Dienstag, 19. März 2024

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Vor 100 Jahren
Erste Schädlingsbekämpfung aus der Luft

Heute vor 100 Jahren gelang einem Insektenforscher aus Ohio die Vernichtung des gefürchteten Schwammspinners aus der Luft. In den folgenden Jahrzehnten begannen Landwirte überall auf der Welt, Schädlinge so zu bekämpfen. Bald zeigten sich die massiven Nebenwirkungen dieser Methode.

Von Monika Seynsche | 03.08.2021
    Schädlingsbekämpfung im Weinanbaugebiet Leytron im Wallis, Schweiz
    Weiterhin auch in Deutschland erlaubt: Sprühflugzeuge zur Vernichtung von Schädlingen in den Steillagen von Weinbergen wie hier im Wallis in der Schweiz (dpa / imageBROKER / Günter Fischer)
    Ende des 19. Jahrhunderts boten die Wälder im Osten der USA ein erschreckendes Bild: Millionen von Raupen des Schwammspinners fraßen sich durch die Blätter und entlaubten ganze Waldgebiete. Besonders Eichen und Obstbäume waren betroffen. Viele Bäume starben. Den Nachtfalter hatte ein französischer Insektenkundler zwanzig Jahre zuvor aus Europa hergebracht, um ihn zur Seidenherstellung zu züchten. Der Versuch ging schief, die Tiere entkamen und fanden in den Wäldern Nordamerikas keine natürlichen Feinde, die sie in Schach hätten halten können, erzählt der Pestizidberater Lars Neumeister.

    Schnell und billig – die neue Schädlingsbekämpfung

    "In den 1890ern wurde gegen diesen Schädling, den Schwammspinner, schon sehr viel Bleiarsenat eingesetzt, aber um an die Raupen in den Kronen heranzukommen, musste man die Pestizide bis in die Krone spritzen. Und das war mit der damaligen Technik kaum möglich. Also, man musste schon sehr starke Pumpen benutzen und kilometerlange Schläuche, und es benötigte sehr, sehr viele Arbeitskräfte."
    Sieben Puppen des Reismehlkäfers hat Annkatrin Müller mit doppelseitigem Klebeband auf ein Glasplättchen geklebt.Ein Stabilisator hält die gläserne Nadel, mit der Dr. Salim Hakeemi eine Flüssigkeit mit doppelsträngiger RNA in die Insekten-Puppen spritzt.
    Mit RNA gegen Schadinsekten
    Insektengifte töten Insekten – allerdings sämtliche Insekten. Viel nachhaltiger wäre es, nur Fraßfeinden den Kampf anzusagen, indem man für sie überlebenswichtige Gene ganz gezielt abschaltet.
    Die Spritzenwagen wurden anfangs mit Pferdefuhrwerken, später teils mit Automobilen mühsam in die Wälder gezogen. Nach dem Ersten Weltkrieg dann kam der Insektenkundler C.R. Neillie vom städtischen Forstamt in Cleveland, Ohio, auf eine andere Idee. Er lieh sich ein ausrangiertes Armeeflugzeug mitsamt Piloten und ließ das Gift am 3. August 1921 aus der Luft spritzen. Nur zwei Tage später fanden er und seine Kollegen tausende toter Raupen in dem Waldstück.

    Es war bekannt, dass Pestizide für alle extrem giftig sind

    "Die Anwendung selbst war sehr erfolgreich, da wurden zwar nur drei Hektar behandelt, aber es ist natürlich so, mit dem Flugzeug kann man natürlich sehr schnell an einem Ort sein, erstens, und man braucht nur ein, zwei Arbeitskräfte, um eine sehr große Fläche zu behandeln. Und bei Bäumen ist die Behandlung von oben gegen Schädlinge in Kronen natürlich sehr viel einfacher."
    Die Schädlingsbekämpfung per Flugzeug wurde zu einem großen Erfolg. Schon Mitte der 1930er-Jahre wurden auf diese Weise in den USA jährlich 15.000 Tonnen Bleiarsenat versprüht. In den folgenden Jahrzehnten begannen Land- und Forstwirte überall auf der Welt, Äcker und Wälder aus der Luft mit Pestiziden zu behandeln. Und das, obwohl arsenhaltige Pestizide nicht nur für Insekten, sondern für alle Lebewesen extrem giftig sind.
    "Und diese Giftigkeit war auch wirklich bekannt, man wusste, dass Blei und Arsen in der Kombination sehr giftig waren, und man hat es aber so als notwendiges Übel in Kauf genommen."

    Viele starben an der sogenannten Winzerkrankheit

    In Weinanbaugebieten etwa gab es immer öfter Menschen, die an der Winzerkrankheit litten, einem Leberkrebs, der durch den Kontakt mit Kalkarsen entstehen kann. In späteren Jahren verdrängten noch effizientere und weniger giftige Mittel wie DDT und Lindan die arsenhaltigen Produkte. Aber auch sie richteten verheerende Schäden an. Und selbst modernste Schädlingsbekämpfungsmittel seien problematisch, sagt Christiane Huxdorff von Greenpeace.
    Fabián Tomasi
    Glyphosat in Argentinien – "Heute bin ich ein Skelett"
    Fabián Tomasi hat in Argentinien jahrelang ohne Schutzkleidung Sprühflugzeuge mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat befüllt. Heute ist er gesundheitlich schwer angeschlagen, wofür er das Pestizid verantwortlich macht.
    "Das Pestizid kann natürlich auch Auswirkungen auf den Menschen haben. Einzelne Pestizide stehen im Verdacht, Krebs zu erregen, einzelne sind erbgutschädigend. Und wenn diese Pestizide in der Nähe von Wohnbebauung ausgebracht werden, dann ist ganz klar, dass dort dann auch die Gefahr besteht, dass es dann zu Krankheiten und Erkrankungen kommt."

    Schädlingsbekämpfung per Flugzeug in Deutschland weitgehend verboten

    Und diese Gefahr ist um vieles größer, wenn die Pestizide per Flugzeug ausgebracht werden. Dann reicht eine einzelne Windböe aus, um die Substanzen vom Feld auf einen Weg, in einen Fluss oder in Siedlungen hinein zu verwehen. In Deutschland ist die Schädlingsbekämpfung per Flugzeug deshalb heutzutage weitgehend verboten. Einzig die Steillagen einiger Weinberge dürfen noch vom Hubschrauber aus behandelt werden.
    In vielen anderen Weltregionen dagegen werden immer noch riesige Flächen aus der Luft besprüht, etwa in den USA, Südamerika, Asien oder Afrika. Oft kommt es dabei zu Unfällen, wenn etwa Arbeiter noch auf den Feldern sind. Deshalb versucht auch die Welternährungsorganisation FAO selbst beim Kampf gegen die katastrophalen Heuschreckenplagen, die in Afrika und Westasien ganze Ernten vernichten, auf den Einsatz von Flugzeugen zu verzichten. Alexandre Latchininsky ist bei der FAO zuständig für das Heuschreckenmanagement:
    Ein Heuschreckenschwarm im Juli 2020 in der indischen Stadt Lucknow
    Latchininsky (FAO): "Wir erwarten in der Zukunft mehr Heuschreckenplagen"
    Es gebe einige Anzeichen dafür, dass die Heuschrecken vom Klimawandel profitierten, sagte Alexandre Latchininsky von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) im Dlf.
    "Die FAO wirbt für präventive Kontrollmaßnahmen. Sobald wir erste Anzeichen für eine Heuschreckenplage sehen, greifen wir gezielt lokal ein: Wir sammeln die Nymphen ein oder besprühen kleine Gebiete von Fahrzeugen aus. Nur wenn das nicht funktioniert, etwa weil die Heuschrecken in Kriegsgebieten brüten, die wir nicht erreichen können, müssen wir vom Flugzeug aus bekämpfen."

    Der Schwammspinner ist weiter ein gefürchteter Schädling

    Der anfängliche Erfolg der Schädlingsbekämpfung aus der Luft gegen den Schwammspinner war übrigens ein sehr kurzzeitiger. Trotz einhundert Jahren intensiver Sprühaktionen ist der Nachtfalter immer noch einer der am meisten gefürchteten Schädlinge der USA. Zahlreiche andere Insektenarten hingegen wurden durch das Gift ausgerottet.