräch.

    Herrmann: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.