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Vor 125 Jahren geboren
Die Tänzerin und Kabarettistin Valeska Gert

Ihre Auftritte waren von Anfang an Skandal: Mit ihren grotesken Tänzen schockierte Valeska Gert in den 20er-Jahren das Publikum. Künstler wie Kurt Tucholsky, Volker Schlöndorff und Nina Hagen inspirierte die Schauspielerin und Kabarettistin. Anderen war sie dagegen zu avantgardistisch. So erntete sie nie den Ruhm, den sie eigentlich verdient hätte.

Von Vanessa Loewel |
    Das zeitgenössische Porträt zeigt die deutsche Tänzerin, Kabarettistin und Schauspielerin Valeska Gert (1900–1978)
    "Wo ich getanzt hab, gabs Skandale":Die deutsche Tänzerin, Kabarettistin und Schauspielerin Valeska Gert (1900-1978) (dpa / picture alliance)
    "Wo ich getanzt hab", erinnert sich Valeska Gert, "gab‘s Skandale, weil das damals vollkommen sensationell neu war, nicht. Ich bin in Paris im Theater Champs Elysées aufgetreten , da haben sich die Leute geschlagen meinetwegen. Ach, das war doll und so ist das immer weitergegangen in meinem Leben."
    Schon bei ihrem ersten Auftritt fiel sie aus der Rolle: 1916 war das, da tanzte die 24-jährige Schauspielschülerin Gertrud Valeska Samosch, wie Valeska Gert mit bürgerlichem Namen hieß, einen Abend lang bei Rita Sacchetto:
    "Das kam mir alles so kitschig vor und plötzlich habe ich dieselbe Nummer, die die mir ganz ernst beigebracht hat, die Saccetto, habe ich plötzlich als ganz verrückte Satire oder wie man das nennt, weiß ich nicht, gebracht, und die Leute haben geschrien. Und am nächsten Tag kam die Polizei. Das war am Ende des Krieges, und hat gesagt: ‚Hier soll eine so unmöglich provozierend tanzen‘."
    Die Theaterwelt ist aufgebracht
    Ihr "Grotesktanz" war geboren: Die Schauspielstunden hat Valeska Gert bald abgebrochen, eine Tanzausbildung hat sie, bis auf ein paar "Graziestunden" zu Kinderzeiten, nie bekommen. Ihre Auftritte haben die Wucht einer Naturgewalt: Mal stürmt sie, mal latscht sie über die Bühne, sie schleudert Arme und Beine, reißt an ihrem Kostüm, gerät außer sich, schneidet Fratzen. Später wird sie zu ihren Tänzen auch sprechen oder kreischen, wie bei ihrer legendären Baby-Nummer, erinnert sich Valeska Gert:
    "Wenn ich getanzt habe, habe ich mich nach dem Schauspielen gesehnt und wenn ich gespielt habe, habe ich mich nach dem Tanzen gesehnt. Und dann habe ich es zusammengezogen. Da habe ich so schauspielerische Gestalten gemacht, Canaille, die Kupplerin, die Amme und dann habe ich Boxen und Fechten und sämtliche Sportarten gemacht, immer auch mit Zeitlupe und Zeitraffer schon getanzt."
    1919 mimt sie eine Prostituierte, ihre "Canaille" macht sie berühmt - und berüchtigt. Sie tritt bald nicht nur in Berlin auf, sondern in ganz Europa. Valeska Gert tanzt den Großstadtverkehr samt Verkehrsunfall, einen Orgasmus, das Kino, den Tod. Die Theaterwelt ist aufgebracht -ist das Ausdruckstanz oder Pantomime? Dada, futuristisch oder eher expressionistisch? Nur eine Zuschreibung passt: Avantgarde.
    Valeska Gert wird am 11. Januar 1892 in Berlin geboren, als Tochter eines wohlhabenden Fabrikanten. Sie beschreibt sich in ihren Memoiren als trauriges Kind, das sich nur beim Tanzen glücklich fühlt. Als junge Frau beginnt sie, sich exzentrisch zu kleiden und ihren eigenen Look zu entwickeln: das Gesicht weiß gepudert, die Gewänder in grellen Farben, die schwarzen Haare radikal kurz:
    "Ich wusste nicht, was ich machen sollte, und da hat eine Schwägerin gesagt, du tanzt doch so gerne, geh doch zur Bühne, und die haben mich richtig gestupst."
    Valeska Gert spielt auch Theater und ist in den 20ern ein gefragter Stummfilmstar. 1932 eröffnet sie in Berlin ihr erstes Kabarett, in dem sie auch selbst auftritt:
    "Und zwar haben wir Klassiker reduziert, so zehn Minuten, also auch schon modernisiert, und auch Chansons, da hab‘ ich zum ersten Mal gesungen. Berliner Type":
    "Schon im Bett des morgens früh, wenn der Herr von Vis à Vis uffstand um sich anzuziehen, kick ich durch die Jalousien, und ick wurde janz verrückt, wenn ich ihn so nackt erblickt …"
    Beim Publikum gerät sie in Vergessenheit.
    Es ist ihre große Zeit, die von den Nationalsozialisten jäh beendet wird: Ab 1933 darf Valeska Gert nicht mehr auftreten. Sie ist Jüdin und ihre Kunst gilt als "entartet". Sie wandert in die USA aus, hält sich als Tellerwäscherin und Aktmodell über Wasser, bevor sie in New York ihre legendäre "Bettlerbar" eröffnet. Nach dem Krieg kehrt sie zurück nach Berlin. Auf dem Ku’damm spielt sie, zwischen den Trümmern, Kabarett in ihrer Bar "Hexenküche". Doch der Erfolg von einst lässt sich nicht wiederholen, beim Publikum gerät sie in Vergessenheit. Valeska Gert stirbt 1978, mit 86 Jahren.
    Auf die Frage hin, ob sie ihr Leben noch einmal genauso führen würde, antwortete sie ein paar Jahre zuvor: "Nein, immer ein neues Leben, zweimal dasselbe Leben wäre mir zu langweilig. Ich kenn‘ doch nun alles schon von der Seite aus."