Samstag, 27. April 2024

Archiv

Vor 150 Jahren geboren
Der Physiker Ernest Rutherford - Entdecker des Atomkerns

Atome besitzen einen Kern, der von Elektronen umschwirrt wird. Diese Weisheit findet sich heute in jedem Physik-Schulbuch. Zu verdanken ist sie dem Physiker und Nobelpreisträger Ernest Rutherford. Heute vor 150 Jahren wurde er in Neuseeland geboren.

Von Frank Grotelüschen | 30.08.2021
    Ernest Rutherford (rechts) und Hans Geiger in Ihrem Labor an der Universität von Manchester in dem sie 910 ihr Goldfolienexperiment mit Alphateilchen durchführten
    Ernest Rutherford (rechts) und Hans Geiger in ihrem Labor an der Universität von Manchester in dem sie 1910 ihr Goldfolienexperiment mit Alphateilchen durchführten (picture-alliance / United Archives/TopFoto )
    "Ich bin immer ein Verfechter der Einfachheit, denn ich bin selbst ein einfacher Mensch." Aus der Laienperspektive scheint sein Forschungsfeld zwar nicht gerade simpel. Doch in Wirklichkeit konnte Ernest Rutherford die Physik drastisch vereinfachen: Der neuseeländische Physiker entdeckte den Atomkern und brachte damit einige Ordnung in die bis dato reichlich verworrene Welt der kleinsten Dinge.

    Die Unzuverlässigkeit von Atomen entlarvt

    Geboren wurde Rutherford am 30. August 1871 in Neuseeland, damals eine britische Kolonie. Nach dem Studium zog es ihn 1895 nach England, ein Stipendium ermöglichte ihm einen Aufenthalt an der renommierten Cambridge-Universität. Dann wurde die Wissenschaftswelt durch eine Nachricht erschüttert, die Rutherfords Karriere prägen sollte: 1896 entdeckte der Franzose Henri Becquerel die Radioaktivität. Zunächst war unklar, was dahintersteckt. Rutherford machte sich an die Arbeit, fand heraus, dass es verschiedene Arten von radioaktiver Strahlung gibt und stieß 1903 – inzwischen als Physikprofessor in Kanada – auf die Ursache: Radioaktivität entsteht, weil manche Atomsorten instabil sind und zerfallen können. Eine umwälzende Erkenntnis, denn, so Rutherford: "Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Chemiker mehr als 80 verschiedene Elemente entdeckt. Und die Atome dieser Elemente galten als absolut stabil und unteilbar."
    Für seine Erkenntnis, dass Atome zerfallen können, erhielt Rutherford 1908 den Chemie-Nobelpreis. Bald beschäftigte ihn die nächste Frage: Wie im Detail sah so ein Atom eigentlich aus? "Da gab es relativ vage Vorstellungen – man hatte eigentlich keine richtigen", sagt Karsten Büßer, Physiker am Forschungszentrum DESY in Hamburg: "Man hat sich das Atom im Wesentlichen als das kleinste Stück eines Stoffes vorgestellt, das da war."

    Atomare Rückschläge

    Um näheres herauszufinden, baute Rutherford 1910 in Manchester ein Experiment auf, bei dem er sogenannte Alphateilchen, das sind Kerne von Heliumatomen, auf eine hauchdünne Goldfolie schoss. Diese Folie war so dünn, dass die Teilchen eigentlich wie Geschosse durch sie hindurchfliegen und allenfalls ein wenig abgelenkt werden sollten. Doch dann bemerkten Rutherfords Mitstreiter, dass einige der Alphateilchen an der Goldfolie abprallten und wieder zurückflogen. Rutherford sei zunächst ungläubig gewesen, so Karsten Büßer. Er habe gesagt, "Das ist, als wenn man eine Artilleriegranate auf ein Stück Papier abfeuert, und die Granate kommt wieder zurück!"
    Doch nach einigem Überlegen stieß der Physiker auf die Lösung, schildert Karsten Büßer: "Aus seinen Rechnungen kam raus, dass es im Atom einen sehr kleinen, aber sehr schweren Kern geben muss, der fast die gesamte Masse des Atoms auf sich vereinigt, und dass der Rest der Materie im Wesentlichen leer ist. Das war schockierend, und das war auch bahnbrechend."

    Der Atomkern? - "ein ziemlich einfaches Ding"

    Und Rutherford befand: "Die Idee einer nuklearen Struktur von Atomen, die ich 1911 vorschlug, hat sich als äußerst nützlich erwiesen." Seine Entdeckung war die Basis für jenes Atommodell von Niels Bohr, das einem winzigen Planetensystem ähnelt – ein kleiner Atomkern, umschwirrt von Elektronen. Doch nun wollte Rutherford wissen, wie Atomkerne im Detail aussehen und ob sich verschiedene Sorten ineinander umwandeln können: "Ein Atomkern ist ein sehr kleines Ding, und wir wissen sehr wenig über ihn. Doch ich glaube, dass, wenn wir mehr über den Kern wüssten, wir feststellen würden, dass er ein ziemlich einfaches Ding ist."
    Zum 135. Geburtstag des Nobelpreisträgers - Niels Bohr und das Leuchten der Sterne
    Vor 135 Jahren kam in Kopenhagen Niels Bohr zur Welt. Gemeinsam mit Kollegen entschlüsselte Niels Bohr den Aufbau der Materie und legte den Grundstein der Quantenmechanik.
    1919 beschoss Rutherford erneut diverse Materialien mit Alphateilchen – in der Hoffnung, dass manche der winzigen Geschosse frontal auf einen Atomkern prallten und ihn zerschlugen oder mit ihm verschmolzen. Als er Stickstoff ins Visier nahm, registrierte seine Messapparatur ein seltsames Funkeln, wie er später beschrieb:
    "Dieses Funkeln wurde von geladenen Wasserstoffatomen erzeugt - den Protonen. Das Auftreten von Protonen konnte nur durch die Annahme erklärt werden, dass sie aus der Umwandlung von einigen der Stickstoffkerne als Folge des Alphateilchen-Bombardements entstanden. Dies war ein erster Hinweis dafür, dass ein Atom durch künstliche Methoden umgewandelt werden kann."
    Ein Physiker vor der "Helikon"-Plasmazelle des AWAKE-Projekts
    Suche nach der Weltformel - Schrumpfkur für Teilchenbeschleuniger Die Teilchenphysik steckt in der Krise. Im Grunde bräuchte sie neue, noch größere Beschleuniger. Nur wer soll die bezahlen? Ein alternatives Konzept, die Plasmabeschleunigung bietet verlockende Perspektiven.
    Rutherfords Experimente waren maßgeblich für das spätere Weltbild der Kernphysik: Demnach setzt sich jeder Atomkern aus nur zwei Bausteinen zusammen, dem Proton und dem Neutron. Lange Zeit galten beide als die Grundbausteine der Materie. Dass sie in Wirklichkeit aus noch kleineren Teilchen bestehen, den berühmten Quarks, sollte sich erst Ende der 60er-Jahre herausstellen. Eine physikalische Umwälzung, die Ernest Rutherford nicht mehr erleben sollte. Er starb 1937 im Alter von 66 Jahren.