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Vollkommene Entschiedenheit für Gott

Die Zahl der Priesteranwärter nimmt ab. Ein Grund ist auch das Zölibat. Aus Sicht des Bonner katholischen Pfarrers Wolfgang Picken könnte eine ehrliche Diskussion um die Ehelosigkeit von Priestern helfen, den Wert und die Qualität der vollkommenen Hinwendung zu Gott neu zu entdecken.

Wolfgang Picken im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Berlin, 28. Januar 2010. Ungewöhnliches ereignet sich in der Tiergartenstraße. Dort befindet sich das von Jesuiten geführte Canisius-Kolleg. Der Rektor der Schule, Pater Klaus Mertes, am vergangenen Sonntag im Interview der Woche hier im Deutschlandfunk.

    "Eine Schar von Journalisten, die mir Mikrofone entgegenstreckt in meinem Büro und die Schulleiterin, die sich durch die Heerscharen der Journalisten hindurchwalkt, mich am Kragen packt und sagt, jetzt musst du mit den Schülern sprechen, die dann, 850 an der Zahl, unten in der Turnhalle saßen und denen ich dann von heute auf morgen erklären musste, was los ist, was ein sexueller Missbrauch ist, und zwar eben Schülern im Alter zwischen zehn und 19 Jahren. Eine Situation jedenfalls, auf die man sich nicht vorbereiten kann."

    Heinemann: Klaus Mertes hatte sich wenige Tage zuvor schriftlich bei ehemaligen Schülern für sexuelle Übergriffe entschuldigt. Der Stein, der damit im Wasser gelandet war, zog nicht nur Kreise, sondern gewaltige Wellen. Im Zusammenhang mit den Straftaten, die übrigens nicht nur an kirchlichen, sondern auch an weltlichen Schulen verübt wurden – daran muss man immer wieder auch erinnern -, wurde und wird bis heute über den Zölibat diskutiert. Jüngste Wortmeldung ist die des Katholiken Norbert Lammert: "Wer eisern am überkommenen Pflichtzölibat festhält, führt die Gemeinden sehenden Auges in den seelsorgerischen Notstand", schreibt der Bundestagspräsident in der Wochenzeitung "Die Zeit". Begründung: Priestermangel. 1960 seien knapp 15.500 Geistliche in der Pfarrseelsorge tätig gewesen, derzeit seien es noch 8500. Lammert bekräftigt seinen Vorschlag, in Zukunft auch Verheirateten den Weg zum Priesterberuf zu öffnen, den sogenannten viri probati. Das hatten vorher schon führende CDU-Politiker getan.

    Der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller hat diese Aufforderung als Kampagne bezeichnet, als eine persönliche Beleidigung für die überwältigende Zahl von Priestern, die den Zölibat überlegt und aus freien Stücken übernommen hätten und treu lebten. Letztlich werde dadurch auch Jesus Christus selbst beleidigt.

    Wir möchten heute früh mit einem Mann aus der Praxis sprechen. Am Telefon ist der katholische Priester Pfarrer Dr. Wolfgang Picken. Er leitet die Kirchengemeinde St. Andreas und Evergislus in Bonn-Bad Godesberg. Den Andreas kennt man, den anderen nicht so gut, deshalb noch schnell die kurze Anmerkung: Evergisilus – so nennt man ihn auch – lebte im 6. Jahrhundert und war der fünfte Bischof von Köln. Seine Gebeine ruhen dort in der Kirche St. Peter. – So viel Schulfunk muss sein, und damit guten Morgen, Herr Picken.

    Wolfgang Picken: Einen wunderschönen guten Morgen.

    Heinemann: "Der liebe Gott tut nix wie fügen", sagt man im Rheinland, wenn sich zwei gefunden haben. Wieso sollte jemand, dem diese göttliche Fügung zuteilwurde, nicht auch am Altar stehen dürfen?

    Picken: Ja, ja, das ist natürlich vom Grundsatz her richtig, wobei wir natürlich bei allen Berufen von diesem Prinzip nicht ausgehen. Ein Arzt muss sich auch erst bestimmten Prüfungen und Voraussetzungen stellen. So ist es beim priesterlichen Beruf auch. Die Kirche hat natürlich immer die Verantwortung zu überprüfen, zum einen was ist notwendig für eine geistliche Berufung und den priesterlichen Dienst, und das Zweite ist, was ist eigentlich die Eigenschaft, oder was sind die Voraussetzungen, die für diese Aufgabe am ehesten notwendig und erforderlich sind, damit sie glaubwürdig gelebt werden können. Und so hat sich eben die Lebensform ergeben, die Lebensform des Priesters, die ja – und das ist, glaube ich, das, was in der Diskussion oft vergessen wird – die Lebensform Jesu ist, die der Priester versucht, für sich selbst anzunehmen, weil er sich in gewisser Hinsicht als Stellvertreter Jesu versteht.

    Heinemann: Ist ein Ehemann ein schlechterer Christ?

    Picken: Nein, das ist damit nicht gesagt. Der Ehemann ist bestimmt ein guter Christ. Es geht eben darum, wie kann man die spezielle Aufgabe des Priesters leben. Das hat mit der Frage, ob jemand ein guter oder schlechter Christ ist, nichts zu tun. Ein Priester ist nicht automatisch ein besserer Christ.

    Heinemann: Aber welche sind denn die wichtigsten Voraussetzungen für einen Priester?

    Picken: Ich glaube, dass für den Priester wichtig ist, er hat ja die Aufgabe, eben in besonderer Weise Christus in seiner Gemeinde zu vertreten, ein Stück ähnlich ihm zu sein, vor den anderen anderen vorauszugehen, also eine besondere Funktion in einer Gemeinde zu übernehmen, und deshalb sollte er auch eine besondere Form des Lebens wählen, damit das an ihm auch wahrgenommen und erkannt wird. Und die Tradition der Kirche ist eben an den drei großen Lebensformen Jesu festzumachen, das übrigens nicht nur das Zölibat ist. Das wird immer leider sehr darauf verkürzt. Ehelosigkeit heißt eigentlich vollkommene Entschiedenheit für Gott. Dann das Zweite ist Regelmäßigkeit des Gebetes, verteilt über den Tag, und das Dritte Gehorsam. Diese drei Dinge sind der Kirche besonders wichtig gewesen und ich glaube, dass die zwar heute alle drei schwierig sind, weil wir mit allen drei Dingen, wenn wir ehrlich sind, nicht so wahnsinnig viel anfangen können, aber sie sind die Quellen, aus denen sich das besondere Leben Jesu speist, und vielleicht tut es den Gemeinden gerade gut, jemanden zu haben, der eben auch sich darum bemüht, ganz anders zu leben, als wir das normalerweise von Menschen gewohnt sind.

    Heinemann: Aber war Jesus nicht gerade vollkommen entschieden für die Menschen und wieso sollte das ein Ehemann, ein Familienvater nicht auch tun, der doch ständig mit vielen Menschen zu tun hat?

    Picken: Der steht natürlich für die Entschiedenheit für die Menschen, aber Jesus hat eben auf den einzelnen Menschen verzichtet, also sich nicht einer bestimmten Person ausschließlich zugewendet, sondern er war für alle Menschen in gleicher Weise da. Und wenn wir davon ausgehen, dass ein Ehemann immer seine besondere Wertschätzung einer einzelnen Person zum Ausdruck bringt, das auch eine wirkliche Priorisierung in seinem eigenen Leben ist und auch sein muss, wenn es gelingen will, dann steht das schon ein Stück gegen das Ideal, dass ein Priester eigentlich immer verfügbar sein soll für die Menschen, zu denen er geschickt wird.

    Heinemann: Verstehen Sie die beleidigte Reaktion aus Rom?

    Picken: Ja, ich finde das natürlich etwas übertrieben, dass man Politikern abspricht, dass sie, nur weil sie Politiker sind, sich nicht in die internen Angelegenheiten der Kirche einmischen sollen. Ich glaube, das geht ein bisschen zu weit. Aber was ich gut verstehen kann, dass es in einer Zeit, in der die Lebensform des Priesters, aber nicht nur des Priesters, sondern überhaupt das Christentum mit seiner Spiritualität ein wenig in die Krise geraten ist, dass sich Politiker, statt zunächst einmal mit wertschätzenden Worten die zu stützen, die sich freiwillig bereit sind, so intensiv für ihren Glauben, auch für die Gemeinde einzusetzen, sie mit wertschätzenden Worten zu begleiten, das finde ich in der Tat auch traurig. Man hätte sich zumindest gewünscht, dass das in dem Schreiben der Politiker deutlicher zum Ausdruck kommt, denn es gibt ja viele junge Menschen und auch ältere Priester, die das wirklich sehr glaubwürdig leben, und es wäre mal ganz exorbitant besonders gewesen, wenn sich mal jemand in der Politik die Frage gestellt hätte, welchen Wert besitzt das eigentlich, hat das vielleicht auch eine besondere Kraft für die Zukunft der Kirche, wird das vielleicht auch in der Dimension unterschätzt. Das würde die, die das so für andere leben, vielleicht auch mal motivieren und die Bedeutung unterstreichen, die das für viele Gemeinden bis auf den heutigen Tag hat.

    Heinemann: Herr Picken, über den Zölibat wird aber schon lange auch in der Kirche diskutiert. Die "Süddeutsche Zeitung" zitiert heute ein Memorandum aus dem Jahr 1970, ein Memorandum führender Theologen. Darin steht, alle Verfasser des Memorandums seien davon überzeugt, dass eine Überprüfung des Zwangszölibats auf hoher und höchster kirchlicher Ebene angebracht, ja notwendig ist. Das Zölibatgesetz kann nicht zum absoluten Fixpunkt der Überlegung gemacht werden, begründet unter anderem auch mit Priestermangel und so weiter und so fort. Der Witz ist: Unterzeichnet hat das ein gewisser Josef Ratzinger. Er ist heute Papst Benedikt XVI. – War die Kirche zur Konzilszeit und vor dem langen Pontifikat Johannes Pauls II. vielleicht schon mal weiter?

    Picken: Nun ja, gut. Ich meine, wenn wir jetzt die Aufregung aus Rom sehen, kann man das tatsächlich meinen, wobei man auf der anderen Seite auch sehen muss, diskutiert werden kann darüber und man soll das auch immer wieder infrage stellen.

    Heinemann: Aber das hier war ja fast eine Forderung, was ich zitiert habe.

    Picken: Bitte, noch mal?

    Heinemann: Was ich gerade zitiert hatte, war geradezu eine Forderung dieser Theologen.

    Picken: Ja, eine Forderung nach Diskussion. Eine Fragestellung halte ich immer gut. Ich meine, sonst würden wir beide heute Morgen nicht telefonieren. Nur in dem Augenblick, wo man das hinterfragt, wird man auch den Wert einer bestimmten Sache neu entdecken. Nur – und das scheint mir bei der Diskussion so zu sein – es wird auch auf der anderen Seite bei denen, die das infrage stellen, nicht wirklich diskutiert, sondern es wird nur gefordert, und ich glaube, das ist zunächst einmal für eine faire Debatte über etwas auch wichtig, dass eine Diskussion versucht, die beiden Seiten zu beleuchten, das heißt auch die Frage zu stellen, welch einen Wert besitzt das eigentlich. Sehen Sie, ich bin ja tagtäglich als Seelsorger rund um die Uhr im Einsatz. Ich würde mich persönlich schon fragen – ich habe meinen Zölibat ja frei gewählt -, wie soll ich das eigentlich realisieren, für die vielen Menschen, die mich in unterschiedlichsten Lebenssituationen anfragen, da zu sein, wenn mein Herz auf der anderen Seite für eine Familie oder eine Partnerschaft gebunden wäre.

    Heinemann: Das nimmt Ihnen doch keiner weg! Es geht nur darum, ob es auch möglich sein könnte, dass Verheiratete Priester werden. Wer sich für den Zölibat entscheidet, wird ja nicht bestraft deswegen.

    Picken: Nein, das nimmt mir keiner weg. Nur die Frage, die sich dabei stellen muss, ist: Was ist dem priesterlichen Leben eigentlich angemessen? Und die Kirche hat schon die Verantwortung, auch die Frage zu stellen zum einen, ist es gut und welche Vorteile hat es, aber zum anderen auch, welche Nachteile und Schwierigkeiten besitzt es. Es ist doch interessant, dass in einer Zeit, in der es diese Scheidungs- und Konfliktrate in Partnerschaften, Beziehungen und Familien gibt, sie den Priestern das als Lebensform anraten, als ob es überhaupt gar keine Schwierigkeiten und Probleme gäbe damit. Wir sehen doch gerade heutzutage, welche extremen Probleme es auslöst, wenn Menschen versuchen, viele Interessen in ihrem Leben unter einen Hut zu bringen. Könnte es vielleicht sein, dass es zwei Ideale sind, die sich durchaus gegenüberstehen? Ich entscheide mich für einen Menschen, richte mich dahin auch aus, was ja viele Leute heute gar nicht tun und womit sie Schwierigkeiten haben, Ehe wirklich als etwas zu begreifen, in dem ich eine Priorisierung setze – das eine Ideal. Das andere Ideal: Jemand ist da, ganz da für andere Menschen, das zu jeder Zeit, immer dann, wenn er gebraucht wird. Könnte es sein, dass das miteinander konkurriert? Könnte es vielleicht sogar auch sein, dass wir Leute in das Priestertum lassen als Verheiratete und damit auch ein Stück riskieren, dass der Anspruch dieses Amtes zur Belastung einer Partnerschaft wird? Solche Dinge müssen offen und ehrlich diskutiert werden und man darf die Frage des Zölibats und des Priestertums nicht nur von pragmatischen Fragen abhängig machen, haben wir genug davon, oder haben wir nicht genug davon, sondern es muss eine gewisse Qualität besitzen, und die Qualität muss auch so sein, dass sie der Kirche nutzt, und die Kirche muss eine Form eines Amtes entwickeln, die sicherstellt, dass der Amtsträger eben auch nicht in zusätzliche Schwierigkeiten und Konflikte gerät. Das könnte bei der Aufhebung des Zölibats durchaus auch der Fall sein. Auch das muss man offen diskutieren und besprechen.

    Heinemann: Der katholische Priester Dr. Wolfgang Picken von der Kirchengemeinde St. Andreas in Bonn Bad Godesberg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Picken: Sehr gerne! Auf Wiederhören!