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Völkermord
Deutschland verhandelt über Entschädigung der Herero

Vor über 100 Jahren fielen mehr als 65.000 Herero dem Massaker der Truppen des Deutschen Kaiserreichs im damaligen Deutsch-Südwestafrika zum Opfer. Eine offizielle Entschuldigung oder Entschädigungszahlungen an die Herero lehnt man von deutscher Seite bisher ab. Stattdessen verweist man auf die großzügige Entwicklungshilfe. Nun soll über mögliche Entschädigungen neu verhandelt werden.

Von Christiane Habermalz und Jan-Philipp Schlüter | 16.02.2016
    "Deutschland muss bezahlen": Forderung auf einem Auto in Windhuk, Namibia.
    Herero fordern Entschädigungen für den Völkermord. (BRIGITTE WEIDLICH / AFP)
    Das kleine Handelsstädtchen Okahandja, etwa 60 Kilometer nördlich der namibischen Hauptstadt Windhoek. Ein eher unscheinbarer Ort, zugleich aber das wichtigste traditionelle Zentrum der Herero. In einer Seitenstraße, gegenüber der hell gestrichenen Rheinischen Missionskirche, liegen ein halbes Dutzend Gräber, umzäunt durch Maschendraht. Bob Kandetu zieht respektvoll seine khakifarbene Mütze vom Kopf und deutet auf die marmornen Grabsteine. Es sind die letzten Ruhestätten der obersten Herero-Führer, der Paramount-Chiefs.
    Bob Kandetu ist Herero – seine Ur-Großväter haben vor über 100 Jahren gegen die deutschen Soldaten in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, die sogenannte "kaiserliche Schutztruppe", gekämpft. Ein Krieg, der Bobs Familie auseinandergerissen hat.
    "Mein Urgroßvater und seine Kameraden haben ein großes Camp gebaut, gut getarnt mit Ästen und Sträuchern. Darin waren ihre Frauen und Kinder versteckt. Und ihr Vieh. Aber die Deutschen haben das Lager entdeckt, es gestürmt, alles platt gemacht und das Vieh geraubt. Mein Ur-Großvater hat tagsüber im Krieg gekämpft und abends nach seiner Familie gesucht. Ohne Erfolg. Meine Ur-Oma ist mit ihrem Sohn auf dem Rücken in Botswana gelandet. Der Junge wuchs dort auf, wurde zum Mann und hat später meine Mutter gezeugt."

    Bob Kandetu
    Bob Kandetu (Ulrike Winkelmann)
    Bob Kandetu kann stundenlang von der Geschichte der Herero berichten. Er ist ein warmherziger, humorvoller Erzähler. Aber wenn er über das Leid seiner Vorfahren spricht, verhärtet sich sein Gesicht.
    "Wir sind wütend auf die deutsche Regierung. Wir haben das Gefühl, dass die Deutschen hier etwas sehr Schlimmes getan haben. Unsere Großeltern haben uns die Geschichten von damals erzählt. Diese halten die Wut in unserem Bauch lebendig."
    Bis heute warten die Herero auf Entschädigungszahlungen
    Der Herero-Aufstand gegen die deutschen Besatzer und die brutalen Gräueltaten der kaiserlichen Truppen mögen schon über 100 Jahre her sein – bei den Herero sind sie noch sehr präsent. Bis heute warten sie auf eine offizielle Entschuldigung der deutschen Regierung – und auf Entschädigungszahlungen.
    Doch vor wenigen Wochen ist Bewegung in die Sache gekommen. Deutschland hat einen "Sonderbeauftragten" ernannt, der mit der namibischen Regierung sprechen soll: Den CDU-Politiker Ruprecht Polenz, langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, jetzt im Ruhestand. Verhandlungspartner auf namibischer Seite ist Dr. Zed Ngavirue – ein 82jähriger ehemaliger Diplomat und Herero. Bei Polenz' Antrittsbesuch in Namibia im Dezember fuhren die beiden sieben Stunden lang im Auto durch das Land, um historisch relevante Orte zu besichtigen. Ngavirue sagt, man habe sich sehr gut verstanden.
    "Die Sonne stand schon ziemlich tief, und die ganze Atmosphäre war mit Staub und dem Rauch des Geschütz- und Gewehrfeuers erfüllt. Durch den fahlen Dämmer zuckten und blitzten die Schrapnells und Granaten, die in rasendem Schnellfeuer über Visier und Korn auf 100 Meter in die anstürmenden Schwarzen hinein gesandt wurden."
    So beschreibt einer der Hauptmänner der kaiserlichen Truppen die Schlacht am Waterberg am 11. August 1904.
    Seit Beginn des Jahres haben sich die Herero im Norden und die Nama im Süden gegen die Unterdrückung durch die deutschen Kolonialisten gewehrt. Sie haben Bahnlinien blockiert, Militärstationen belagert und Handelsniederlassungen überfallen. Der Oberkommandierende der kaiserlichen Truppen, Lothar von Trotha, bekommt den Auftrag, den Herero-Aufstand niederzuschlagen.
    Die deutschen Truppen umzingeln die Herero auf dem Plateau des Waterberg. Die Herero müssen in die Omaheke-Wüste fliehen. Lothar von Trotha lässt diese abriegeln, damit die Herero nicht zurückkommen können. Tausende von ihnen verhungern oder verdursten qualvoll in der Wüste.
    Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts
    Der Kampf gegen die Aufständischen ist ein Vernichtungskrieg. Im Oktober 1904 lässt von Trotha verlauten:
    "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers."
    Die Mehrheit der Historiker ist sich einig: Dies ist der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Insgesamt sterben dabei mindestens 65.000 Herero – also 80 Prozent des gesamten Volkes, sowie die Hälfte der Nama. Die Überlebenden werden in Konzentrationslager gesteckt, ihr Land und ihr Vieh 1906 konfisziert.
    Elf Jahre nach der Schlacht am Waterberg endet die deutsche Kolonialherrschaft. Die kaiserlichen Schutztruppen kapitulieren 1915 vor den Truppen des britischen Empire. Deutsch-Südwestafrika ist Geschichte. Heute leben wieder rund 120.000 Menschen vom Volk der Herero in Namibia – die meisten von ihnen in großer Armut. Ihr Land haben sie nie zurückerhalten.
    112 Jahre später steht Israel Kaunatjike, Nachfahre von Herero-Überlebenden, in Berlin auf dem Neuen Garnisonsfriedhof am Columbiadamm im Stadtteil Neukölln, vor dem sogenannten Afrika-Stein, früher Herero-Stein genannt.
    "Da ist das Wappen, ja. Afrika-Korps. Und dann stehen auch die Namen von den gefallenen Schutztruppen. Von 41 Angehörigen des Regiments in Südwest-Afrika. Damals Südwest-Afrika."
    Bis vor kurzem war der schwere Findling aus rotem Granit mit eingeritztem Kaiserwappen und dem Süd-Wester-Hut mit Kokarde das einzige Denkmal, das an den deutschen Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia erinnert – aus der Täterperspektive. 1907 wurde er errichtet. Bis heute kommen am Volkstrauertag Veteranenverbände des Deutschen Afrika-Korps, um Kränze niederzulegen. Kaunatjike ist ihnen noch nie begegnet, sagt er – zum Glück.
    "Sogenannte Helden! Für uns waren die keine Helden, für uns waren die einfach Verbrecher in Namibia. Und leider steht dieser Gedenkstein auch neben unserem Gedenkstein, der ganz unten liegt. Die passen überhaupt nicht zusammen."
    Inzwischen liegt hier zumindest eine kleine schwarze Steinplatte, die an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia, "insbesondere des Kolonialkrieges von 1904-1907" erinnert. 2004 wurde sie vom Bezirksamt Neukölln verlegt. Vier Jahre dauerten die Auseinandersetzungen, denn das Auswärtige Amt ließ mitschreiben an dem eingravierten Text – und trug Sorge, dass weder das Wort "Völkermord" verwendet wurde, noch die Herero und Nama als Opfergruppen genannt wurden. Stattdessen: Ein wohltönendes, aber nichtssagendes Humboldt-Zitat.
    "Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft"... aber das ist nicht von uns. Wir wollen, dass hier einfach steht: Gegen den Völkermord an den Hereros und Namas. Aber das Auswärtige Amt war nicht einverstanden mit unserer Inschrift."
    Entwicklungshilfe ist kein Ersatz für eine Entschuldigung
    Der jahrelange Streit um die Gedenkinschrift zeigt, wie schwer sich die Bundesrepublik bis heute mit ihrer Kolonialvergangenheit tut. Seit der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 praktizierten alle Bundesregierungen die gleichen Abwehrstrategien: Man ist betroffen, spricht von einer besonderen historischen Verantwortung Deutschlands. Aber eine offizielle Entschuldigung und Entschädigungszahlungen an die Herero lehnt man ab. Bloß keine Äußerung tun, die "entschädigungsrelevant" sein könnte. Stattdessen verweist man auf die großzügige deutsche Entwicklungshilfe. 740 Millionen Euro wurden in den letzten 20 Jahren an Namibia gezahlt - mehr als an jedes andere Land. Die namibische Regierung war mit dieser Regelung durchaus nicht unzufrieden. Doch die Herero beharrten: Entwicklungshilfe könne kein Ersatz für eine Entschuldigung und Entschädigung sein.
    Israel Kaunatjike ist der einzige Herero-Aktivist in Deutschland. Seit vielen Jahren schon kämpft er – erst gegen die Apartheid in seiner Heimat, dann für die Anerkennung des Genozids an seinem Volk. Dass jetzt zwischen Deutschland und Namibia verhandelt werden soll, ist für ihn eine große Genugtuung. Aber über den Verhandler Dr. Zed Zagvuire sagt er:
    "Er ist auch Herero. Aber er ist im Auftrag von der namibischen Regierung. Er hält sich eigentlich so neutral, aber er vertritt unsere Interessen nicht. Und wenn die uns nicht einbeziehen, dann hat diese ganze Verhandlung überhaupt keinen Sinn. Ohne uns geht es einfach nicht. Das werden wir niemals akzeptieren!"
    Es kann nicht ohne uns um uns gehen! Paramount-Chief Vekuii Rukoro lehnt sich im Sessel des gut gekühlten Konferenzraums in Namibias Hauptstadt Windhoek zurück. Der oberste Führer der Herero ist im Alltag Geschäftsführer des größten Fleischproduzenten Namibias.
    Chief Rukoro
    Chief Rukoro (Ulrike Winkelmann)
    "Die deutsche Politik hat das über 100 Jahre unter den Teppich gekehrt. Sie haben uns ignoriert und ihren Kopf in den Sand gesteckt, nach dem Motto: ‚Wir sitzen das aus – dann verschwindet das Problem von alleine.' Das war dumm!"
    Rukoro ist erst seit gut einem Jahr Paramount Chief. Das verleitet manchen dazu, ihn als schwachen Führer zu zeichnen, der vor allem damit zu tun habe, das Volk der Herero hinter sich zu vereinen. Eine Kritik, die ihn nicht anficht.
    "Das deutsche Parlament muss eine Resolution verabschieden, wonach das, was hier passiert ist, ein Genozid war. Dann muss Deutschland ein Regierungsmitglied schicken, welches sich bei uns Herero offiziell entschuldigt. Drittens muss Deutschland sich verpflichten, uns Reparationen zu zahlen. Und Deutschland muss trilateralen Verhandlungen darüber zustimmen. Mit Vertretern der Nama- und Herero-Völker, der namibischen Regierung und der deutschen Regierung."
    Verhandlungen sind diplomatischer Hochseilakt
    Die Herero werfen der namibischen Regierung, die mehrheitlich dem Volk der Ovambo angehört, vor, vor allem eigene Ziele zu verfolgen. Namibia wolle die großzügige deutsche Entwicklungshilfe nicht gefährden. Der Konflikt um Entschädigung verläuft also auch entlang ethnischer Grenzen in Namibia.
    Dr. Zed Ngavirue erweckt den Eindruck, als sei er angesichts dieser komplexen Situation eine gute Wahl. Mit seinen über 80 Jahren strahlt er eine angenehme Unaufgeregtheit aus. Er war viele Jahre Diplomat und er ist Herero. Was aber nicht heißt, dass er alleine die Interessen dieser Volksgruppe vertreten wird.
    "Da würden die Herero-Vertreter ganz falsch liegen. So sehr ich auch Teil dieses Volkes bin, bin ich doch Nationalist und denke an ganz Namibia. Mir geht es darum, die Interessen aller Völker dieses Landes auszubalancieren. Das ist auch mein Mandat, ich werde nicht alleine Herero-Interessen vertreten."
    Basis seines Mandats ist eine einstimmig verabschiedete Resolution des namibischen Parlaments aus dem Jahre 2006, eingebracht von den Herero. Darin wird die namibische Regierung aufgefordert, sich um Anerkennung des Genozids, Reparationszahlungen und den Dialog zwischen Namibia und den Vertretern der Opfergruppen auf der einen, und Deutschland auf der anderen Seite einsetzen.
    "Das Ziel ist ein einvernehmliches Abkommen zwischen den beiden Regierungen auf Basis der Parlamentsresolution. Das Entscheidende ist, dass wir als Sonderbeauftragte jetzt im Namen unserer Regierungen und unserer Völker einen Dialog begonnen haben."
    Doch schon jetzt zeichnet sich ab: Die Verhandlungen dürften ein diplomatischer Hochseilakt werden.
    Berlin. Ruprecht Polenz sitzt in der Lobby eines Hotels direkt am Auswärtigen Amt. Der "Sondergesandte für die deutsch-namibische Vergangenheitsbewältigung", wie sein offizieller Titel lautet, nippt an einem Kaffee. Natürlich werde er nur mit der namibischen Regierung verhandeln, sagt er, so sei das üblich zwischen souveränen Staaten. Allerdings wolle er sich auch mit den Herero-Vertretern treffen – außerhalb des Protokolls.
    Das Ziel seiner Mission beschreibt er so: Es gehe zunächst einmal darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, wenn es um die Beschreibung der Ereignisse in der Vergangenheit gehe.
    "Und dann wird es darum gehen, wie Deutschland sein Bedauern über diese Ereignisse zum Ausdruck bringt, so dass die namibische Seite sagt, das ist eigentlich das, was wir von Deutschland erwarten, und von dieser Basis ausgehend wird dann darüber zu sprechen sein, was kann denn heute nach über 100 Jahren getan werden, um die immer noch vorhandenen Wunden aus dieser Zeit zu heilen, Schmerzen zu lindern, und in welcher Form soll das geschehen."
    Ehemalige Kolonien schauen genau hin, was in Namibia passiert
    Sprache ist Politik – nirgendwo sonst wird das so deutlich wie bei diesem heiklen Prozess deutscher Vergangenheitsaufarbeitung. Schließlich wird davon ausgegangen, dass auch andere ehemalige Kolonien genau hinschauen und hinhören, was hier passiert. Und dann ist da noch das Problem möglicher Herero-Klagen in den USA. Doch offenbar gibt es jetzt den Willen, das Thema endgültig vom Tisch zu bekommen. Nicht als Schlussstrich, betont Polenz.
    "Wir wollen Wege des gemeinsamen Erinnerns eröffnen. Und ich könnte mir vorstellen, dass dann eben Projekte der Erinnerung, des Jugendaustausches, der Stipendien angesiedelt werden können, um , sagen wir mal bestimmte Dinge im Gedächtnis zu behalten, aber auch um Entwicklungen zu kompensieren, die man heute beispielsweise nur durch Bildungsanstrengungen kompensieren kann und nicht durch irgendwelche anderen Überlegungen."
    "Irgendwelche anderen Überlegungen" – gemeint sind direkte Reparationszahlungen. Nach über einhundert Jahren könne es keine individuellen Entschädigungen geben, sagt Polenz. Rechtlich ist das in der Tat schwierig. Doch historisch ist der Zusammenhang zwischen der heutigen Armut der Herero und dem Handeln der Deutschen schwer zu leugnen, sagt Jürgen Zimmerer, Professor für Kolonialgeschichte an der Universität Hamburg.
    "Es ist historisches Faktum, dass die komplette Enteignung der Nama und auch der Herero durch den deutschen kolonialen Staat 1906 vorgenommen wurde. Es gibt einen kaiserlichen Erlass, der aufgrund des Widerstandes die Stammesstrukturen der Herero und Nama auflöst und deren sämtliches Vieh und sämtliches Land enteignet. Dieses enteignete Land ist in der Folgezeit eben in den Besitz weißer Siedler übergegangen, deutscher, dann auch südafrikanischer, und ist im Wesentlichen immer noch in der Hand dieser Gruppen. Aber das beruht unmittelbar auf der Geschichte des Genozids."
    Wie also Sorge tragen, dass die deutsche "Schmerzlinderung" bei den Herero und Nama ankommt?
    "Das alles, was Sie aufgezählt haben, zeigt als erstes, dass es gar nicht im Rahmen deutscher Möglichkeiten liegt, diese Dinge zu entscheiden und in den heutigen Auswirkungen unmittelbar zu verändern, denn es sind souveräne Entscheidungen, die die namibische Regierung trifft: Wie entwickelt sie den Norden, wie entwickelt sie den Süden und wie geht sie mit diesen Problemen um."
    Heidi Wieczorek Zeul, bis 2009 Entwicklungs-Ministerin, sieht das anders.
    "Also jeder der sich da auskennt, weiß, die müssen mit einbezogen werden, sonst geht's nicht."
    Die SPD-Politikerin war die erste Ministerin, die sich 2004, zum 100. Jahrestag der Waterberg-Schlacht, bei einer Namibiareise in deutschem Namen bei den Herero und Nama entschuldigte - ein mutiger Satz, der allerdings, da er nicht abgesprochen war, ohne Folgen für die offizielle Haltung der Bundesregierung blieb.
    "Zahlungen nur in den Haushalt des Landes halte ich für wenig sinnvoll, weil sie den Betroffenen nicht direkt zugutekommen! Deswegen habe ich ja beides gemacht: Ich habe gesagt, Entwicklungszusammenarbeit verdoppeln, das ist auch passiert, und hab dann aber diese besondere Initiative in Gang gesetzt. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass es wieder an den Betroffenen vorbeigeht!"
    Die "Special Initiative" war ein deutsch-namibisches Sonderprogramm. Mit insgesamt 33 Millionen Euro finanzierte Deutschland von 2006 an fast 200 Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama. Letztes Jahr ist sie endgültig ausgelaufen. Das Entwicklungs-Ministerium erklärt, derzeit sei eine Evaluation der "Special Initiative" "in Vorbereitung".
    "Wo ist dieses Geld hin? Wir wissen es nicht. Wir haben nichts davon abbekommen. Wenn du die Regionen, die hauptsächlich von Herero und Nama bewohnt werden, mit dem Norden Namibias vergleichst, wirst du den Unterschied sehen. Der Norden, wo die Ovambos wohnen, ist entwickelt. In den anderen Regionen siehst du Armut."
    In einem schmucken Häuschen in Namibias Hauptstadt Windhoek wohnt Esther Muinjangue. Sie ist Vorsitzende des Ovaherero Genocide Committee. Reparationen in Form von Geld wollen Muinjangue und ihre Mitstreiter nicht – stattdessen solle die deutsche Regierung einen Wiedergutmachungsfonds gründen, mit dem die Lebensbedingungen der Herero verbessert werden. Davon würde dann nicht nur ihr Volk profitieren.
    Esther Muinjangue
    Esther Muinjangue (Ulrike Winkelmann)
    "Nehmen wir z.B. an, die Namas im Süden sagen, wir brauchen so und so viele Schulen, so und so viele Krankenhäuser. Dann steht doch an der Tür nicht "nur für Namas". Die Einrichtungen sind dann für alle, die in der Region wohnen, egal ob Du ein Damara, Ovambo oder was weiß ich bist. Alle haben was davon. Sogar der Regierung nützt es, weil sie dort nicht selbst bauen müssen."
    Allzu optimistisch ist die Universitätsdozentin nicht, was die momentanen Bemühungen der zwei Sonderbeauftragten angeht. Dafür sei das Thema schon zu oft verschleppt worden. Aber sie gibt nicht auf und appelliert: "Wir haben dieses Kapitel geöffnet – lasst uns gemeinsam daran arbeiten, es abzuschließen."