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Voigt: Wahrscheinlichkeit für ein Mandat ist größer geworden

Der SPD-Politiker Karsten Voigt hat sich optimistisch über das Zustandekommen einer multinationalen Friedenstruppe für den Libanon gezeigt. Die Wahrscheinlichkeit für ein Mandat, mit dem die Lage verändert werden könne, sei größer geworden, sagte der Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Voraussetzung sei allerdings ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah. Voigt sprach sich dafür aus, informell oder vielleicht auch formell Gespräche mit Syrien zu führen.

Moderation: Bettina Klein | 29.07.2006
    Bettina Klein: Über die Erfolgsaussichten der Mission der amerikanischen Außenministerin möchte ich jetzt sprechen mit Karsten Voigt, Sozialdemokrat und Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Voigt.

    Karsten Voigt: Schönen guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Was ist jetzt anders als noch vor wenigen Tagen, da die Reise der Außenministerin ja noch nicht zu einer wirklich entscheidenden Veränderung und Entwicklung geführt hat?

    Voigt: Die Veränderung ist ganz eindeutig dass immer mehr die Rahmenbedingungen für eine solche UNO-Resolution klar werden. Und diese Rahmenbedingungen bedeuten, dass man nicht nur jetzt zur Einstellung der aktuellen Kampfhandlung auffordert, sondern dass man sagt, man muss das endlich umsetzen, was bei der vorigen UNO-Sicherheitsratsresolution über den südlichen Libanon nicht berücksichtigt worden ist: Dass man nicht nur sagt, die Hisbollah sollte entwaffnet werden, sondern, dass man die Rahmenbedingungen schafft, dass sie entwaffnet wird.

    Klein: Die Frage ist natürlich, wie, konkret, soll das ablaufen? Zum Verständnis: Die Friedenstruppe - soll die nun jetzt für Frieden sorgen oder muss nicht doch erst vorher ein Waffenstillstand erreicht werden?

    Voigt: Das wird Gegenstand der Verhandlungen sein und auch der Gespräche in Jerusalem und in Beirut. Die Problemlage ist ja ganz eindeutig: Bei der vorigen Sicherheitsratresolution, die ja gefasst wurde im Zusammenhang mit dem Abzug Israels aus dem südlichen Libanon, ist damals beschlossen worden, die Hisbollah zu entwaffnen. Die libanesische Regierung hat dazu nicht die Kraft gehabt, das ist die Ursache der jetzigen Gewalteskalation. Jetzt muss man also, im Zusammenhang mit einer neuen Sicherheitsratresolution, darauf achten, dass nicht nur Wünsche beschlossen werden, sondern dass auch die Machtmittel bereitgestellt werden, um solche Wünsche durchzusetzen. Und ob dazu alle Beteiligten bereit sind und ob dann schließlich diejenigen, die die Soldaten auch schicken müssen, dazu bereit sind, das wird das Gespräch der nächsten Tage, und ich fürchte sogar, der nächsten Wochen sein.

    Klein: Das heißt, Sie halten es durchaus für möglich, dass, während noch gekämpft wird, während Raketen von der Hisbollah nach Israel abgeschossen werden und während Israel Raketen in den Südlibanon schießt, dass in die Situation hinein eine multinationale Friedenstruppe hineingeht und dann versucht, Frieden herzustellen?

    Voigt: Nein, ich halte es nur für nicht nur realistisch, sondern auch für geboten, dass jetzt, während es noch Kampfhandlungen gibt, bereits über die Rahmenbedingungen einer Einstellung der Kampfhandlungen und über die anschließende Stationierung einer solchen internationalen Friedenstruppe verhandelt und gesprochen wird. Das heißt, es muss dann natürlich, bevor eine Friedenstruppe dorthin geschickt wird, müssen natürlich die Kampfhandlungen eingestellt werden. Aber man kann nicht warten mit den Verhandlungen über ein solches Gesamtpaket, bis die Kampfhandlungen eingestellt werden, sondern das muss man bereits jetzt tun.

    Klein: Und Sie rechnen jetzt damit, dass Israel bereit sein würde, die Militäroffensive zu beenden, wenn in Aussicht steht, dass es eine solche Truppe gibt, die für die Entwaffnung der Hisbollah im Süden des Libanon sorgen wird?

    Voigt: Das ist nicht nur ein Punkt, wenn es eine solche Friedenstruppe gibt, sondern sie muss ja nicht nur ein Mandat haben, sondern auch die militärische Fähigkeit haben, die Lage dort im südlichen Libanon zu kontrollieren und auch nicht nur das Mandat haben, sondern auch die Fähigkeit haben, die Hisbollah zu entwaffnen.

    Klein: Und das ist natürlich schon die Frage, wie das möglich sein wird, weil bisher Beobachter gesagt haben, das ist im Grunde genommen nur sehr schwierig möglich. Also mit was für einem Mandat muss diese Truppe dann ausgestattet sein?

    Voigt: Ja, das ist natürlich ein Mandat, das nicht nur darauf ausgelegt ist, wie das bisherige Mandat der UNO, viel zu beobachten, wie dort sich bewaffnete Streitkräfte, bewaffnete paramilitärische Gruppen, terroristische Gruppen verhalten. Sondern es muss das Mandat und die militärische Fähigkeit haben, gegenüber solchen Gruppen möglicherweise auch vorzugehen. Und das ist natürlich eine Aufgabe, die außerordentlich schwer ist, wie Sie das selber auch schon gesagt haben. Und deshalb gibt es diese jetzigen Verhandlungen, die ja, sozusagen nicht nur irgendeine verbale Deklaration als Ziel beinhalten, sondern die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage im südlichen Libanon.

    Klein: Wie stellen Sie sich die Organisation einer solchen Truppe vor? Also mit einem UNO-Mandat ausgestattet, aber getragen von wem? Von der NATO?

    Voigt: Das ist, glaube ich, jetzt Gegenstand der Gespräche. Ich glaube nicht, dass so viele Teilnehmer dieser Gespräche, der formellen und der informellen, wirklich daran denken, dass die NATO selber ein solches Mandat übernimmt. Es gibt ja Leute, die sagen und da spricht ja auch einiges dafür, dass die NATO dort, besonders von arabischen Teilnehmern von solchen Gesprächen, als zu nahe bei den USA angesehen werden würden. Aber es ist überhaupt keine Frage, dass schon aufgrund der militärischen Fähigkeiten die Teilnehmer solcher Friedenstruppen primär aus NATO-Staaten kommen würden, auch wenn es kein NATO-Mandat oder nicht unter formellen NATO-Kommando stehen. Aber es würden bestimmt nicht nur NATO-Staaten sein und es würden bestimmt, hoffentlich, auch darunter Staaten sein, wo die Truppen aus Ländern kommen, die überwiegend eine islamische Bevölkerung haben. Aber wie gesagt, Sie merken schon an meiner Art der Argumentation, dass dort noch viele Fragen zu klären sind. Und es ist nicht nur böser Wille, wenn es nicht bereits jetzt zu einem solchen Beschluss des UNO-Sicherheitsrats gekommen ist, sondern es liegt an der Komplexität der Lage. Und es liegt daran, dass man schlicht und ergreifend mit einer Reihe von Nachbarstaaten auch Gespräche führen muss, möglicherweise eben nicht nur mit Libanon und Jerusalem, sondern möglicherweise eben, informell oder sogar formell, mit Syrien.

    Klein: Herr Voigt, bisher hat man den Eindruck, die westliche Staatengemeinschaft, vor allen Dingen auch die USA, aber auch andere Staaten, lassen Israel noch gewähren, sagen, die Militäroffensive gegen den Libanon, gegen die Hisbollah, ist das Recht auf Selbstverteidigung, was dort wahrgenommen werden wird. Inzwischen scheint sich das so ein bisschen zu wandeln; der Druck scheint stärker zu werden. Wird man weiterhin sagen, wir möchten gerne, dass ihr dann irgendwann auch fertig werdet, mit diesem Krieg, aber wir lassen Euch gewähren? Wird es bei dieser Haltung bleiben?

    Voigt: Also ich bin, sage jetzt einmal etwas, was man normalerweise, als jemand, der mit diplomatischen Hintergrund, nicht so deutlich sagen sollte. Es ist ja nicht nur so, dass die Amerikaner diese Möglichkeit den Israelis offen halten wollen, sozusagen die Lage im südlichen Libanon zu bereinigen, in Anführungsstrichen zu bereinigen, indem sie jetzt gegen die Hisbollah vorgehen. Sondern ich habe den Verdacht oder den Eindruck, als ob auch eine Reihe von Staaten, die formell dagegen sind, dass die Israelis weiterkämpfen, in Wirklichkeit gar nicht so unglücklich darüber sind. Weil sie sagen, was die Israelis jetzt in der Auseinandersetzung mit der Hisbollah erledigen, nämlich die Hisbollah teilweise zu entwaffnen oder ihre Rolle zu verringern, das ist auch etwas, was wir tun müssten mit einer internationalen Friedenstruppe. Und das, was die Israelis dort schon machen, das brauchen wir dann nicht zu tun. Umgekehrt gibt es auch Leute, die den Israelis jetzt mehr oder weniger freie Hand lassen wollen, wie zum Beispiel die Amerikaner, die ganz nüchtern sehen, dass die Israelis selber gar nicht in der Lage sind, dauerhaft die Lage im südlichen Libanon zu stabilisieren und die auch deshalb jetzt auf eine UNO-Resolution drängen. Also aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Perspektiven, gibt es jetzt glücklicherweise eine Lage, wo die Wahrscheinlichkeit eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrats mit der Stationierung einer internationalen Friedenstruppe, die auch wirklich was bewirken kann, größer geworden ist.

    Klein: Die USA, Herr Voigt, sind von Israel bei der Libanonkonferenz in Rom so verstanden oder interpretiert worden, dass das Fortführen der Offensive gebilligt werde. Und ein Sprecher des US-Außenministeriums hat diese Interpretation gestern als empörend zurückgewiesen, also auch mit, für einen Diplomaten, sehr deutlichen Worten. Der israelische Justizminister, der mit diesen Worten zitiert worden war, hat sich offenbar ermutigt gefühlt, das so zu sehen. Und jetzt ist es den USA offensichtlich doch ein bisschen zu weit gegangen. Kann man davon sprechen, dass da auch eine Art von Umdenken, auch durch diese diplomatische Auseinandersetzung zu Stande gekommen ist?

    Voigt: Ja, es gibt eben jetzt nicht nur ein bilaterales israelisch-amerikanisches Verhältnis, das ist weiterhin stabil. Sondern es gibt gleichzeitig eine amerikanische Perspektive und Politik, die die europäischen Partner einzubeziehen versucht, die Russland einzubeziehen versucht und die natürlich auch darauf achten muss, dass die amerikanische Rolle in der arabischen Welt nicht untergraben wird. Und die besonders darauf achten will, dass man die Kooperation mit den moderateren arabischen Staaten, die ja der Hisbollah auch sehr negativ gegenüberstehen, dass man die fördert und nicht behindert.

    Klein: Karsten Voigt war das, der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ich danke Ihnen, Herr Voigt, für das Gespräch.

    Voigt: Auf Wiederhören.