Vor ein paar Wochen haben die New Yorker Philharmoniker ihre 176. Saison eröffnet, so stolz zählt das Orchester die Spielzeiten seit seiner Gründung. Bei der Opening-Gala im Lincoln Center erklang Gustav Mahlers fünfte Symphonie, dirigiert von dem neuen Musikchef, dem Holländer Jaap van Zweden. Der Videomitschnitt zeigt die Orchestermusiker seriös bei der Arbeit und spürbar getrieben von vitaler Spiel- und Lebenslust.
Angefangen hat alles mit dem schlichten Wunsch von New Yorker Musikern, ein eigenes klassisches Orchester zu haben. Das Ziel war die Entwicklung einer Instrumentalmusik. Am 7. Dezember des Jahres 1842 war es soweit, die New Yorker bekamen ihren Klangkörper – somit das älteste Symphonieorchester der Vereinigten Staaten.
Im selben Jahr gründeten sich übrigens die Wiener Philharmoniker. Das Eröffnungskonzert in New York wuchs sich zu einem dreistündigen Marathon aus. Vor 600 Zuhörern im Apollo-Saal am unteren Broadway dirigierte der Amerikaner Ureli Corelli Hill Beethovens "Schicksalssymphonie", die Fünfte, sowie einen ganzen Reigen leichterer Stücke.
Ihr privat finanziertes Orchester betrieben die Musiker als Genossenschaft, künstlerische und andere Entscheidungen kamen demokratisch zustande, durch Mehrheitsbeschluss.
Amerika, die Klassik-Provinz Europas
Amerika galt in der Klassikbranche lange Zeit als Provinz Europas. Die Gründer der Symphonieorchester waren zumeist europäische Kapellmeister und Manager. Auch bei New York Philharmonic stammten die meisten Dirigenten aus Deutschland oder Italien, von 1909 an bis zu seinem Tod war Gustav Mahler der Musikdirektor. Nach ihm standen Arturo Toscanini und Bruno Walter am Pult. Als erster US-Amerikaner übernahm Leonard Bernstein 1958 das Orchester. Und mit ihm lieferten die New Yorker die erste Gesamteinspielung aller neun Mahler-Symphonien.
1991 wählten sie den Leipziger Kurt Masur zum Chefdirigenten, vorsätzlich den Mann, den man "Dirigent der deutschen Revolution" nannte. Masur gehörte zu jenen, die dem Aufstand der Menschen in der DDR Gewaltfreiheit gesichert hatten. Zwei Jahre später gastierten Masur und die New Yorker Philharmoniker in Deutschland, für den Dirigenten eine Genugtuung.
"Das Orchester ist sowohl musikalisch als auch kulturell sehr interessant, und es birgt auf der einen Seite die Dynamik der Stadt in sich, aber es gibt auch die Vielfältigkeit und auch natürlich die Reibungsflächen ... Ich möchte sagen, dass die Arbeit mit den New Yorkern mich ungeheuer belebt hat."
Spiegel einer nervösen Gegenwart
Die New Yorker Philharmoniker hatten, durchaus riskant, eine Schlüsselfigur der deutschen Vereinigung zum Chefdirigenten gewählt, sie machten furchtlos Kulturpolitik. Das Orchester war der Spiegel einer nervösen Gegenwart mit dem Klang einer Stadt, die nie schläft.
"Es gibt eine ungeheure Flexibilität, es gibt in der Virtuosität kaum Grenzen, es gibt ein Verständnis des Orchesters, auch einen europäischen Klang zu erzeugen, wie es ganz, ganz selten geworden ist."
Ob mit dem warmherzigen europäischen Klang oder der kühlen Perfektion amerikanischer Orchester - die New Yorker Philharmoniker, von Sponsoren am Leben gehalten, kämpfen bis heute um ihren Status. Sie wollen immer zu den fünf führenden Orchestern der USA zählen, den berühmten Big Five, die, wie in Chicago und Boston, in Cleveland und Philadelphia, die Spitzenqualität von Amerikas Klassik-Musik zu verteidigen haben.