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Vor 100 Jahren in Moskau
Gründung der Kommunistischen Internationalen

In der Oktoberrevolution hatten die Kommunisten in Russland gesiegt – weltweit fehlte ihnen aber Unterstützung, denn es dominierten sozialistische Parteien. Das wollte Lenin mit der Gründung einer Kommunistischen Internationalen ändern, zu der heute vor 100 Jahren Delegierte aus aller Welt nach Moskau kamen.

Von Jochen Stöckmann | 02.03.2019
    Das Präsidium des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale in Moskau, März 1919: von links Gustav Klinger, Hugo Eberlein, Wladimir Iljitsch Lenin, Fritz Platten.
    Lenin beim Gründungskongress der Komintern 1919 (akg-images)
    "Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht,
    die Internationale erkämpft das Menschenrecht."
    Die Hymne der Arbeiterbewegung begleitete im Herbst 1918 Massenstreiks und Demonstrationen. Aber die lautstark besungene, 1889 in Paris gegründete "Internationale" war 1914 zerbrochen, als sich Arbeiterparteien mit Kriegsausbruch der nationalistischen Politik ihrer jeweiligen Regierung unterworfen und anschließend nur zaghaft Reformen gefordert hatten. Diesen anbiedernden "Opportunismus" der sozialistischen "Zweiten Internationale" kritisierte Lenin und forcierte von Moskau aus die Gründung einer "Dritten Internationale". Die sollte radikal kommunistisch ausgerichtet sein, doch eine entsprechende Partei gab es nur in Russland. Selbst der deutsche Spartakusbund war unter Führung von Rosa Luxemburg dem russischen Beispiel nicht sofort gefolgt. Die versierte Politikerin hatte davon abgeraten, als "Kommunistische Partei" aufzutreten. Luxemburgs Standpunkt referierte Hugo Eberlein, der deutsche Delegierte auf der Gründungskonferenz für eine Dritte Internationale am 2. März 1919 in Moskau:
    "Die Kommunistische Partei Russlands wird von den sozialistischen Parteien der II. Internationalen aufs heftigste bekämpft. Der Gegensatz ist so groß, dass uns als deutsche Revolutionäre die Aufgabe zufällt, den Prozess der Loslösung der westeuropäischen Sozialisten vom Reformismus zu beschleunigen. Diese Aufgabe wird leichter zu erfüllen sein, wenn wir als Sozialistische Partei auf den Plan treten."
    Politische Manöver sorgen für Irritationen
    Auch Lenins "Bolschewiki" hatten als sozialistische Partei, als Fraktion innerhalb der "reformistischen" Sozialdemokratie begonnen. Dann aber entschieden sie sich mit Gründung der Kommunistischen Partei für die Revolution – und riskierten den Bürgerkrieg. Diese politischen Manöver sorgten für Irritationen, sogar bei einem Kommandeur der Roten Armee, dem legendären Kavalleristen Tschapajew:
    "Na, Wassili Iwanitsch, bist Du für die Bolschewiki oder für die Kommunisten? – Ich bin was? – Seid ihr für die Bolschewiki oder für die Kommunisten? – Ich bin für die Internationale!"
    Im Revolutionsfilm "Tschapajew" zögert der auf dem Schlachtfeld so entschlussfreudige Held – und redet sich auf "die Internationale" hinaus. Aber dann wird er von seinem eigenen Politkommissar in die Zange genommen:
    "Wassili Iwanowitsch? – Ja? – Für welche bist Du denn? Für die Zweite oder für die Dritte? – In welcher ist Lenin? – In der Dritten. – Dann bin ich auch für die Dritte!"
    Deutsche Kommunisten treten später bei
    Die "Dritte Internationale" als Garant der Revolution, während die Anhänger der untergegangenen "Zweiten Internationale" auf Reformpolitik und Parlamentarismus anstelle der sowjetischen "Diktatur des Proletariats" pochen. Angesichts dieser Konfrontation waren die Delegierten in Moskau sorgfältig ausgewählt, der Gründungskongress hatte nur 60 Teilnehmer. Deutschland wurde allein von Hugo Eberlein vertreten, der sich zwar prinzipiell für eine Kommunistische Internationale aussprach, ihre Gründung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber ablehnte. Diese Haltung führte zu heftigen Diskussionen:
    "Besonders die Genossen der russischen Partei zerpflückten alle Argumente bis ins Kleinste. Bis Lenin entschied, dass von der sofortigen Gründung der Kommunistischen Internationale abgesehen werden müsse, wenn die deutsche Partei ihre Zustimmung nicht gäbe."
    Die erst zwei Monate zuvor gegründete "Kommunistische Partei Deutschlands" hatte mit dem Programm des Spartakusbundes auch eine politische Leitlinie Rosa Luxemburgs übernommen: die Gründung einer Kommunistischen Internationale bis zum Aufbau aktionsfähiger kommunistischer Parteien in möglichst vielen Staaten Westeuropas zu vertagen. So wurde es Hugo Eberlein im März 1919 als Direktive nach Moskau mitgegeben. Dieses "Testament" der im Januar 1919 ermordeten Rosa Luxemburg brachte den KPD-Delegierten in eine Zwickmühle:
    "Während ich gefühlsmäßig mit den russischen Genossen völlig konform ging, war ich an den strikten Auftrag meiner Parteileitung gebunden. Ich enthielt mich der Stimme."
    Eberlein hatte gezögert. Sofort nach seiner Rückkehr beschloss die Parteileitung in Berlin den Beitritt zur Kommunistischen Internationale. Die später unter Stalin so gefürchtete "Komintern" nahm ihre Arbeit auf – und entschied von Moskau aus über Wohl und Wehe der Revolutionäre in aller Welt.