
Die Raumwirkung ist fantastisch. Wenn man die VR-Brille aufsetzt, sieht man zunächst das Foyer und das Treppenhaus des NRW-Forums, eins zu eins, wie in der wirklichen Wirklichkeit, nur etwas verpixelt. Der erste Impuls ist, loszulaufen!
Alain Bieber warnt: "Nein! Stoppstoppstopp! Nicht weiterlaufen!"
Uaaah! - ach so: Die Naturgesetze gelten mit Brille nicht. Real aber schon. Es dauert einige Minuten, wenn man gerade sein Virtual-Reality-Debüt erlebt, bis sich das eigene Gehirn das alles zurecht rechnet; auch den Blick vom Rand der Treppe - ohne Geländer, 15 Etagen hinunter in die Tiefe: Er verursacht schwitzende Hände. Was sind wir Menschen doch für einfach gestrickte Reflexwesen!
Die Unterwasserwelt von Tabita Rezaire ist ein Szenario. Man wird umschwommen von putzigen Tropenfischen. Die guyanisch-dänische Künstlerin versteht sich selber als Heilerin und wirft die berechtigte Frage auf, warum Menschen in der realen Welt auch die letzten Refugien der Natur mit Bratwurstfingern begrapschen müssen – und andersherum: Warum sie auch digitale Räume immer gleich mit Negativem – Rassismus, Chauvinismus – verseuchen. Es geht also in der Ausstellung nicht darum, den Raum der unbegrenzten Möglichkeiten fantasievoll, bunt und wirkungsmächtig zu beleben, sondern darum, zu einer künstlerischen Aussage zu kommen. Kunst über Kunst. Die Metaebene ist angepeilt, erläutert Alain Bieber:
"Wir haben versucht, jetzt nicht so große Achterbahneffekte zu haben. Der Raum selbst ist schon stark genug. Wir haben uns lange darüber unterhalten, was das Thema der ersten Ausstellung sein soll und sind schnell beim Thema 'Selbst' gelandet, weil man sich quasi mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt, in einem virtuellen Raum."
"Schon abgefahren, wieder zurück zu sein, oder? Auf jeden Fall gibt es hier ganz neue Möglichkeiten. Was früher nur in der Literatur möglich war, kann man jetzt alles programmieren.", sagt Alain Bieber.
Einzig die Rechenleistung von Computern ist noch zu klein. Das unvorhersehbare Selbst der Besucher mit den Animationen zu verrechnen, das schaffen Alltagscomputer noch nicht und daher wirkt die Ausstellung - von der Bildauflösung her - noch eher simpel. Aber man erkennt intuitiv und glasklar das Potenzial: Wird so, unendlicher raffinierter, die Medien-Zukunft aussehen?