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Vor 160 Jahren
Die Abschaffung der Kaperei

Jahrhundertelang waren Kaperfahrer als Edelpiraten auf den Weltmeeren unterwegs. Sie raubten mit staatlicher Lizenz, in patriotischer Mission. Kaperfahrer legten die Grundlagen des britischen Weltreiches und eroberten für die Niederlande ein Kolonialreich im Pazifik. Erst die Pariser Seerechtsdeklaration setzte vor 160 Jahren dieser fragwürdigen Tradition ein Ende.

Von Winfried Dolderer |
    Der Dreimaster Pirat, ein altes Segelschiff.
    Am 16. April 1856 hieß es offiziell: "Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft." (picture alliance / Beate Schleep)
    Es war im Frühjahr 1856 eine der nicht alltäglichen Gelegenheiten, dass Vertreter aller Großmächte an einem Tisch zusammensaßen. Der Pariser Friede hatte nach zwei blutigen Jahren dem Krimkrieg ein Ende gemacht. Doch dem Gastgeber, Frankreichs Außenminister Alexandre Colonna-Walewski, war das nicht genug.
    "Der Westfälische Friede hat die Gewissensfreiheit besiegelt, der Wiener Kongress die Abschaffung des Sklavenhandels und die Freiheit der Flussschifffahrt. Es wäre des Pariser Kongresses würdig, die Grundlagen eines einheitlichen Seekriegsrechts zu legen."
    So geschah es. Am 16. April 1856 einigten sich die Teilnehmer auf vier Leitsätze, von denen vor allem der erste es in sich hatte. Er räumte mit einem jahrhundertealten Seemannsbrauch auf.
    "Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft."
    Bis dahin war der Kaperfahrer eine respektable Figur des Kriegsvölkerrechts gewesen. Ein Privatmann, der mit eigenem Schiff und auf eigenes Risiko, aber mit staatlicher Lizenz Seeräuberei betrieb.
    In Zeiten, in denen es noch kaum reguläre Seestreitkräfte gab, die einfachste Art der Kriegführung. Ein Fürst oder eine Stadt stellte einem interessierten Kapitän einen "Kaperbrief" aus, um Jagd auf feindliche Handelsschiffe zu machen. Die Beute blieb beim Kaperer, der Fiskus kassierte seinen Anteil. Zwischen halblegaler Kaperei und krimineller Piraterie war freilich die Grenze stets fließend. Der berüchtigte Klaus Störtebeker etwa soll um 1390 seine Karriere mit einem Kaperbrief der mecklenburgischen Städte Rostock und Wismar im Dienst des schwedischen Königs gegen Dänemark begonnen haben.
    "Diese Art, Krieg zu führen, die hat sich ja sehr lange gehalten", sagt der Frühneuzeit-Historiker Ronald Asch.
    "Und selbst als sich das Völkerrecht verfestigt hat und man das dann in Europa verboten hat, in Übersee hat man es niemals so genau genommen."
    Plötzlich wurden Seeräuber nicht mehr hofiert, sondern gehenkt
    In Übersee, in Amerika und Südostasien, gewannen Spanier und Portugiesen in den Jahren nach 1500 gewaltige Reiche mit unermesslichen Schätzen. Es blieb nicht aus, dass sie damit das Interesse anderer Europäer weckten. Im Januar 1523 erbeutete der Franzose Jean Fleury zwei Schiffe, auf denen die Spanier nach der Eroberung Mexikos das Gold des Aztekenherrschers Montezuma nach Hause hatten schaffen wollen. Fleury war mit einem Kaperbrief seines Königs Franz I. unterwegs. Der englische Seeheld Sir Francis Drake brachte von seiner berühmten Weltumseglung 1577 bis 1580 Kaperbeute im heutigen Wert von 100 Millionen Euro mit.
    "Spanien hatte etwas gemacht, was völkerrechtlich auch umstritten war. Es hatte gesagt: Mit unseren Kolonien in Amerika können nur wir Handel treiben. Es hat also die anderen europäischen Nationen versucht, von diesem Handel auszuschließen. Und diese Piratenunternehmungen sind natürlich auch ein Versuch, dann gewaltsam dort einzudringen."
    Im 17. Jahrhundert trieben Handelsgesellschaften wie die niederländische Vereinigte Ostindische Kompanie oder die englische Westindische Kompanie in den Gewässern Südostasiens und der Karibik Kaperei als Geschäftsmodell. Die Niederländer etwa erbeuteten zwischen 1600 und 1620 im Indischen Ozean 150 bis 200 Schiffe. Die Einheimischen waren irritiert.
    "Es ist schwierig, den Leuten hier den Unterschied zwischen einem Kaufmann und einem Piraten zu erklären."
    So klagte 1618 der englische Botschafter am Hof des indischen Großmoguls. Ein gutes Jahrhundert später, als England seinen auf Kosten Spaniens errungenen Weltmachtstatus stabilisiert hatte, änderte sich das Bild. Seeräuber wurden nun nicht mehr hofiert, sondern gehenkt. Piraterie sei ein so abscheuliches Verbrechen, dass ihm die Worte dafür fehlten, empörte sich 1718 der Staatsanwalt der Kolonie South Carolina: "Raubtiere fallen nie Artgenossen an. Piraten hingegen plündern ihre eigenen Mitgeschöpfe."
    Als 1856 die Pariser Friedenskonferenz tagte, war Kaperei längst aus der Mode geraten, ihre Ächtung gleichwohl nicht unumstritten. Die USA protestierten, weil sie fürchteten, sich nun eine kostspielige Kriegsmarine zulegen zu müssen. Auch britische Konservative trauerten. Im Unterhaus wetterte der Earl of Derby über das Pariser Abkommen:
    "Die Regierung hat unserem Land gewissermaßen den rechten Arm abgeschlagen. Sie haben Englands Seemacht und Größe ruiniert."