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Vor 100 Jahren geboren
Helmut Schmidt - Galionsfigur der Sozialdemokratie

Über drei Jahrzehnte hat der Sozialdemokrat Helmut Schmidt die deutsche Politik geprägt. Er war Mitglied des Bundestages, Hamburger Senator, Verteidigungs- und Wirtschaftsminister, zuletzt Bundeskanzler. Zur Legende aber wurde er erst nach seinem Sturz 1982: als gefragter Ratgeber und Analytiker des Zeitgeschehens.

Von Wolfgang Stenke | 23.12.2018
    Helmut Schmidt am Klavier bei einem Mozart-Konzert 1983 in Zürich in der Schweiz.
    Helmut Schmidt spielte bei einem Mozart-Konzert 1983 in Zürich in der Schweiz als Solist mit. (picture alliance / dpa / DB UPI)
    "Zunächst muss dann wohl gesagt werden, dass wir schon über 100 Tote geborgen haben (…) und dass das noch wesentlich ansteigen wird."
    Helmut Schmidt im Februar 1962, damals Polizeisenator in Hamburg. Er zog die vorläufige Bilanz einer katastrophalen Sturmflut, die seine Heimatstadt heimgesucht hatte.
    Als entschlossener Krisenmanager, der unbürokratisch alle verfügbaren Kräfte mobilisierte, wurde der sozialdemokratische Politiker den Bundesdeutschen zum Begriff. Zwölf Jahre nach der Flutkatastrophe von 1962 war der Mann Kanzler.
    Helmut Schmidt, geboren am 23. Dezember 1918, repräsentierte eine Generation, die nach NS-Diktatur und Krieg entschlossen an den Wiederaufbau ging. Aufgewachsen in einer Lehrerfamilie, die seine musischen Interessen förderte, politische Themen aber vermied, meldete der junge Mann sich 1937 nach Abitur und Arbeitsdienst zur Wehrmacht. Den Militärdienst wollte Helmut Schmidt schnell hinter sich bringen, um danach zu studieren und Städtebauer zu werden. Der Krieg vereitelte diese Pläne.
    "Erstmals im Herbst 1944, da ich als Zuhörer zum so genannten Volksgerichtshof abkommandiert war und dort einen Tag des unmenschlichen Schauprozesses gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli miterleben musste, erst da habe ich angefangen, den verbrecherischen Charakter des Dritten Reiches zu begreifen."
    Profilierter Sicherheitspolitiker
    Auf acht verlorene Jahre blickte der Oberleutnant 1945 zurück. Politisches Denken lernte er im britischen Gefangenenlager von einem alten Sozialdemokraten, der ihn auch zur SPD brachte. Mit Blick auf einen Brotberuf studierte Helmut Schmidt, unterstützt von seiner Frau Hannelore, genannt "Loki", zügig Volkswirtschaft. 1953 gelang dem talentierten Nachwuchspolitiker der Sprung in den Bundestag. Mit seinem Vorbild Fritz Erler, mit Willy Brandt und Herbert Wehner war der schneidige Hanseat Galionsfigur einer Sozialdemokratie, die überkommenes Klassenkampfdenken abstreifte. Im Fraktionsvorsitz profilierte er sich während der ersten Großen Koalition als außen- und sicherheitspolitischer Fachmann. Im sozialliberalen Regierungsbündnis mit der FDP übernahm der studierte Ökonom das Verteidigungsministerium und erhielt später das Finanzressort. Als Willy Brandt 1974 nach der Guillaume-Affäre abtreten musste, war Helmut Schmidt der geborene Nachfolger.
    Kanzler Schmidt manövrierte die Bundesrepublik acht Jahre lang durch schwierige Zeiten: Rezession, Ölpreiskrisen, terroristische Anschläge der "Roten Armee Fraktion".
    "Der Terrorismus hat auf die Dauer keine Chance, denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes."
    Schmidts entschiedenes Auftreten gegen die Sowjetunion, die Ende der 70er Jahre ihr Arsenal an Atomraketen vergrößerte, machte ihn zur Feindfigur der friedensbewegten Linken in der eigenen Partei. Helmut Schmidt gilt als Vater des NATO-Doppelbeschlusses:
    "Nachrüstung so weit wie nötig, aber so weit wie möglich gegenseitig vereinbarte Rüstungsbegrenzung zur Herstellung eines ungefähren Gleichgewichts."
    Schmidts Liebe zur Kunst
    Nicht nur weite Teile der SPD rückten von diesem Kanzler ab. Im Streit um Staatsverschuldung und Arbeitsmarktpolitik verließen die wirtschaftlich konservativen Minister der FDP 1982 die sozialliberale Koalitionsregierung. Schmidt kanzelte sie im Bundestag ab:
    "Der eine klare Satz hat immer gefehlt, (…), nämlich der Satz: Die FDP steht fest zur sozialliberalen Koalition."
    Helmut Schmidt wurde am 1. Oktober 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Sein Nachfolger hieß Helmut Kohl. Politische Ämter bekleidete der Ex-Kanzler danach nicht mehr, wurde aber 1983 Mitherausgeber des Wochenblatts "Die Zeit". Insgesamt schrieb er mehr als 20 politische Bücher und wurde ein geschätzter Analytiker der Weltlage. Unangepasst und knorrig, so mochten ihn die Deutschen. Die Liebe zur Kunst pflegte er bis ins hohe Alter. Der Bach-Kenner litt sehr darunter, dass er allmählich ertaubte. Der Tod seiner Frau "Loki" im Jahre 2010 traf ihn tief. Helmut Schmidt starb am 10. November 2015, wenige Wochen vor seinem 97. Geburtstag.