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Vor 100 Jahren
Beginn der "Konferenz von Sanremo"

Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die politische Landkarte nicht nur in Europa, sondern auch im Nahen Osten. Am 19. April 1920 begann die Konferenz von Sanremo, auf der die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die ehemaligen Provinzen des Osmanischen Reichs unter sich aufteilten.

Von Monika Köpcke | 19.04.2020
    Der Hafen von Sanremo
    Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs kamen 1920 in Sanremo zusammen (picture alliance / Sodapix AG / Eschment Tobias)
    Die Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan waren an die Italienische Riviera gekommen; die USA hatten einen neutralen Beobachter geschickt. Es war Frühling, der Himmel leuchtete so blau wie das Mittelmeer und man tagte in einer prächtigen Villa. Dennoch wollte bei den Teilnehmern der Konferenz von Sanremo keine gute Atmosphäre aufkommen. Die "Vossische Zeitung" zitierte einen französischen Kollegen:
    "Dem Sonderberichterstatter des ‚Echo de Paris‘ missfällt die ganze äußere Gestaltung der Konferenz. […] ‚Unterredungen ohne jede Freundlichkeit‘, das sei die beste Definition, die man von dem Kongress in Sanremo geben könne."
    Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs kamen in Sanremo zusammen. Sie hatten das Deutsche Reich und seine Verbündeten, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich, geschlagen. Im Januar 1919 hatte man in Paris bereits die europäischen Grenzen neu verhandelt. Nun, ab dem 19. April 1920, sollten in Sanremo die Provinzen des Osmanischen Reichs zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich verteilt werden. Vor allem die Briten dürften sich dabei nicht ganz wohl in ihrer Haut gefühlt haben, hatten sie sich doch während des Krieges in widersprüchliche Zusagen verwickelt.
    Chaim Weizmann: "Es sollte einen Ort auf Gottes weiter Welt geben, wo wir auf unsere Art leben und uns verwirklichen können und unseren Beitrag zur Zivilisation leisten können. Die jüdische Geschichte hat immer durch den Bezug zu Israel gelebt."
    Bahnbrechende Zusage als Gegenleistung
    Chaim Weizmann war ein Führer der zionistischen Bewegung und warb unermüdlich für die jüdische Besiedlung Palästinas. Seit 1910 war er britischer Staatsbürger und beschäftigte sich als Chemiker mit der Weiterentwicklung des Schießpulvers. Seine Forschungen waren so vorteilhaft für die britische Armee, dass der britische Außenminister Lord Balfour als Gegenleistung eine bahnbrechende Zusage machte. In einem Brief an den Vorsitzenden der britischen jüdischen Gemeinde schrieb er im November 1917:

    "Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erreichen."
    Zu diesem Zeitpunkt gehörte Palästina noch zu den arabischen Provinzen des osmanischen Reichs. Die Briten benötigten dringend Unterstützung bei ihrem Kampf gegen die türkischen Truppen. Diese Unterstützung sollte von den Arabern kommen, die bereits seit 400 Jahren unter osmanischer Fremdherrschaft lebten. Als Belohnung versprachen die Briten ihnen die nationale Unabhängigkeit. 1915 schrieb der britische Gesandte in Ägypten dem Scharif von Mekka:
    "Wir erkennen die Unabhängigkeit der Araber in den vom Scharif vorgeschlagenen Grenzen an. Wenn es die Lage erfordert, wird Großbritannien die Araber unterstützen und ihnen seinen Rat zur Verfügung stellen."
    Wortbruch gegenüber den Arabern
    Die arabische Halbinsel, die heutigen Staaten Syrien, Jordanien und der Irak sowie Palästina sollten zu einem souveränen arabischen Staat zusammenwachsen. Die Araber glaubten der Zusage und erhoben sich gegen ihre türkischen Besatzer. Was sie nicht wussten: Nur wenige Wochen nach Beginn ihres Aufstands legten Frankreich und Großbritannien in einem Geheimabkommen fest, wie sie ihre Einflusszonen im Nahen Osten nach dem Krieg untereinander aufteilen wollten.
    In Sanremo galt dieses sogenannte Sykes-Picot-Abkommen dann als Grundlage für die Verhandlungen. Während die Balfour-Deklaration, die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina, in Sanremo für völkerrechtlich verbindlich erklärt wurde, beging man gegenüber den Arabern Wortbruch: von einem unabhängigen arabischen Staat war nun keine Rede mehr. Die italienische Zeitung "Tempo" prophezeite bereits 1920:
    "Das errichtete Haus ist auf Sand gebaut und wird beim Ansturm der vergewaltigten ethischen und historischen Rechte nicht widerstehen. Es gibt eine Nemesis, welche Ungerechtigkeit und Habgier binnen kurzem an den Anstiftern rächen wird. Der Vendettafriede von Sanremo ist schon jetzt rot von Blut."
    Großbritannien erhielt auf der Konferenz das Mandat über Palästina, Transjordanien und den Irak. An Frankreich gingen Syrien und der Libanon. Mit diesen Gebietszuweisungen und willkürlichen Grenzziehungen wurde in Sanremo der Grundstein für das Pulverfass Naher Osten gelegt, das bis heute die Welt in Atem hält.