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Visionen für den Verkehr
Das Auto geht in die Luft

Seit über 100 Jahren träumen Menschen von fliegenden Autos. Weit über 1000 Pioniere haben sich daran abgearbeitet, manche schafften es bis kurz vor Serienreife - und scheiterten dann doch. Ein alltagstaugliches Flugauto fährt bis heute nicht auf unseren Straßen. Nun wagt sich die nächste Generation mit leistungsfähigeren Motoren und leichteren Materialien an die anspruchsvolle Aufgabe.

Von Lucian Haas | 26.10.2014
    Ein einsitziges Luftfahrzeug fliegt mit drei horizontalen Rotoren an einer nur schemenhaft erkennbaren Stadtkulisse entlang.
    Mögliches Aussehen eines persönliches Luftfahrzeug (künstlerische Darstellung). (MPI für biologische Kybernetik/Gareth Padfield; Flight Stability and Control)
    Der Militärflugplatz Gilze-Rijen bei Tilburg in Holland. Ein skurriles dreirädriges Gefährt, halb Motorrad, halb Auto, steht auf der Rollbahn. Auf seinem Dach fährt ein Tragegestell einen drehbaren Flügel in die Höhe. Der Fahrer startet den Motor. Am Heck entfaltet sich ein klappbarer Propeller, der im Flug für den Vortrieb sorgt. Noch im Stand nimmt der oben montierte große Rotorflügel langsam Fahrt auf. Derart vorbeschleunigt entwickelt das Gefährt schneller den benötigten Auftrieb. Und dann hebt der Tragschrauber ab, entschwebt zum Testflug in den Himmel. Auf den Seiten der dunklen Karosserie prangt groß ein Schriftzug: PAL-V. Das Kürzel steht für "Persönliches Luft- und Landfahrzeug".
    "Die Idee, ein Flugauto zu haben, ist schon 100 Jahre alt. Das ist nicht neu."
    Die Firma PAL-V Europe hat ihren Sitz im niederländischen Raamsdonksveer. John Bakker hat sie gegründet, weil ihn ein Sportpilotenschein nicht wirklich weitergebracht hat, erzählt Geschäftsführer Robert Dingemanse.
    Das Flugauto Pal-V auf einem Flugfeld bei Tilburg.
    Das Flugauto Pal-V auf einem Flugfeld bei Tilburg. (Pal-V Europe NV)
    "Das Fliegen ist keine richtige Lösung. Man steigt auf, wo man nicht aufsteigen möchte, und man landet, wo man nicht sein möchte. Und deswegen hat er gesagt, wie kann ich mein Flugzeug mal so machen, dass ich das mitnehmen kann nach Hause oder zu meiner Bestimmung."
    Es ist die Idee hinter allen Flugautoprojekten dieser Welt: Der Wunsch, die Freiheit des Fliegens mit der des Fahrens in einem Gerät zu kombinieren, um damit überall hin zu kommen. Weit über 1000 Mal haben Tüftler auf der ganzen Welt das schon probiert. Aber ein marktreifes fliegendes Auto ist bis heute nicht dabei herausgekommen.
    Dingemanse: "Alles, was wir kennen, das ist etwas, das ein bisschen fliegen kann und gut fahren, oder es kann gut fliegen, aber gar nicht fahren."
    Jedes Flugauto ist ein mühsamer Kompromiss. Moderne Autos müssen strenge Sicherheits- und Umweltvorschriften einhalten. Ihre Ausstattung schlägt aufs Gewicht. Ein solches Gerät ist schwer in die Luft zu bekommen. Klassische Flugzeuge wiederum kennen keine Airbags, Abgas-Normen und schwere Sicherheitsglas-Frontscheiben. Das macht es rechtlich schwierig, ein Flugzeug für die Straße zuzulassen. Es sei denn, man findet eine Regulierungslücke – zum Beispiel, indem man ein dreirädriges Auto baut.
    "Dreiräder, das ist ein Motorrad. Und da gibt es eine ganz andere Homologation für das Nützen auf dem Weg als bei einem Vierräder."
    Die Auflagen für die Straßentauglichkeit von Dreirädern sind leichter zu erfüllen. Robert Dingemanse sieht darin die Chance für den PAL-V. Die größte Schwierigkeit bei einem Dreirad ist es, die Stabilität des Fahrzeugs zu gewährleisten. Der Rotorflügel wird eingeklappt auf dem Dach verstaut. Das ergibt einen gefährlich hohen Schwerpunkt. Die Lösung: eine aktive Neigetechnik. Beim PAL-V sitzen zwei Personen hintereinander. Auf der Straße kann sich das Fahrzeug in die Kurven legen wie ein Motorrad. 2012 zeigte der erste Prototyp, dass sicheres Fahren und Fliegen auf diese Weise möglich ist. Derzeit wird die Technik für die Serienversion optimiert. 2016 soll das PAL-V auf den Markt kommen, zu Preisen ab 300.000 Euro.
    Dingemanse: "Wir fangen an mit einem Mobilitäts-PAL-V. Die bauen wir für was wir nennen: die Mobilitäts-Obligation. Leute die von A nach B effizienter, schneller gehen möchten. Und das sind entweder Businessleute, oder Leute, die das geschäftlich machen oder individuell. Es gibt natürlich auch Interesse von Polizei und Hilfsorganisationen oder militärisch."
    Probeflug im Simulator
    Fünf bis zehn Kaufanfragen bekomme er jetzt schon jeden Tag, sagt Robert Dingemanse. Dabei können die Interessenten das Testgerät noch nicht einmal probefliegen. Aber PAL-V unterhält einen Flugsimulator. Robert Dingemanse führt durch ein Großraumbüro. Rund 20 Techniker sitzen dort vor Bildschirmen. Sie arbeiten an digitalen Zeichnungen von Bauteilen des PAL-V. In einem Hinterzimmer ein Pilotensitz mit Steuerknüppel. Davor drei große 3D-Monitore. Sie gaukeln dem Betrachter den Blick aus dem Cockpit vor.
    "Heute sitze ich im Simulator. Und da hat man einen Stick zum Fliegen, und dann gibt es natürlich Throttle, wie man das auf Englisch nennt. Und dann gebe ich mal Gas."
    Auf den Monitoren die Startbahn des Flughafens Innsbruck. Robert Dingemanse beschleunigt das PAL-V. Nach rund 100 Metern Rollstrecke zieht er den Steuerknüppel nach hinten. Der Stick schlägt ständig leicht hin und her. Das kommt von der Drehbewegung des Flügels, mit dem er gekoppelt ist. Auch das ist im Simulator lebensecht nachempfunden.
    "Da geht er hoch, da sind wir in der Luft. Mit 80 Kilometer pro Stunde geht man hoch. Das ist sehr leicht, wie Sie gesehen haben."
    Wer einen PAL-V fahren und fliegen möchte, benötigt neben dem Führerschein eine Privatpilotenlizenz für Gyrokopter.
    "Jeder kann es lernen, aber man soll es lernen natürlich. Man soll eine Lizenz haben. In 30 bis 40 Stunden Fliegen kann man das bekommen."
    Nach einem kurzen Rundflug setzt Robert Dingemanse zur Landung an. Dabei schaltet er den Motor aus. Er will zeigen, wie sicher ein Tragschrauber auch ohne Antrieb noch zu fliegen ist.
    "Jetzt haben wir die Landebahn vor uns. Da sind wir gelandet. Das war eine Notlandung. Leicht, ne?"
    1901: Gustav Weißkopf baut das erste Flugauto.
    Der deutsche Flugpionier kommt als Einwanderer in die USA. Dort konstruiert er Gleitflügel im Stile Otto Lilienthals. Sein Fluggerät Nummer 21 alias Condor besteht aus einem motorisierten Fahrwerk mit ausfaltbaren Flügeln aus gebogenen Stangen und Stoff. Am frühen Morgen des 14. August 1901 zieht Weißkopf die Condor aus einem Schuppen und tuckert mithilfe eines 10 PS-Motors über Feldwege zu einer freien Startwiese. Dort wirft er einen zweiten Motor an, der zwei kleine Propeller antreibt. Nach kurzer Strecke hebt er ab und fliegt in geringer Höhe angeblich rund 800 Meter weit.
    "Das Streben nach einem Flugauto hat mit der Essenz der Luftfahrt zu tun. Die Flugzeugerfinder wollten gar nicht nur ein Flugzeug entwickeln. Sie sind gescheitert an der Aufgabe, ein Allzweckfahrzeug zu erfinden."
    John Brown, Gründer der Carplane GmbH in Braunschweig.
    "Es war einfach zu schwer zur damaligen Zeit, im buchstäblichen Sinne. Es wog zuviel, es konnte nicht abheben. Und daher hat man verzichtet auf den Straßenantriebsteil und hat ein Flugzeug daraus gemacht."
    Seit seiner Jugend in Australien träumt John Brown von fliegenden Autos. Er wurde Linienpilot, später Unternehmensberater. Jetzt will er den Traum Wirklichkeit werden lassen.
    "Weil die Zeit dafür reif ist, meiner Meinung nach sogar länger dafür reif ist, dass es den Individualverkehr in der Luft geben muss."
    "Zeit ist reif für Individualverkehr in der Luft"
    Technische Fortschritte machen den Bau von Flugautos wieder attraktiv. Zum Beispiel sind moderne Motoren kleiner und leichter, aber stärker. Aus Kohlefasern lassen sich stabile und dabei leichte Karosserien herstellen. Eine Pilotenlizenz für sogenannte leichte und ultraleichte Sportfluggeräte bekommt man heute schon mit nur 20 Flugstunden Training.
    "In Deutschland haben wir durchschnittlich alle 46 Kilometer, von jedem Standort im ganzen Land entfernt, einen kleinen Flugplatz. Diese Flugplätze werden Samstagnachmittag von einem Segelfliegerverein verwendet und sonst von gar niemand und sind die ganze Woche leer. Das ist die letzte freie Verkehrsressource in diesem Land. Und auch zum Beispiel in Amerika, wo es 13.000 davon gibt. Man kann also durchstarten mit diesem neuen Verkehrsmittel."
    Künstlerische Darstellung des Carplane, eines zweisitzigen Flugautos.
    Künstlerische Darstellung des Carplane. Der erste Prototyp soll 2015 fertig sein. (Carplane Gmbh)
    Jahrelang hat John Brown alle möglichen Flugautokonzepte studiert. Er wollte wissen, woran sie vorrangig gescheitert sind. Probleme mit gesetzlichen Zulassungsbestimmungen und dem Gewicht sind das eine. Das andere ist ein aerodynamisches Dilemma.
    "Man muss es tatsächlich schaffen, ein Flugzeug, das bei der geringsten Geschwindigkeit vom Boden abhebt, dass man diesen Auftrieb umkehrt in Abtrieb, damit ein Fahrzeug, was mit 200 Kilometer pro Stunde über die Autobahn brettert, dass das nicht abhebt und eine Rückwärtsrolle schlägt. Das ist nicht sehr einfach."
    John Brown glaubt, dafür eine Lösung gefunden zu haben. Der Carplane wird einen doppelten Rumpf besitzen. Das sieht so aus, als wären zwei Segelflugzeuge nebeneinander montiert. Im Straßenmodus werden die Flügel mit einem Schwenkmechanismus zwischen den einsitzigen Kabinen verstaut. Dabei bilden sie eine Art Keil, der wie ein aerodynamischer Spoiler den Wagen auf die Straße drückt.
    "Wir werden beweisen, dass wir damit gut und sicher mit schneller Geschwindigkeit auf der Straße fahren können. Das konnte bisher noch kein Flugauto."
    Wenn das klappt, hofft John Brown auf längere Sicht sogar von der Autoindustrie als Konkurrent ernst genommen zu werden. Der erste Prototyp ist im Bau und soll 2015 fertig werden.
    "Man wird am Anfang uns belächeln. Man wird sagen: Naja Flugauto, Spinnerei. Und dann wird man merken, es gibt bestimmte Märkte, wo die Straßen ohnehin verstopft sind, wo es eigentlich nichts bringt, wenn man einen neuen Diesel entwickelt, der einen halben Liter weniger auf 100 Kilometer verbraucht, wenn man keine 100 Kilometer weit kommt, sondern einen Kilometer, nach einer Stunde."
    John Brown nennt China, Brasilien, Indien, Russland. Dort kommt der Straßenverkehr vielerorts kaum noch voran. In solchen Regionen sieht er langfristig den Zielmarkt für den Carplane, selbst bei einem angepeilten Preis um die 200.000 Euro.
    "Wir wollen mit diesem Verkehrsmittel einer kleinen Oberschicht – nur ein halber Prozent, vielleicht ein Prozent der Bevölkerung – die Möglichkeit verschaffen, dass sie viel schneller, als sie es jetzt schaffen würden, an ihr Ziel kommen."
    In Deutschland sieht er vor allem einen Markt für gewerbliche Kunden. Vielflieger wie Berater und Manager. Und noch einen potentiellen Käufer hat er im Blick:
    "Der andere ist derjenige, dessen schwarzer Passat auf dem Parkplatz beim Novotel am Stadtrand zu beobachten ist. Das sind die Vertreter, die heute in Dortmund, morgen in Celle und übermorgen in Leipzig sind. Auch der würde einen Carplane zur Ausübung seines Berufes wirklich sehr gut einsetzen können."
    1968. Der Aerocar geht fast in Serienproduktion.
    20 Jahre lang entwickelt der US-Amerikaner Moulton Taylor zweisitzige Kleinwagen mit Flügelanbauten. Der Aerocar III schafft die Zulassung der amerikanischen Luftfahrtbehörde. Die Serienproduktion soll starten, sobald 500 Vorbestellungen samt Anzahlung vorliegen. Doch Taylor findet in der gegebenen Zeit gerade einmal 280 zahlungswillige Kunden. Der Deal mit dem Auftragshersteller platzt. Wenig später führen die USA erstmals Sicherheitsvorschriften für Automobile ein. Die kann Aerocar nicht einhalten. Es bedeutet das Ende des bis dato aussichtsreichsten Flugautoprojektes der Geschichte.
    Fahrbarer Gleitschirm
    So klingt es in einem Youtube-Video der Firma Freshbreeze aus dem Frühjahr 2013. Zu sehen ist ein doppelsitziges Trike. Der geschwungene Überrollrahmen mit Heckrotor hängt an einem Gleitschirm. Freshbreeze aus Wedemark bei Hannover ist Spezialist für motorisierte Gleitschirme. Nun entwickelt das Unternehmen ein Flugauto. Michael Werner ist Firmenchef, Entwicklungsleiter und Testpilot in einer Person.
    "Wir nehmen den Gleitschirm erst einmal, weil er den unglaublichen Vorteil hat, dass man ihn nach der Landung oder zum Transport in ein Minimalmaß drücken kann. Das geht super schnell."
    Das Fahrkonzept des Flugautos von Freshbreeze ähnelt dem des PAL-V. Es ist ein Dreirad mit einem Vorderrad und zwei angetriebenen Hinterrädern. Allerdings ist es an den Seiten offen wie ein Strandbuggy. Damit zielt es auf eine andere Klientel.
    "Der Kunde ist der, der erst einmal generell den Traum vom Fliegen verwirklichen möchte. Wenn man jeden Tag nach Barcelona muss, dann würde ich nicht von Hannover aus mit so einem Flugauto mit einem Schirm oben drüber starten. Aber wenn der Weg das Ziel ist, und das ist ja heutzutage oft so, dann ist es eigentlich ein sehr lustiger Partner in der Freizeit."
    Die sportliche und nicht die gewerbliche Fliegerei steht hier im Vordergrund. Das zeigt auch die Luftfahrtklasse, in der das Flugauto zugelassen werden soll.
    "Wir möchten in die Kategorie Ultraleicht. Das heißt wir haben 472,5 Kilogramm als Maximumgewicht, man sagt MTOW, Maximum Take Off Weight. Und da müssen aber schon zwei Leute mit drinsitzen. Bleibt also ein Leergewicht von rund 270 kg für das Produkt. Und als Dreirad, doppelsitzig, mit Propeller, Hinterradwechselgetriebe mit 100 und plus PS ist das schon eine ganz schöne Herausforderung."
    Besonders stolz ist Michael Werner auf den Motor. Bisher nutzten fast alle Flugautoprojekte leistungsstarke Motoren, die aus der Luftfahrt kommen. Damit ist es aber schwer, die strengen Automobil-Abgasnormen einzuhalten. Freshbreeze fand einen kleinen Zweizylinder Turbomotor mit 150 PS. Normalerweise wird er in Snowmobilen oder Jetskis verwendet.
    "Diese Motoren nehmen wir, ändern sie ab, haben ein eigenes Getriebe drankonstruiert, wo wir zwischen Hinterrad und Propellerantrieb umschalten können, haben Katalysator, Einspritzanlage, komplettes Motorsetting wie ein Auto, und können damit die Abgasvorschriften erfüllen."
    12.000 Kilometer auf Straßen und Autobahnen, 20 Stunden in der Luft – dieses Testpensum hat Michael Werner mit dem Prototyp des Flugautos schon absolviert. Für die Serienproduktion muss jetzt nur noch der Grundaufbau verfeinert werden.
    "Wir sind so, sage ich mal, bei 75 Prozent. Von der Faktenseite her: Es funktioniert, es fliegt, es fährt. Wir müssen jetzt halt bei jedem Produktteil von dem Auto 15 Prozent Gewicht einsparen. Und dann müssen wir es hübsch machen. Denn im Moment ist es grottenhässlich, weil es eben nicht verkleidet ist. Dann kommt eine Verkleidung drauf, und dann sind wir fertig."
    Im Stau fehlt die Startbahn
    "Wir könnten heute noch 300 Flugautos wegschicken. Es gibt weltweit sehr sehr viel Nachfrage. Ich sehe überhaupt kein Absatzproblem. Wenn wir da mal mit einem ganz einfachen Szenario anfangen, auf Ihrem Weg zur Arbeit, dann stecken Sie im Stau, es bewegt sich nichts mehr, die nächste Ausfahrt ist auch noch Kilometer entfernt. Und dann möchten sie doch am liebsten in die Luft gehen."
    Heinrich Bülthoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen.
    "Und ich denke immer wieder, warum eigentlich nicht, warum kann ich nicht in die Luft gehen und die dritte Dimension benutzen und über den Stau hinwegfliegen?"
    Doch Experte Bülthoff kennt die Antwort selbst am besten: Die Flugautos, die derzeit entwickelt werden, hätten in einem Stau auch keine Chance. Sie brauchen Platz auf Startbahnen, um abheben zu können. Wer Verkehrsprobleme lösen will, muss nach anderen Konzepten suchen.
    Ein einsitziges Luftfahrzeug fliegt mit drei horizontalen Rotoren an einer nur schemenhaft erkennbaren Stadtkulisse entlang.
    Mögliches Aussehen eines persönliches Luftfahrzeug (künstlerische Darstellung). (MPI für biologische Kybernetik/Gareth Padfield; Flight Stability and Control)
    "Für solche Fragen, gerade auch: wie fliege ich zur Arbeit, brauchen wir etwas, wo wir tatsächlich vertikal abheben können. Und dann haben wir es eher mit einem hubschrauberähnlichen Gerät zu tun."
    MyCopter heißt ein von Heinrich Bülthoff initiiertes, internationales Forschungsprojekt. Es wird von der EU gefördert. Forschungspartner sitzen in Zürich, Lausanne, Liverpool, Karlsruhe und Braunschweig. Es geht um die Frage, wie man tatsächlich den Pendlerverkehr massentauglich in die Luft bringen könnte. Das verlangt nach neuartigen Fluggeräten. Allerdings halten die Experten es für unrealistisch, in Zukunft jedermann zum Hubschrauberpiloten auszubilden.
    "Ein Hubschrauber ist extrem schwer zu fliegen. Es ist wahrscheinlich das schwierigste Fluggerät. Ich kann das sagen, weil ich selber Hubschrauber fliege. Das hat mich lange Zeit gekostet, um so ein Gerät beherrschen zu können. Das kann man nicht von jedem Autofahrer verlangen."
    Helikopterfliegen leicht wie Autofahren
    Für einen Alltags-Pendelverkehr durch die Luft müsste das Fliegen so einfach werden wie Autofahren. Möglich wäre das, wenn das Fluggerät den Großteil seiner Steuerung selbsttätig erledigen würde. Vollautomatisch. Der Pilot müsste nur noch die Richtung vorgeben. Ende November wollen die MyCopter-Forscher auf dem Flughafen in Braunschweig zeigen, dass das möglich ist.
    "Die DLR hat dort einen Forschungshelikopter. Und in diesem Projekt wurde dieser Forschungshelikopter soweit modifiziert, dass wir das demonstrieren wollen, dass man mit einem Lenkrad auch einen Helikopter fliegen kann."
    Im MyCopter-Projekt werden auch andere Fragen behandelt. Wenn tatsächlich eines Tages ein Teil des Pendlerverkehrs in die Luft ginge, wie kann man dort für Ordnung sorgen?
    Bülthoff: "Wir werden auch neue Verkehrsleitsysteme in der Luft brauchen. Also wir haben die Straßennavigationssysteme für die zwei Dimensionen auf der Erde, wie machen wir das in drei Dimensionen? Da haben wir tatsächlich auch Displays entwickelt, die uns die Luftstraßen zeigen, auf denen wir uns bewegen sollen. Wenn Sie die Luftstraße verlassen, dann sehen Sie es einmal, aber Sie spüren es auch. Ein bisschen so wie die Autos, die eine Spurhalteautomatik haben und es Ihnen auch anzeigen, wenn Sie die Spur verlassen; oder wenn Sie nicht die Spur verlassen sollen, dann rüttelt es ein bisschen."
    MyCopter ist Grundlagenforschung. Es geht nicht darum, am Ende praxisreife, senkrechtstartfähige Fluggeräte für den Individualverkehr zu präsentieren. Ziel ist, erst einmal die technischen Möglichkeiten auszuloten. Danach müssten andere kommen.
    Blick in einen Flugsimulator des MPI für biologische Kybernetik.
    Blick in einen Flugsimulator des MPI für biologische Kybernetik. (Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik)
    "Wenn man das wirklich in die Masse bringen will, dann braucht man nicht einen Volkswagen, dann braucht man einen Volksflieger. Und ich denke, dann ist wirklich die Großindustrie gefragt. Aber da gibt es kaum Bewegung in diese Richtung, was ich außerordentlich bedauerlich finde. Denn eins bin ich ziemlich sicher. In den nächsten 20 Jahren weiter Autos zu bauen, die wir seit 100 Jahren bauen, ist sicherlich der falsche Weg. Also, es muss etwas Neues kommen."
    2014. Terrafugia kündigt ein Flugauto als Senkrechtstarter an.
    TF-X nennt der US-Amerikaner Carl Dietrich seine Vision. Der Viersitzer soll schwenkbare Rotoren an den Flügelenden besitzen und damit aus dem Stand abheben können. Noch existiert das elektrisch angetriebene Gefährt nur als animiertes Modell im Computer. Viele Experten halten das Konzept für Science Fiction und kaum realisierbar. Sie vermuten einen Marketing-Coup, um die Aufmerksamkeit auf ein anderes Terrafugia-Modell zu lenken – den Transition. Dieses Sportflugzeug mit Straßenzulassung soll 2016 in Serie gehen.
    Elektrischer Senkrechtstarter
    Alexander Zosel öffnet das große Tor eines Hangars am Flugplatz Bruchsal. Draußen fliegen Schwalben umher. Die Halle gehört der DG Flugzeugbau GmbH, einem Hersteller von Segelflugzeugen. Jetzt ist sie untervermietet. Im hinteren Teil lagern noch einige Segelflugrümpfe und -tragflächen. Davor an einer Seitenwand eine Werkbank. Elektronische Messgeräte und ein paar Kabel liegen herum. Die junge Karlsruher Firma e-Volo will hier bald ein neuartiges, senkrecht startendes und elektrisch angetriebenes Fluggerät in Serie bauen.
    "Also man sieht, wir haben ein riesengroßes Tor, mit dem wir unsere Volocopter direkt aufs Flugfeld bringen können, um unsere Testflüge zu machen."
    Derzeit ist der Prototyp von e-Volo auseinandergebaut. Einzelteile liegen herum. Am auffälligsten eine zweisitzige Kabine mit Landekufen.
    "Hier sehen Sie jetzt den zerlegten Volocopter. Hier steht jetzt die Kanzel, daneben die Arme auf einem speziellen Gestell."
    Die Arme – das sind Ausleger aus sehr leichten Kohlefaserrohren. Komplett montiert, bilden sie einen knapp acht Meter breiten Kranz oberhalb der Kanzel. Der Kranz trägt 18 Elektromotoren, die jeweils einen Rotor mit 1,80 Meter Durchmesser antreiben. Der Volocopter ist ein sogenannter Multikopter. Er kann wie ein Hubschrauber senkrecht starten und auf der Stelle schweben. Die Steuerung ist allerdings viel simpler. Bei einem Helikopter wird die zentrale Luftschraube mit einer aufwendigen Mechanik gekippt und verdreht. Den Multikopter kontrollieren die vielen Rotoren rein elektronisch.
    "Je nach unterschiedlicher Drehzahl werden die Flugbewegungen erzeugt. Das heißt wir haben keinerlei mechanische Verstellung, sondern es werden einfach die linken Motoren schneller gedreht als auf der rechten Seite, und dann fliegt der einfach nach rechts."
    Eine solche elektronische Steuerung funktioniert nur mit Elektromotoren schnell und fein genug. Und wer elektrisch fliegen will, braucht kräftige Akkus. Es gibt kleine Multikopter im Modellbaubereich. Den Bau großer, bemannter Geräte mit reinem Elektroantrieb hatte bisher niemand gewagt. Zosels Geschäftspartner Stefan Wolf machte vor drei Jahren den Vorschlag, es einfach zu probieren. Der erfolgreiche Erstflug eines rudimentären, bemannten Volocopters fand im Oktober 2011 statt. Dafür gab es weltweit Anerkennung. Als Start-up gewann e-Volo staatliche Fördergelder und per Crowdfunding etliche private Unterstützer. Der Glaube an eine geschäftsträchtige Zukunft dieser neuen Form der Fliegerei ist groß. Mit einem Volocopter ließen sich Verkehrskonzepte wie im europäischen MyCopter-Projekt angedacht realisieren.
    "Für den Piloten wird es sehr einfach sein, das Gerät zu fliegen, weil das Gerät eigentlich selbst fliegt. Das heißt, den Flugzustand erzeugt die Sensorik. Das heißt der Pilot gibt nur vor: Ich will vorwärts fliegen, nach rechts, links, rauf, runter, und die Elektronik stellt das her."
    Im Grunde wäre sogar ein vollkommen autonomes Fliegen möglich. Der Volocopter würde zu einer großen Drohne. Damit wären Lufttaxifahrten auf festgelegten Kursen realisierbar. Bisher fehlen überall die nötigen gesetzlichen Regelungen. Doch die Luftfahrtbehörden arbeiten bereits daran, Drohnen einen geregelten Platz im Luftraum einzuräumen. In einigen Jahren soll es so weit sein. Bis dahin hofft Alexander Zosel auch Lösungen für das aktuell größte Manko des Volocopters zu finden. Derzeit schafft das Gerät mit einer Akkuladung gerade einmal eine Flugzeit von 20 Minuten.
    Der e-Volo-Multikopter flog zum ersten Mal in einer Halle. Er ist ein einsitziges Luftfahrzeug mit zahlreichen Rotoren.
    Der erste Flug des e-volo-Multikopters fand in einer Halle statt. (e-volo GmbH)
    "Wir wissen, das ist natürlich keine Flugzeit, die wirklich stark vermarktbar wäre. Das heißt, wir wissen, wir entwickeln eine Technologie, die vielleicht in zehn bis 20 Jahren mit reinen Akkus eine Flugzeit von ein, zwei Stunden haben wird. Die Akkuentwicklung geht eindeutig dahin. Das heißt, wenn wir in den nächsten drei Jahren, vier Jahren auf den Markt gehen wollen, werden wir eventuell auch eine Hybridlösung anbieten."
    Hybridlösung hieße, dass ein kleiner Dieselmotor mit Stromgenerator die Akkus im Flug nachlädt. Dann könnte der Volocopter wenigstens eine Stunde am Stück in der Luft bleiben. Pendlerstrecken von 50 Kilometer und mehr ließen sich so problemlos und sicher zurücklegen. In einem der üblichen Vorgärten könnte man zwar nicht landen, aber vielleicht auf den Hochhausdächern der großen Metropolen.
    "Da ist immer das schöne Beispiel Sao Paulo. Sao Paulo ist der größte Markt für kommerzielle Hubschrauber, weil da es so ist, dass da das Verkehrssystem kollabiert hat. Es sind nicht nur die Topmanager, sondern auch schon mittlerweile aus den mittleren Etagen des Managements werden die Leute wirklich von Businesstermin zu Businesstermin geflogen. Das sind Tausende von Flugbewegungen am Tag mit Hubschraubern. Unser Gerät ist deutlich leiser wie ein normaler Hubschrauber und hat auch keine Emissionen. Das heißt, wenn wir zum Beispiel ein intelligentes Akkuwechselsystem haben, könnte man eigentlich schon in fünf Jahren einen Shuttleservice in Sao Paulo von Businesslocation zu Businesslocation entwickeln."
    Derzeit arbeitet e-Volo noch an der luftrechtlichen Zulassung des Volocopters. Dafür muss die Zuverlässigkeit aller verwendeten Komponenten nachgewiesen werden. Erst dann kann ein umfangreiches Testflugprogramm im freien Luftraum starten. Bisher ist der aktuelle Prototyp des Volocopters nur einmal testweise in einer großen Halle auf dem Messegelände Karlsruhe abgehoben und auch wieder sicher gelandet. Unbemannt.
    "Das war jetzt der erste Flug von dem Fluggerät und es fliegt schon so stabil. Also mit dem Helikopter hätten wir das nie geschafft. Also unglaublich. Keiner hat es uns geglaubt, und heute: Erster Flug hey, woooow!"
    2030. Google präsentiert das Flying Taxi.
    Rund 15 Jahre nachdem die ersten autonom fahrenden Autos von Google auf die Straßen kamen, erobert der Konzern nach dem gleichen Prinzip auch den Luftraum der Städte. Kleine führerlose Elektro-Multikopter fliegen von Park & Fly Sammelplätzen an der Peripherie der Städte über verstopfte Straßenschluchten hinweg zu verteilten Landeplätzen im Zentrum der Metropolen. Ein Lufttaxiruf per elektronischem Alltagskoordinator am Handgelenk genügt.