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Vollmer sieht kaum Chancen für friedliche Lösung im Irak-Konflikt

Engels: Der heutige Montag sei der Tag, an dem man entscheiden werde, ob Diplomatie funktioniere oder nicht. Was heißt das nun genau? Interpretationshilfe erhoffen wir uns von Ludger Volmer, dem früheren Staatminister im Auswärtigen Amt und dem heutigen außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion vom Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen.

    Volmer: Guten Morgen.

    Engels: Wie werten Sie diese gestrige Pressekonferenz auf den Azoren?

    Volmer: Das hört sich doch schon sehr stark an wie die Fanfare, die zum Angriff bläst, denn die drei Staatschefs haben nicht nach einer Möglichkeit gesucht, den Krieg noch in letzter Minute zu verhindern. Sie haben vielmehr ihre Entschlossenheit bekräftigt, selber zu handeln, auch dann, wenn die internationale Staatengemeinschaft völlig anderer Auffassung ist. Wir müssen also in den nächsten zwei, drei Tagen mit dem Schlimmsten rechnen. Das ist meine Interpretation.

    Engels: Heute wird ja noch im UN-Sicherheitsrat verhandelt. Wird denn dieses Ultimatum von 24 Stunden, das US-Präsident Bush gestern formulierte, dort Eindruck machen?

    Volmer: Die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft im Sicherheitsrat als auch in der Vollversammlung als auch was die öffentliche Weltmeinung angeht steht eindeutig gegen Krieg und sie wird sich auch nicht dadurch einkaufen lassen, dass die drei Kriegsbefürworter einen Tag Frist anbieten. Wenn der Krieg ohnehin unvermeidlich ist, dann gibt es keinen Grund dafür, auf einen sogenannten Kompromiss einzuschwenken. Kompromisse die Ultimaten setzen und militärische Automatismen in Gang setzen sind keine und sind für die Seite der Kriegsgegner nicht akzeptabel.

    Engels: Also, eine zweite Resolution, die ein Ultimatum an Saddam Hussein vorsehen könnte, wird es Ihrer Einschätzung nach nicht geben?

    Volmer: Ob die drei eine Resolution vorlegen und damit ihre Abstimmungsniederlage riskieren oder von vorne herein auf eine Resolution verzichten, das ist eine taktische Frage, die die drei entscheiden werden. Wie das ausgeht kann ich im Moment nicht spekulieren.

    Engels: Unser amerikanischer Korrespondent hat heute morgen die Einschätzung gegeben, diese 24 Stunden, dieses Ultimatum, sei eigentlich ein klares Ultimatum vor allem an die Adresse Frankreichs. Ist damit das atlantische Verhältnis zwischen Frankreich und USA nachhaltig beschädigt?

    Volmer: Frankreich wie auch Deutschland oder jetzt Russland, unterstützt von vielen anderen, haben sehr frühzeitig gesagt, dass es eine friedliche Alternative zur militärischen Attacke gebe. Die friedlichen Möglichkeiten sind noch nicht ausgenutzt, wie auch Blix und El Baradei in der Vergangenheit deutlich gemacht haben und wahrscheinlich heute auch noch mal deutlich machen werden. Von daher steht Frankreich wie auch Deutschland auf der Basis der Resolution 1441, und es sind die Amerikaner und ihre Verbündeten, die sich fragen lassen, ob sie denn den Geist dieser Resolution wirklich erfüllt haben.

    Engels: UN-Waffeninspekteur Blix interpretierte noch gestern Abend nach dem Treffen, dass es seiner Einschätzung nach offenbar Brüche innerhalb der Gruppe Spanien, Großbritannien und eben den USA gebe. Am deutlichsten hat ja in der Tat US-Präsident Bush dieses Ultimatum formuliert. Sehen Sie da noch gewisse Unterschiede in den Positionen?

    Volmer: Insbesondere Tony Blair gerät ja zu Hause sehr stark unter Druck. Die Mehrheit seiner eigenen Partei ist gegen diese Krieg. Die britische Öffentlichkeit auch. In Spanien sieht es nicht viel anders aus. Aber die beiden haben sich so treu hinter Bush versammelt, dass sie jeden eigenen Spielraum aufgegeben haben. Als Tony Blair letzte Woche noch versucht hat, ein Ultimatum etwas hinauszuschieben und mit einer anderen Resolution Mehrheiten zu sondieren, hat er eine harsche Abfuhr von George Bush bekommen. Das heißt, es gibt zwar Spannungen zwischen den Dreien, aber letztlich unterwerfen sie sich der Führung von George Bush.

    Engels: Tony Blair hat ja noch auf dem Rückflug den französischen Präsidenten aufgefordert, doch noch einmal seine Haltung zu überdenken. Ist das mehr als ein Verzweiflungsrufen?

    Volmer: Vielleicht ist ihr Begriff richtig. Es haben einige wohl völlig falsch kalkuliert bezüglich der Frage, wer sich denn in diesem diplomatischen Poker isoliert. Erinnern Sie sich an die innenpolitische Diskussion bei uns: Wie wurde die Bundesregierung, wie wurde Rot-Grün noch vor einigen Wochen beschimpft, wir würden uns isolieren, wir würden deutsche Sonderwege gehen. Alle unsere Kritiker, insbesondere die CDU, haben sich fürchterlich blamiert. Es sieht so aus, dass Frankreich, Deutschland und viele andere mitten im Strom der internationalen Gemeinschaft agieren und dass sich diejenigen isoliert haben, die auf jeden Fall einen Krieg wollten und die Resolution 1441 im Grunde nur für diplomatisches "Window-Dressing", für Scheindiplomatie in der Zeit, die sie brauchten um ohnehin den militärischen Aufmarsch vorwärts zu treiben, genutzt haben.

    Engels: Sie haben die deutsche Diplomatie angesprochen. Am Wochenende gab es ja noch einmal eine gemeinsame Erklärung Frankreichs, Deutschlands und Russlands mit dem Sinn, auch noch einmal auf eine friedliche Lösung zu drängen. Kann die deutsche Diplomatie in dieser Situation noch etwas tun?

    Volmer: Ob es erfolgreich ist, das kann man nicht sagen, weil die Entscheidungen offensichtlich schon längst gefallen sind, aber dennoch war es der richtige Schritt, denn diese Initiative setzte darauf, auf der Basis der Vorschläge von Blix und El Baradei einen mittelfristigen Prozess zu organisieren, der fixe Zeitpläne und sogenannten Benchmarks, also Rahmenbedingungen und Prüfungspunkte für den weiteren Abrüstungsprozess festsetzt, an denen man dessen Erfolg sehr präzise hätte ablesen können. Das war ein vernünftiger Vorschlag, aber offensichtlich hat Vernunft im Moment keine Chance mehr.

    Engels: Gesetzt den Fall, im UN-Sicherheitsrat bewegt sich heute nichts mehr, rechnen Sie in dem Fall noch mit einem definitivem Ultimatum der USA direkt an die Adresse Bagdads bevor ein Krieg beginnt?

    Volmer: Ein definitives Ultimatum bedeutet im Grunde nur, dass die Ausländer, die im Moment noch im Irak sind, dieses Land verlassen müssen. Auch das amerikanische Gesetz sieht vor, dass vor einem Angriff gewarnt werden muss. Ich sehe ein Ultimatum als nichts anderes an, denn als letzte Warnung das Land zu verlassen.

    Engels: Spekulieren wir noch etwas in die weitere Zukunft: Am Wochenende wurde diskutiert, ob sich Deutschland nach einem möglichen und ja wohl wahrscheinlichen Krieg am Wiederaufbau im Irak beteiligen sollte. Sollte das geschehen, egal ob ein möglicher Krieg nun von der UNO unterstützt wird oder nicht?

    Volmer: Deutschland wird seine Verpflichtungen erfüllen gegenüber den Vereinten Nationen. Auch nach diesem Krieg, den wir für ungerechtfertigt halten, sowohl ethisch als auch völkerrechtlich, wird es ein Problem geben, an dessen Beseitigung wir uns beteiligen müssen. Auf der anderen Seite ist es natürlich eine fatale Entwicklung, wenn eine Supermacht gemeinsam mit einer Koalition am Sicherheitsrat und an der UNO vorbei Kriege führt und dann hinterher die internationale Staatengemeinschaft auffordert, Reparationen zu zahlen. Das ist ein Zustand, der eigentlich nicht akzeptabel ist.

    Engels: Ist die internationale Staatengemeinschaft nun durch diese Entwicklung nachhaltig geschädigt?

    Volmer: Eindeutig ja, denn der Sicherheitsrat und die UNO sind von den Dreien desavouiert worden. Sie haben von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie letztlich auf die Meinung der Welt keinen Wert legen. Man hätte die internationale Gemeinschaft gerne hinter sich gehabt, hat aber von vorne herein auch gesagt: Wenn die Staatengemeinschaft zu einem anderen Ergebnis kommt, dann handeln wir alleine. Das heißt im Klartext: Uns ist die Meinung der Staatengemeinschaft egal. Damit wurde der UNO schwerer Schaden zugefügt.

    Engels: Ludger Vollmer, der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt und heutiger außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion vom Bündnis 90/Die Grünen war das. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio