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Volksgesundheit
Auswirkung von Wirtschaftskrisen

Finanzkrisen und Rezession belasten nicht nur die psychische Gesundheit. Ganz konkret gerät menschliches Leben in Gefahr, wenn verordnete Kürzungen das staatliche Gesundheitssystem zum Erliegen bringen. Die Autoren David Stuckler und Sanjay Basu recherchierten für ihr Buch "Sparprogramme töten" weltweit.

Von Thomas Fromm |
    Ein älterer Mann steht am 10. März 2014 vor einer geschlossenen Apotheke in Athen, deren Besitzer gegen die Pläne der Regierung mit Streik protestiert, verschreibungsfreie Medikamente in Supermärkten zu verkaufen.
    Sparmaßnahmen führen auch zu Engpässen in der Arzeneimitteversorgung. (epa / Orestis Panagiotou)
    Finanzkrisen und Rezession belasten nicht nur die psychische Gesundheit. Ganz konkret gerät menschliches Leben in Gefahr, wenn verordnete Kürzungen das staatliche Gesundheitssystem zum Erliegen bringen. Die Autoren David Stuckler und Sanjay Basu recherchierten für ihr Buch "Sparprogramme töten" weltweit.
    Es gehört zu den Widersprüchen der Finanzkrise, dass vor allem diejenigen zu den Aufräumarbeiten herangezogen werden, die am wenigsten mit den Ursachen des wirtschaftlichen Desasters zu tun haben. Oder, wie es Nobelpreisträger Paul Krugman formulierte: Die Sache mit den Sparprogrammen impliziere im Grunde, die Weltwirtschaftskrise sei "von den Suppenküchen" hergekommen. Daher kam sie natürlich nicht. Die große Staatsschuldenkrise begann 2007 in der Finanzindustrie, und ausgelöst wurde sie durch unsaubere Geschäftspraktiken und Spekulationen einzelner Banken und Banker in den USA. Gerettet wurde aber in den meisten Fällen dann: mit dem Geld aller Menschen. Die Frage, wie Finanzkrisen überwunden werden können, ist also vor allem eine Frage der Gerechtigkeit.
    Epidemiologen untersuchen Sparmaßnahmen
    Um diese Frage der Gerechtigkeit geht es auch in dem Buch der beiden Epidemiologen David Stuckler und Sanjay Basu. Beide haben jahrelang die Folgen von Rezessionen und Sparprogrammen für die Gesundheit der Bevölkerung analysiert:
    "Unsere Erkenntnis lautet: Die eigentliche Gefahr für die Gesundheit der Allgemeinheit lauert nicht in Rezessionen an sich, sondern in den Sparprogrammen, mit denen diese häufig "bekämpft" werden. Wenn das soziale Netz durch Ausgabenkürzungen Löcher bekommt, kann ein wirtschaftlicher Rückschlag wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder des Eigenheims die Gesundheit stark in Mitleidenschaft ziehen."
    Aus dem amerikanischen Originaltitel "The body economic" wurde bei der Übersetzung ins Deutsche "Sparprogramme töten" - und genau dies ist auch die Hauptthese der beiden Autoren: Die rigorose Sparpolitik gegenüber Euro-Krisenländern wie Griechenland setze auch und vor allem bei der Gesundheitsversorgung an - spart, streicht, schafft ab - und tötet Menschen.
    Es ist, so die Autoren, oft eine Frage der Postleitzahl, ob jemand alt wird oder nicht. Der kalte Glamour der großen Finanzwelt und die Dramen der kleinen Leute: Die Autoren zeichnen nach, wie Hedgefonds ab 1997 an den Märkten gegen ostasiatische Währungen wetteten und so eine ganze Region mit an den Rand des Abgrunds trieben. Es sind dann die großen politischen Entscheidungen, die mit den Schicksalen von konkreten Menschen verwoben werden - die Krise verliert ihre Anonymität. Da ist etwa die thailändische Bauerntochter Kanya, die wegen der Krise in die Hauptstadt Bangkok geht, wo sie keinen Job in einem Restaurant oder einer Fabrik findet, sondern von fremden Männern zur Prostitution gezwungen wird. Das Mädchen, das von einem deutschen Touristen vergewaltigt wird, infiziert sich mit HIV und stirbt an Tuberkulose. Die wahre Todesursache aber ist die Krise und die schlechte Gesundheitsversorgung.
    "Da es an einem belastbaren sozialen Sicherheitsnetz mangelte, hungerten bedingt durch die zunehmende Armut und die steigenden Lebensmittelpreise in Thailand und Indonesien die Massen. Im Jahr 1998 gab es im Vergleich zum Vorjahr 20 Prozent mehr Mütter, die unter Atrophie litten, mithin so schlecht ernährt waren, dass ihr Muskel- und Fettgewebe schwand. Die Mütter verzichteten zugunsten ihrer Kinder auf Essen."
    Eine Organisation, von der die Thailänderin Kanya wohl nie etwas gehört haben dürfte, sorgte damals für das Aufräumen nach dem großen Zocken: Der Internationale Währungsfonds, kurz IWF. Die Rezepte der Organisation sind unter den Experten umstritten: Privatisierungen, Liberalisierung der Märkte, Abbau von Handelsschranken. Und meist eben auch: Drosselung der staatlichen Gesundheitsfürsorge. So können Sparprogramme töten. Von Asien nach Griechenland und das Europa des Frühjahrs 2010, zur Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und IWF. Die Probleme in Athen waren bekannt: eine exorbitant hohe Staatsverschuldung, eine überbordende Bürokratie, grassierende Korruption.
    Kollabiertes Gesundheitssystem in Griechenland
    "Das Bruttoinlandsprodukt fiel 2010 um weitere 3,4 Prozent. Die Superreichen hatten ihre Schäfchen ins Trockene gebracht, auf Bankkonten in Steuerparadiesen. Die Leidtragenden waren die einfachen Leute. Die Arbeitslosenquote stieg von sieben Prozent im Mai 2008 auf 17 Prozent im Mai 2011. Die griechische Gesellschaft stand jetzt am Rande des Abgrunds."
    Dann kam die große Kürzungsorgie. Ziel: Die Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Zum Vergleich: In Deutschland liegen diese Ausgaben bei über zehn Prozent. Die Milliardenkürzungen hatten Folgen: Viele Menschen konnten sich private Behandlungen nicht mehr leisten; in den staatlichen Krankenhäusern schnellten die Patientenzahlen um ein Viertel nach oben. Fatal war, dass hier zur gleichen Zeit Tausende Stellen eingespart wurden. Das System kollabierte.
    "Insgesamt haben in der Zeit der Rezession und des Sparens nach unseren Schätzungen mindestens 60.000 Griechen über 65 Jahre auf notwendige medizinische Maßnahmen verzichtet." Und die Autoren schlussfolgern: "Griechenland diente unwissentlich als Versuchslabor für die Frage, wie Sparprogramme sich auf die Gesundheit auswirken."
    Weil die Staatsgewalt von Anfang an mit schweren Protesten rechnen musste, blieb nicht zufällig ein Bereich bei den Sparmaßnahmen außen vor: "Die Polizei. Zweitausend zusätzliche Polizisten wurden eingestellt und gezielt in der Kontrolle von Aufständen geschult. Polizei und Militär wurden mit Tränengas, Schutzausrüstung und Wasserwerfern ausgestattet."
    Was nun die Quintessenz aus all dem ist? Statt die Ausgaben für Gesundheitsprogramme in Krisen und Rezessionen zu kürzen, sollten sie erhöht werden, fordern die Autoren. Denn auch Gesundheitsprogramme können Konjunkturprogramme sein. "Sparprogramme töten" ist also kein Plädoyer gegen das Sparen, sondern eines für das richtige Sparen. Während in Athen der Gesundheitsetat zusammengestrichen wurde, freuen sich die milliardenschweren Reeder des Landes seit vielen Jahren über ihre Steuerprivilegien. Auf eleganten Yachten, irgendwo auf hoher See - weit weg von Krisen. Und weit weg vom IWF.
    David Stuckler / Sanjay Basu: Sparprogramme töten. Die Ökonomisierung der Gesundheit.
    Wagenbach Verlag, 224 Seiten, 19,90 €.