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Vor 125 Jahren
Schriftsteller Aldous Huxley geboren

Fast blind und einer der hellsichtigsten Köpfe seiner Zeit: Aldous Huxleys Warnruf der "Schönen neuen Welt" wurde zwar noch nicht von der Gegenwart eingeholt, gewinnt aber immer mehr an Aktualität. Heute wäre der britische Schriftsteller 125 Jahre alt geworden.

Von Christian Linder | 26.07.2019
    Aldous Huxley in Rom, 1963
    Aldous Huxley in Rom: wegen seiner Sehbehinderung zog es ihn an lichtdurchflutete Orte (picture-alliance / MP / Leemage)
    Hereinspaziert in die "schöne neue Welt":
    "Ein grauer, gerade mal vierunddreißigstöckiger Klotz. Über dem Hauptportal der Hinweis ‚City-Brüter und Konditionierungscenter London‘ und auf einem Wappen der Wahlspruch des Weltstaats: "Kollektivität, Identität, Stabilität". ‚Und dies,‘ sagte der Direktor, indem er die Tür aufstieß, ‚ist die Fertilisationsstation.‘"
    Auf dieser Station werden im Jahr 2540 die Bürger des Weltstaats künstlich in Flaschen gezeugt, Menschen ohne Individualität:
    "Aus einer einzigen Eizelle die Belegschaft eines mittelgroßen Werks. Das Prinzip der Massenproduktion übertragen auf die Biologie."
    Zwar hat uns die Utopie, die Aldous Huxley in seinem 1932 erschienenen Roman "Brave New World, Schöne Neue Welt" entwarf, als Gegenwart noch nicht eingeholt, aber sein Warnruf ist mit der Zeit immer aktueller geworden:
    "‘Schöne neue Welt‘ ist ein faszinierendes Gleichnis über die Entmenschlichung der Menschen. In der negativen Utopie meines Romans wurden Menschen die Untertanen ihrer eigenen Erfindungen. Wissenschaft, Technologie, soziale Ordnung – alles das sollte den Menschen dienen, jetzt beherrscht es sie."
    Einer der hellsichtigsten Köpfe seiner Zeit
    Als einer der hellsichtigsten Köpfe seiner Zeit wurde Aldous Leonard Huxley früh erkannt. Geboren am 26. Juli 1894 im unweit von London gelegenen Godalming in Surrey als Spross einer berühmten Gelehrtenfamilie, fing er in jungen Jahren zu schreiben an, Gedichte, später Erzählungen und Romane wie "Eine Gesellschaft auf dem Land". Die Frau seines Bruders hat ihn beschrieben:
    "Sein offenes Gesicht unter dem dichten braunen Haar war blass, mit vollen Lippen und blauen Augen, die nach innen zu blicken schienen, bis man begriff, dass er auf einem Auge völlig blind war und mit dem anderen nur mangelhaft sah."
    Wegen dieser Sehbehinderung zog es Huxley in die lichtüberfluteten Landschaften Italiens und Frankreichs, später Kaliforniens, wo er 1937 seinen festen Wohnsitz nahm. Während seines ersten Amerika-Aufenthalts 1926, inmitten der beginnenden Mechanisierung der Arbeitswelt und überhaupt aller Lebensformen, kam ihm die Idee zur Utopie seines Romans "Brave New World". Er beschrieb darin eine überformte, gesellschaftlich kontrollierte Welt, in der Menschen ein scheinbar zwangloses, glückliches Leben führen können durch Gewährung von reichlich Sex und Drogen, aber sie wissen nichts mehr von Augenblicken humaner Nähe, und die Drogen dienen lediglich der Ruhigstellung.
    "Es sieht so aus, als ob jeder Fortschritt in der Technik eine entsprechende Erweiterung der Organisation erfordern würde. Das Resultat dieser Entwicklung ist zunächst einmal, dass die Kontrolle über die Menschen immer mehr und immer vollständiger in die Hände von Big Business und Big Government übergeht, das heißt in die Hände der Großindustrie und der Regierungsspitze. Und zweitens wird das Individuum immer mehr seiner unabhängigen Aktivität beraubt und wird immer mehr zu einem Rädchen in einer gewaltigen Maschine der Organisation."
    Bestand in der Popkultur
    Wieviel Platz braucht ein Mensch, um auf einem Bein zu stehen? Viele Bücher Aldous Huxleys lesen sich wie mögliche Antworten auf diese jahrtausendalte, hintergründige Frage des chinesischen Philosophen Dschuang Dsi. Auf dem kleinen Platz, der für das Stehen auf einem Bein benötigt wird, kann man sich zwar eine Weile halten, aber man kann darauf nicht leben, sondern braucht einen großen leeren Raum drum herum. Diesen leeren Raum hat Huxley in späteren Büchern erkundet, indem er sich der Mystik zuwandte, buddhistische Lehren studierte und mit Meskalin experimentierte – auf der Suche nach neuen inneren Erfahrungswelten.
    "Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, würde den Menschen alles so erscheinen, wie es in Wirklichkeit ist: unendlich."
    Nach diesem von William Blake geborgten Motto nannte Huxley ein 1954 erschienenes Buch, "The Doors of Perception", "Die Pforten der Wahrnehmung", das 1965, zwei Jahre nach dem Tod des Autors, Jim Morrison inspirierte, seine Rockband "The Doors" zu nennen, und auch die Beatles ließen es sich 1967 nicht nehmen, in die auf dem Cover des Albums "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" abgebildete, aus "friedenstiftenden« Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts bestehende Galerie der "Gemeinschaft der neuen freien Menschen" Aldous Huxley aufzunehmen.